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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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und neckischen Schicksal, denn das Geld ist zur unbedingten Macht über die
Verhältnisse geworden, und hier gibt es nur eine betrügerische List und einen
rohen Zufall, der nicht die Speculation, sondern die gutmüthige Welt trifft,
die jene in sich verwickelt hat. Man sieht, das Bild der wirklichen Zustände
ist nur allzutreu: halbwegs ehrliche Leute haben das Nachsehen, Stück und
Zuschauer bleiben an der gemeinen Erde kleben, kein Gelächter reinigt diese
verdorbene Luft, kein Witz befreit von der materiellen Schwere dieser Wirk¬
lichkeit. Die Pläne des Abenteurers zerschellen weder'an der Festigkeit der
sittlichen Welt noch an der Verkehrtheit des eigenen bösen Willens; sie schei¬
tern lediglich an der Unklughett, und diese ist in dem Mann der Börse so we¬
nig begründet, daß er vielmehr eben dadurch als ein ziemlich erbärmliches
Exemplar seiner Gattung erscheint.

Der Franzose findet denn auch diese Art von Lustspiel keineswegs lustig
und sucht sich andrerseits durch die bloße Posse zu entschädigen. Das La¬
chen soll man ihm wenigstens nicht nehmen. Aber wie sich einerseits das
Bild der Wirklichkeit nicht mehr in den idealisirenden Aether des Komischen
erheben kann, so sinkt andrerseits die Posse in die Tiefe der.Gemeinheit hinab,
indem sie mit übertriebenen Realismus das Gemeine gemein behandelt. Auch
hier gibt das wirkliche Leben den Stoff ab; aber der Witz besteht in derben
Zoten und der allergröbsten Handgreiflichkeit, die demi-monde ist hier die un¬
terste Schichte der Gesellschaft, welche die elegante Erscheinung nur noch in
der Kleidung, nicht mehr in der Umgangsform bewahrt und der Conflict mit
der anständigen Welt liegt darin, daß jene diese im buchstäblichen Sinne des
Wortes mit frechen Händen anpackt, zu sich herabzerrt, zum Faustkampf heraus¬
fordert und nicht eher ruht, bis es zum wirtlichen Raufen kommt, wo sie dann
schließlich mit einem Rest natürlicher Gutmüthigkeit nachgibt. Man lacht wol
über das tolle Treiben, aber es ist ein krampfhaftes Lachen, es wird gezcn^
auch an den Lachmustel". bis diese dem Kitzel nicht länger widerstehen kön¬
nen. Dem Deutschen ist nach einer solchen Posse zu Muthe wie nach einer
in wilder Orgie zugebrachten Nacht. Und wenn uns in der wahren Pos!^
das ausgelassene, bei aller Handgreiflichkeit phantastische Spiel und dies, vav
der Schein des Wirklichen, der Sinn im lustigen Unsinn gewahrt ist, ergötzt-
so ist hier in den bloßen Abdruck der Wirklichkeit der baare unmögliche Unsinn
nüchtern verflochten.

Bei beiden Gattungen geht die Phantasie des Zuschauers leer aus.
Auch diese will befriedigt sein, ein Stück Romantik spielt noch immer in den
Köpfen, und bei der hellen dürren Prosa der Gegenwart sehnt man sich n^
umsomehr nach der blühenden, luftigen Welt der Märchen und den dustew
mittelalterlichen Abenteuern, nach den grossen, grauenvollen Ausbrüchen einer
leidenschaftlichen Zeit, die aber dennoch mit der ganzen Treue der Localscu


und neckischen Schicksal, denn das Geld ist zur unbedingten Macht über die
Verhältnisse geworden, und hier gibt es nur eine betrügerische List und einen
rohen Zufall, der nicht die Speculation, sondern die gutmüthige Welt trifft,
die jene in sich verwickelt hat. Man sieht, das Bild der wirklichen Zustände
ist nur allzutreu: halbwegs ehrliche Leute haben das Nachsehen, Stück und
Zuschauer bleiben an der gemeinen Erde kleben, kein Gelächter reinigt diese
verdorbene Luft, kein Witz befreit von der materiellen Schwere dieser Wirk¬
lichkeit. Die Pläne des Abenteurers zerschellen weder'an der Festigkeit der
sittlichen Welt noch an der Verkehrtheit des eigenen bösen Willens; sie schei¬
tern lediglich an der Unklughett, und diese ist in dem Mann der Börse so we¬
nig begründet, daß er vielmehr eben dadurch als ein ziemlich erbärmliches
Exemplar seiner Gattung erscheint.

