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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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lediglich den Rücksichten der Zweckmäßigkeit folgen. Und wir finden nicht, daß
es sich in Bezug auf die Sache das Mindeste vergeben hat.

Leider können wir von der Form nicht ganz das Nämliche sagen. Der
Contrast zwischen der verbindlichen entgegenkommenden Schreibart des Herrn v.
Schleinitz und der hochfahrend geringschätzigen des Herrn v. Rechberg muß
jeden Unbefangenen unangenehm berühren. Vielleicht hat das gerade den
Letzteren bewogen, diese Stilproben drucken zu lassen: er wollte zeigen, in wel¬
chem Ton Wien mit Berlin redet, da der Ton, welchen es gegen Paris anstimme,
in "Großöstreich" keine Begeisterung hervorgerufen hat. Wir vernehmen,
daß Herr v. Rechberg diesen Ton gegen kleinere Regierungen liebt; aber
wäre es nicht gerade Preußens Aufgabe, ihm denselben abzugewöhnen?
Durch übertriebene Höflichkeit wird man ihn wahrlich nicht davon überzeugen,
daß er es mit einem Ebenbürtigen zu thun hat.

Wie dem auch sei. über die Form würden wir hinweg sehen, wenn nur
der Zweck erreicht wäre. Und auf den ersten Anblick scheint in der That sehr
viel erreicht zu sein. Herr v. Nechberg spricht sich zwar sehr verdrießlich und
wegwerfend aus. aber er kommt doch zu dem Resultat, daß, Alles in Allem
betrachtet, eine Rückkehr zur Verfassung von 1831 und eine Ausmerzung der
als bundeswidrig bezeichneten Bestimmungen dieser Verfassung durch den recht¬
mäßigen Landtag d. h. durch den Landtag von 1831 das Zweckmäßigste wäre.
Er kommt zu dem nicht minder wichtigen und höchst charakteristischen Zuge¬
ständnis daß der bekannte Bundesbeschluß von 1860 dieser Vereinbarung nicht
im Wege steht.

Das sind sehr erhebliche Zugeständnisse, und sie hätten, zur rechten Zeit
veröffentlicht, eine große Wirkung gethan. Zwar wollte Oestreich das
Wahlgesetz von 1849 und das Einkammersystem nicht gelten lassen, aber
gerade dadurch erhielt Preußen Gelegenheit, sein weiteres Eingehen auf die
Rechtsansprüche des hessischen Volks geltend zu machen.

Die Note vom 10. April macht das in der That geltend. Sie constatirt
die Lage, in welcher Kurhessen nach dem neuen Ausschreiben der Wahlen sich
befand, und zeigt, daß sowol Oestreich als Preußen für den Fall, daß entweder
d'e Wahlen nicht zu Stande kämen, oder daß mit den Gewählten keine Ver¬
einbarung möglich sei. dem Kurfürsten den ernsten Rath geben müßten, jetzt
unmittelbar die Stunde von 1831 einzuberufen.

"Auf diese Mittheilung", setzt die Allg. Preuß. Zeitung betrübt hinzu, "ist
eine östreichische Nückäußerung nicht erfolgt. Die von Preußen gewünschte ge¬
meinsame Einwirkung hat daher auch nicht stattgefunden, und die hessische Re¬
gierung hat sich durch die Vorstellung Preußens von dem alten Wege nicht abhal¬
ten lassen."

Wie gesagt, wir sind in die Geheimnisse der Diplomatie nicht eingeweiht,


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lediglich den Rücksichten der Zweckmäßigkeit folgen. Und wir finden nicht, daß
es sich in Bezug auf die Sache das Mindeste vergeben hat.

Leider können wir von der Form nicht ganz das Nämliche sagen. Der
Contrast zwischen der verbindlichen entgegenkommenden Schreibart des Herrn v.
Schleinitz und der hochfahrend geringschätzigen des Herrn v. Rechberg muß
jeden Unbefangenen unangenehm berühren. Vielleicht hat das gerade den
Letzteren bewogen, diese Stilproben drucken zu lassen: er wollte zeigen, in wel¬
chem Ton Wien mit Berlin redet, da der Ton, welchen es gegen Paris anstimme,
in „Großöstreich" keine Begeisterung hervorgerufen hat. Wir vernehmen,
daß Herr v. Rechberg diesen Ton gegen kleinere Regierungen liebt; aber
wäre es nicht gerade Preußens Aufgabe, ihm denselben abzugewöhnen?
Durch übertriebene Höflichkeit wird man ihn wahrlich nicht davon überzeugen,
daß er es mit einem Ebenbürtigen zu thun hat.

Wie dem auch sei. über die Form würden wir hinweg sehen, wenn nur
der Zweck erreicht wäre. Und auf den ersten Anblick scheint in der That sehr
viel erreicht zu sein. Herr v. Nechberg spricht sich zwar sehr verdrießlich und
wegwerfend aus. aber er kommt doch zu dem Resultat, daß, Alles in Allem
betrachtet, eine Rückkehr zur Verfassung von 1831 und eine Ausmerzung der
als bundeswidrig bezeichneten Bestimmungen dieser Verfassung durch den recht¬
mäßigen Landtag d. h. durch den Landtag von 1831 das Zweckmäßigste wäre.
Er kommt zu dem nicht minder wichtigen und höchst charakteristischen Zuge¬
ständnis daß der bekannte Bundesbeschluß von 1860 dieser Vereinbarung nicht
im Wege steht.

Das sind sehr erhebliche Zugeständnisse, und sie hätten, zur rechten Zeit
veröffentlicht, eine große Wirkung gethan. Zwar wollte Oestreich das
Wahlgesetz von 1849 und das Einkammersystem nicht gelten lassen, aber
gerade dadurch erhielt Preußen Gelegenheit, sein weiteres Eingehen auf die
Rechtsansprüche des hessischen Volks geltend zu machen.

Die Note vom 10. April macht das in der That geltend. Sie constatirt
die Lage, in welcher Kurhessen nach dem neuen Ausschreiben der Wahlen sich
befand, und zeigt, daß sowol Oestreich als Preußen für den Fall, daß entweder
d'e Wahlen nicht zu Stande kämen, oder daß mit den Gewählten keine Ver¬
einbarung möglich sei. dem Kurfürsten den ernsten Rath geben müßten, jetzt
unmittelbar die Stunde von 1831 einzuberufen.

„Auf diese Mittheilung", setzt die Allg. Preuß. Zeitung betrübt hinzu, „ist
eine östreichische Nückäußerung nicht erfolgt. Die von Preußen gewünschte ge¬
meinsame Einwirkung hat daher auch nicht stattgefunden, und die hessische Re¬
gierung hat sich durch die Vorstellung Preußens von dem alten Wege nicht abhal¬
ten lassen."

Wie gesagt, wir sind in die Geheimnisse der Diplomatie nicht eingeweiht,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/125>, abgerufen am 26.06.2024.