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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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zum großen Theil für Germanen, resp, deren Abkömmlinge. Nach Tacitus
wird Germanien von den Galliern, Rhätiern und Pannoniern durch die Ströme
Rhein und Donau, von den Sarmaten und Dauern (nach Osten und Süd¬
osten) durch gegenseitige Selen oder Gebirge geschieden und (nach Norden)
von dem Ocean bespült. Strabo sagt, daß der Rhein Germanien von Gallien
scheide, und an einer andern Stelle, daß die Elbe Germanien in zwei Theile
theile, mithin müssen Germanen noch jenseits der Elbe gewohnt haben. Pli-
nius versichert, daß an dem ganzen nördlichen Meere, wo das Sevogebirge
eine ungeheure Bucht, Codanus genannt, bildet, bis zur Schelde germanische
Völker säßen, und nennt als germanische Flüsse: Guttalus, Vistula, Albis,
Visurgis, Amisia, Rhenus, Mosa, bemerkt aber zugleich, daß nach Mancher
Dafürhalten der ganze Strich von dem Sevogebirge bis zu Vistula oder Weich¬
sel von Sarmaten, Venetern. Sciren und Hirren, also nicht von Germanen be¬
wohnt werde. Er scheint sonach die Vistula oder Weichsel als Grenze Germaniens
anzunehmen, doch ist das Bild, welches er vom Nordosten Germaniens ent¬
wirft, sehr unklar, zumal er die Berichte verschiedener Schriftsteller miteinander
vermischt hat. Nach Pomponius Mela wird Germanien aus der einen Seite
durch das Rheinufer bis zu den Alpen, südlich durch die Alpen selbst, östlich
durch die Nachbarschaft sarmatischer Stämme, an der Nordseite durch den
Ocean begrenzt, und da nach ihm Sarmatien von den nächstfolgenden Ländern
durch die Vistula geschieden wird, müssen Sarmaten zwischen Weichsel und
Elbe gesessen haben. Ptolemäus läßt Germanien gegen Westen durch den
Rhein, gegen Norden durch den germanischen Ocean, gegen Süden durch die
Donau, und endlich gegen Osten durch die sarmatischen Berge, wo die Weich¬
sel entspringt, und durch diesen Fluß bis dahin, wo er in das Meer füllt,
begrenzen. Orosius, zu Ausgang der Zeit des Kaisers Honorius lebend, sagt
in seinen sieben Büchern Geschichte, daß in Europa gegen Morgen Alania.
und in der Mitte Dacia liege, wo sich auch Gothia befinde. Hierauf folge
Germania, dessen größten Theil die Sucven, welche aus 54 Völkern beständen,
innehalten, ohne die Grenzen des Landes besonders anzugeben. Jornandes.
etwa um die Zeit des Kaisers Justinianus, spricht nur von der Weichsel oder
Vistula als Grenzfluß zwischen Germanien und Scythien.

Mit dem Untergange des weströmischen Reiches scheint das alte Germa¬
nien zu verschwinden und wir sehen bei dem Geographen von Ravenna
darüber Folgendes aufgezeichnet: "Zur Zeit der ersten Stunde der Nacht finden
wir das Vaterland der Germanen, welches jetzt von den Franken beherrscht
wird, in deren Rücken tiefer im Ocean (otra. 0oeg.nun) die große Insel Bri-
tannia liegt. Zur zweiten Nachtstunde Hausen die Friesen in einem Theile
Germaniens, in deren Rücken weiter unten im Ocean sich mehrere Inseln be¬
finden. Zur Zeit der dritten Nachtstunde zeigt sich das Land der Sachsen, in