Der Franzose findet denn auch diese Art von Lustspiel keineswegs lustig
und sucht sich andrerseits durch die bloße Posse zu entschädigen. Das La¬
chen soll man ihm wenigstens nicht nehmen. Aber wie sich einerseits das
Bild der Wirklichkeit nicht mehr in den idealisirenden Aether des Komischen
erheben kann, so sinkt andrerseits die Posse in die Tiefe der.Gemeinheit hinab,
indem sie mit übertriebenen Realismus das Gemeine gemein behandelt. Auch
hier gibt das wirkliche Leben den Stoff ab; aber der Witz besteht in derben
Zoten und der allergröbsten Handgreiflichkeit, die demi-monde ist hier die un¬
terste Schichte der Gesellschaft, welche die elegante Erscheinung nur noch in
der Kleidung, nicht mehr in der Umgangsform bewahrt und der Conflict mit
der anständigen Welt liegt darin, daß jene diese im buchstäblichen Sinne des
Wortes mit frechen Händen anpackt, zu sich herabzerrt, zum Faustkampf heraus¬
fordert und nicht eher ruht, bis es zum wirtlichen Raufen kommt, wo sie dann
schließlich mit einem Rest natürlicher Gutmüthigkeit nachgibt. Man lacht wol
über das tolle Treiben, aber es ist ein krampfhaftes Lachen, es wird gezcn^
auch an den Lachmustel». bis diese dem Kitzel nicht länger widerstehen kön¬
nen. Dem Deutschen ist nach einer solchen Posse zu Muthe wie nach einer
in wilder Orgie zugebrachten Nacht. Und wenn uns in der wahren Pos!^
das ausgelassene, bei aller Handgreiflichkeit phantastische Spiel und dies, vav
der Schein des Wirklichen, der Sinn im lustigen Unsinn gewahrt ist, ergötzt-
so ist hier in den bloßen Abdruck der Wirklichkeit der baare unmögliche Unsinn
nüchtern verflochten.

Bei beiden Gattungen geht die Phantasie des Zuschauers leer aus.
Auch diese will befriedigt sein, ein Stück Romantik spielt noch immer in den
Köpfen, und bei der hellen dürren Prosa der Gegenwart sehnt man sich n^
umsomehr nach der blühenden, luftigen Welt der Märchen und den dustew
mittelalterlichen Abenteuern, nach den grossen, grauenvollen Ausbrüchen einer
leidenschaftlichen Zeit, die aber dennoch mit der ganzen Treue der Localscu


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[0234] und neckischen Schicksal, denn das Geld ist zur unbedingten Macht über die Verhältnisse geworden, und hier gibt es nur eine betrügerische List und einen rohen Zufall, der nicht die Speculation, sondern die gutmüthige Welt trifft, die jene in sich verwickelt hat. Man sieht, das Bild der wirklichen Zustände ist nur allzutreu: halbwegs ehrliche Leute haben das Nachsehen, Stück und Zuschauer bleiben an der gemeinen Erde kleben, kein Gelächter reinigt diese verdorbene Luft, kein Witz befreit von der materiellen Schwere dieser Wirk¬ lichkeit. Die Pläne des Abenteurers zerschellen weder'an der Festigkeit der sittlichen Welt noch an der Verkehrtheit des eigenen bösen Willens; sie schei¬ tern lediglich an der Unklughett, und diese ist in dem Mann der Börse so we¬ nig begründet, daß er vielmehr eben dadurch als ein ziemlich erbärmliches Exemplar seiner Gattung erscheint. Der Franzose findet denn auch diese Art von Lustspiel keineswegs lustig und sucht sich andrerseits durch die bloße Posse zu entschädigen. Das La¬ chen soll man ihm wenigstens nicht nehmen. Aber wie sich einerseits das Bild der Wirklichkeit nicht mehr in den idealisirenden Aether des Komischen erheben kann, so sinkt andrerseits die Posse in die Tiefe der.Gemeinheit hinab, indem sie mit übertriebenen Realismus das Gemeine gemein behandelt. Auch hier gibt das wirkliche Leben den Stoff ab; aber der Witz besteht in derben Zoten und der allergröbsten Handgreiflichkeit, die demi-monde ist hier die un¬ terste Schichte der Gesellschaft, welche die elegante Erscheinung nur noch in der Kleidung, nicht mehr in der Umgangsform bewahrt und der Conflict mit der anständigen Welt liegt darin, daß jene diese im buchstäblichen Sinne des Wortes mit frechen Händen anpackt, zu sich herabzerrt, zum Faustkampf heraus¬ fordert und nicht eher ruht, bis es zum wirtlichen Raufen kommt, wo sie dann schließlich mit einem Rest natürlicher Gutmüthigkeit nachgibt. Man lacht wol über das tolle Treiben, aber es ist ein krampfhaftes Lachen, es wird gezcn^ auch an den Lachmustel». bis diese dem Kitzel nicht länger widerstehen kön¬ nen. Dem Deutschen ist nach einer solchen Posse zu Muthe wie nach einer in wilder Orgie zugebrachten Nacht. Und wenn uns in der wahren Pos!^ das ausgelassene, bei aller Handgreiflichkeit phantastische Spiel und dies, vav der Schein des Wirklichen, der Sinn im lustigen Unsinn gewahrt ist, ergötzt- so ist hier in den bloßen Abdruck der Wirklichkeit der baare unmögliche Unsinn nüchtern verflochten. Bei beiden Gattungen geht die Phantasie des Zuschauers leer aus. Auch diese will befriedigt sein, ein Stück Romantik spielt noch immer in den Köpfen, und bei der hellen dürren Prosa der Gegenwart sehnt man sich n^ umsomehr nach der blühenden, luftigen Welt der Märchen und den dustew mittelalterlichen Abenteuern, nach den grossen, grauenvollen Ausbrüchen einer leidenschaftlichen Zeit, die aber dennoch mit der ganzen Treue der Localscu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/234>, abgerufen am 26.08.2024.