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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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und dafür ein Dasein einzutauschen gezwungen werden sollte, das einer voll¬
ständigen Verkümmerung gleichkommen würde.

Diese Erwägungen haben in der neuesten Zeit das Erscheinen zweier
Broschüren bewirkt, von denen die eine: "Die Negierungsfolge im Herzog-
thume Braunschweig nach dem Erlöschen des Braunschweig-Wolfcnbüttelschen
Fürstenhauses. Berlin 1861. Verlag von Julius Springer," um jene ge.-.
fürchtete Eventualität als in den Rechten nicht begründet nachzuweisen, weit
über das Ziel schießt, indem sie die Successionsberechtigung des königlichen
Hauses bestreitet und zugleich die Möglichkeit der fortdauernden Selbständig¬
keit des Herzogthums Vraunschweig in der bisherigen Weise leugnet, die
andre aber: "Andeutungen über die braunschweigische Successionsfrage. Von
einem braunschweigischen Juristen. Braunschweig. Friedrich Wagner. 186,1,"
zwar größtentheils das Nichtige trifft, indem sie die Behauptung aufstellt,
daß der successor aus dem königlichen Hause Hannover die staatlichen Ein¬
richtungen Braunschweigs bestehen lassen müsse, so lange nicht unter verfassungs¬
mäßiger Mitwirkung der Landesvertretung anderweite Institutionen ins Leben
gerufen sein werden (S. 27.), jedoch in anderer Beziehung ebenfalls aus
irrigen Voraussetzungen beruht, wie in dem Folgenden weiter angedeutet
werden wird.

Nach den Erfahrungen, welche das Königreich Hannover bereits zwei
Mal, in den Jahren 1837 und 1856 gemacht hat, muß leider die im Herzog-
thume Braunschweig herrschende Befürchtung, daß von Hannover den braun¬
schweigischen Landesrechten, wenn es irgend angeht, die Anerkennung versagt
werden wird, als wohlbegründet erscheinen, und es ist daher natürlich, daß
jetzt, wo es noch Zeit dazu ist, die Rechte Braunschweigs vor ganz 'Deutsch¬
land in das rechte Licht gesetzt werden, um so einen vielleicht beabsichtigten
Rechtsbruch unmöglich zu machen. Oder soll man damit etwa warten, bis
neben der Schleswig-holsteinischen und kurhessischcn auch noch die braun¬
schweigische Frage die deutsche Leidensgeschichte bereichert hat? Soll auch gegen
Vraunschweig zunächst die Macht der Thatsachen, das Recht des Stärkeren in
Anwendung gebracht, und hinterher erst das Recht des Herzogthums dem
deutschen Volke zur Ueberzeugung gebracht werden? Hieße das nicht die schwer¬
sten Leiden Braunschweigs gradezu provociren, um dann erst auf mühsamsten
Wege eine unter allen Umständen problematische in inteZrum restitutio ver¬
suchen zu müssen? Wir halten die oft genannte sechste Großmacht -- die öffent¬
liche Meinung -- in der That für stark genug, um, wenn sie sich bei Zeiten
hören läßt, einen offenen Rechtsbruch zu hemmen, zumal in einer Zeit, in
weicher nicht nur in allen deutschen Landesvertrctungen das freie Mannes¬
wort wiederum sich geltend macht, sondern auch aus dem mächtigsten deut¬
schen Throne ein Repräsentant des Rechts und der Treue das Scepter führt.


und dafür ein Dasein einzutauschen gezwungen werden sollte, das einer voll¬
ständigen Verkümmerung gleichkommen würde.

Diese Erwägungen haben in der neuesten Zeit das Erscheinen zweier
Broschüren bewirkt, von denen die eine: „Die Negierungsfolge im Herzog-
thume Braunschweig nach dem Erlöschen des Braunschweig-Wolfcnbüttelschen
Fürstenhauses. Berlin 1861. Verlag von Julius Springer," um jene ge.-.
fürchtete Eventualität als in den Rechten nicht begründet nachzuweisen, weit
über das Ziel schießt, indem sie die Successionsberechtigung des königlichen
Hauses bestreitet und zugleich die Möglichkeit der fortdauernden Selbständig¬
keit des Herzogthums Vraunschweig in der bisherigen Weise leugnet, die
andre aber: „Andeutungen über die braunschweigische Successionsfrage. Von
einem braunschweigischen Juristen. Braunschweig. Friedrich Wagner. 186,1,"
zwar größtentheils das Nichtige trifft, indem sie die Behauptung aufstellt,
daß der successor aus dem königlichen Hause Hannover die staatlichen Ein¬
richtungen Braunschweigs bestehen lassen müsse, so lange nicht unter verfassungs¬
mäßiger Mitwirkung der Landesvertretung anderweite Institutionen ins Leben
gerufen sein werden (S. 27.), jedoch in anderer Beziehung ebenfalls aus
irrigen Voraussetzungen beruht, wie in dem Folgenden weiter angedeutet
werden wird.

Nach den Erfahrungen, welche das Königreich Hannover bereits zwei
Mal, in den Jahren 1837 und 1856 gemacht hat, muß leider die im Herzog-
thume Braunschweig herrschende Befürchtung, daß von Hannover den braun¬
schweigischen Landesrechten, wenn es irgend angeht, die Anerkennung versagt
werden wird, als wohlbegründet erscheinen, und es ist daher natürlich, daß
jetzt, wo es noch Zeit dazu ist, die Rechte Braunschweigs vor ganz 'Deutsch¬
land in das rechte Licht gesetzt werden, um so einen vielleicht beabsichtigten
Rechtsbruch unmöglich zu machen. Oder soll man damit etwa warten, bis
neben der Schleswig-holsteinischen und kurhessischcn auch noch die braun¬
schweigische Frage die deutsche Leidensgeschichte bereichert hat? Soll auch gegen
Vraunschweig zunächst die Macht der Thatsachen, das Recht des Stärkeren in
Anwendung gebracht, und hinterher erst das Recht des Herzogthums dem
deutschen Volke zur Ueberzeugung gebracht werden? Hieße das nicht die schwer¬
sten Leiden Braunschweigs gradezu provociren, um dann erst auf mühsamsten
Wege eine unter allen Umständen problematische in inteZrum restitutio ver¬
suchen zu müssen? Wir halten die oft genannte sechste Großmacht — die öffent¬
liche Meinung — in der That für stark genug, um, wenn sie sich bei Zeiten
hören läßt, einen offenen Rechtsbruch zu hemmen, zumal in einer Zeit, in
weicher nicht nur in allen deutschen Landesvertrctungen das freie Mannes¬
wort wiederum sich geltend macht, sondern auch aus dem mächtigsten deut¬
schen Throne ein Repräsentant des Rechts und der Treue das Scepter führt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/12>, abgerufen am 22.07.2024.