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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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und Gastfreundliche, der Prunkliebende, der sich mit schönen Kleidern und
Waffen zeigt, endlich der kluge Rathgeber, welcher seine Meinung in der
Volksversammlung klar und überzeugend vorzutragen versteht. Hauptfehler
der Volksseele sind Neid, Habgier und Undankbarkeit, Alles Kinder des mittel¬
mäßigen kurzsichtigen Egoismus. Raub bringt Ehre, weil er Muth zur Vor¬
aussetzung hat, Diebstahl ist selten und verachtet. Gewissensbisse sind fast
unerhört. Selbstmorde kommen unter Männern nie vor, unter Weibern sind
sie nicht selten.

Eine eigenthümliche Erscheinung ist, daß alle diese verkommenen unwis¬
senden Völker sich für weit besser halten, als die Europäer. Von fremden
Landen der Wissenschaft halber nach Abyssinien zu kommen, scheint völlig un¬
glaublich. Die europäischen Reisenden werden als Leute betrachtet, die da¬
heim nicht gut gethan haben und fortgejagt worden sind. Ihre Bestrebungen
erscheinen, wo sie nicht dem unmittelbaren sinnlichen Nutzen dienen als lächer¬
lich Einem Naturforscher ergeht es hier wie dem Wielandschen Demoknt.
Sucht er Pflanzen, so geschieht es, um Gift daraus zu kochen, sucht er Mine¬
ralien, so ist es sür Gold, schaut er auf die Magnetnadel, so verhext er das
Land. Neues wird schwer angenommen, es ist fremd und darum schlecht.
Was den Vätern gut erschien, muß auch für die Kinder vortheilhaft sein.
So werden die alten Sitten zu Dogmen, die unverletzlich sind. Eine Frau
würde eher die eheliche Treue verletzen, als den Namen ihres Mannes aus-
sprechen. Jenes ist ohne Zweifel eine große Sünde, dieses aber ist "Sare",
d. h. etwas ganz Unerhörtes.

Höchst interessant ist, was Munzingcr über die politische Verfassung und
das Recht der Bogos mittheilt. Wir sehen darin ein Stück altabyssinischer
Civilisation, unverändert durch die im eigentlichen Habesch zur Bedeutung ge¬
langte Königsgewalt, unvermischt mit den Sitten, die sich in andern Nachbar¬
ländern mit dem Islam einbürgerten, aber allerdings vielfach durch Krieg ver¬
dunkelt und wieder von der ursprünglichen Barbarei überwuchert.

Die Bogos bilden eine patriarchalisch regierte Familienaristokratie. Ihr
Recht hat zu seiner Basis den Familienverband und ist ein Erzeugniß der äu¬
ßern Nothwendigkeit. Gesetz und Sitte verfließen in demselben in einander,
Recht und Moral aber hängen darin nicht zusammen, und nur solche Thaten,
welche dem Interesse des Nachbars zu nahe treten, gelten als Verbrechen.
Bürgschaften des Rechts sind die Familienliebe, die Eifersucht der einzelnen
Familien des Stammes, die Furcht vor Einmischung von Fremden und die
Anhänglichkeit an das Herkommen. Die Familie ist Staat, Souverän und
Gesetzgeber. Die Verwandtschaft der Bogos zerfällt in drei Kreise. Der erste
ist das ganze echte Bogosvolk, die sogenannten Schmagilli; der zweite, engere
begreift das einzelne Geschlecht, d. h. die Söhne eines Vaters bis auf sieben


und Gastfreundliche, der Prunkliebende, der sich mit schönen Kleidern und
Waffen zeigt, endlich der kluge Rathgeber, welcher seine Meinung in der
Volksversammlung klar und überzeugend vorzutragen versteht. Hauptfehler
der Volksseele sind Neid, Habgier und Undankbarkeit, Alles Kinder des mittel¬
mäßigen kurzsichtigen Egoismus. Raub bringt Ehre, weil er Muth zur Vor¬
aussetzung hat, Diebstahl ist selten und verachtet. Gewissensbisse sind fast
unerhört. Selbstmorde kommen unter Männern nie vor, unter Weibern sind
sie nicht selten.

Eine eigenthümliche Erscheinung ist, daß alle diese verkommenen unwis¬
senden Völker sich für weit besser halten, als die Europäer. Von fremden
Landen der Wissenschaft halber nach Abyssinien zu kommen, scheint völlig un¬
glaublich. Die europäischen Reisenden werden als Leute betrachtet, die da¬
heim nicht gut gethan haben und fortgejagt worden sind. Ihre Bestrebungen
erscheinen, wo sie nicht dem unmittelbaren sinnlichen Nutzen dienen als lächer¬
lich Einem Naturforscher ergeht es hier wie dem Wielandschen Demoknt.
Sucht er Pflanzen, so geschieht es, um Gift daraus zu kochen, sucht er Mine¬
ralien, so ist es sür Gold, schaut er auf die Magnetnadel, so verhext er das
Land. Neues wird schwer angenommen, es ist fremd und darum schlecht.
Was den Vätern gut erschien, muß auch für die Kinder vortheilhaft sein.
So werden die alten Sitten zu Dogmen, die unverletzlich sind. Eine Frau
würde eher die eheliche Treue verletzen, als den Namen ihres Mannes aus-
sprechen. Jenes ist ohne Zweifel eine große Sünde, dieses aber ist „Sare",
d. h. etwas ganz Unerhörtes.

Höchst interessant ist, was Munzingcr über die politische Verfassung und
das Recht der Bogos mittheilt. Wir sehen darin ein Stück altabyssinischer
Civilisation, unverändert durch die im eigentlichen Habesch zur Bedeutung ge¬
langte Königsgewalt, unvermischt mit den Sitten, die sich in andern Nachbar¬
ländern mit dem Islam einbürgerten, aber allerdings vielfach durch Krieg ver¬
dunkelt und wieder von der ursprünglichen Barbarei überwuchert.

Die Bogos bilden eine patriarchalisch regierte Familienaristokratie. Ihr
Recht hat zu seiner Basis den Familienverband und ist ein Erzeugniß der äu¬
ßern Nothwendigkeit. Gesetz und Sitte verfließen in demselben in einander,
Recht und Moral aber hängen darin nicht zusammen, und nur solche Thaten,
welche dem Interesse des Nachbars zu nahe treten, gelten als Verbrechen.
Bürgschaften des Rechts sind die Familienliebe, die Eifersucht der einzelnen
Familien des Stammes, die Furcht vor Einmischung von Fremden und die
Anhänglichkeit an das Herkommen. Die Familie ist Staat, Souverän und
Gesetzgeber. Die Verwandtschaft der Bogos zerfällt in drei Kreise. Der erste
ist das ganze echte Bogosvolk, die sogenannten Schmagilli; der zweite, engere
begreift das einzelne Geschlecht, d. h. die Söhne eines Vaters bis auf sieben


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/184>, abgerufen am 23.12.2024.