zum großen Theil für Germanen, resp, deren Abkömmlinge. Nach Tacitus
wird Germanien von den Galliern, Rhätiern und Pannoniern durch die Ströme
Rhein und Donau, von den Sarmaten und Dauern (nach Osten und Süd¬
osten) durch gegenseitige Selen oder Gebirge geschieden und (nach Norden)
von dem Ocean bespült. Strabo sagt, daß der Rhein Germanien von Gallien
scheide, und an einer andern Stelle, daß die Elbe Germanien in zwei Theile
theile, mithin müssen Germanen noch jenseits der Elbe gewohnt haben. Pli-
nius versichert, daß an dem ganzen nördlichen Meere, wo das Sevogebirge
eine ungeheure Bucht, Codanus genannt, bildet, bis zur Schelde germanische
Völker säßen, und nennt als germanische Flüsse: Guttalus, Vistula, Albis,
Visurgis, Amisia, Rhenus, Mosa, bemerkt aber zugleich, daß nach Mancher
Dafürhalten der ganze Strich von dem Sevogebirge bis zu Vistula oder Weich¬
sel von Sarmaten, Venetern. Sciren und Hirren, also nicht von Germanen be¬
wohnt werde. Er scheint sonach die Vistula oder Weichsel als Grenze Germaniens
anzunehmen, doch ist das Bild, welches er vom Nordosten Germaniens ent¬
wirft, sehr unklar, zumal er die Berichte verschiedener Schriftsteller miteinander
vermischt hat. Nach Pomponius Mela wird Germanien aus der einen Seite
durch das Rheinufer bis zu den Alpen, südlich durch die Alpen selbst, östlich
durch die Nachbarschaft sarmatischer Stämme, an der Nordseite durch den
Ocean begrenzt, und da nach ihm Sarmatien von den nächstfolgenden Ländern
durch die Vistula geschieden wird, müssen Sarmaten zwischen Weichsel und
Elbe gesessen haben. Ptolemäus läßt Germanien gegen Westen durch den
Rhein, gegen Norden durch den germanischen Ocean, gegen Süden durch die
Donau, und endlich gegen Osten durch die sarmatischen Berge, wo die Weich¬
sel entspringt, und durch diesen Fluß bis dahin, wo er in das Meer füllt,
begrenzen. Orosius, zu Ausgang der Zeit des Kaisers Honorius lebend, sagt
in seinen sieben Büchern Geschichte, daß in Europa gegen Morgen Alania.
und in der Mitte Dacia liege, wo sich auch Gothia befinde. Hierauf folge
Germania, dessen größten Theil die Sucven, welche aus 54 Völkern beständen,
innehalten, ohne die Grenzen des Landes besonders anzugeben. Jornandes.
etwa um die Zeit des Kaisers Justinianus, spricht nur von der Weichsel oder
Vistula als Grenzfluß zwischen Germanien und Scythien.

Mit dem Untergange des weströmischen Reiches scheint das alte Germa¬
nien zu verschwinden und wir sehen bei dem Geographen von Ravenna
darüber Folgendes aufgezeichnet: „Zur Zeit der ersten Stunde der Nacht finden
wir das Vaterland der Germanen, welches jetzt von den Franken beherrscht
wird, in deren Rücken tiefer im Ocean (otra. 0oeg.nun) die große Insel Bri-
tannia liegt. Zur zweiten Nachtstunde Hausen die Friesen in einem Theile
Germaniens, in deren Rücken weiter unten im Ocean sich mehrere Inseln be¬
finden. Zur Zeit der dritten Nachtstunde zeigt sich das Land der Sachsen, in


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[0092] zum großen Theil für Germanen, resp, deren Abkömmlinge. Nach Tacitus wird Germanien von den Galliern, Rhätiern und Pannoniern durch die Ströme Rhein und Donau, von den Sarmaten und Dauern (nach Osten und Süd¬ osten) durch gegenseitige Selen oder Gebirge geschieden und (nach Norden) von dem Ocean bespült. Strabo sagt, daß der Rhein Germanien von Gallien scheide, und an einer andern Stelle, daß die Elbe Germanien in zwei Theile theile, mithin müssen Germanen noch jenseits der Elbe gewohnt haben. Pli- nius versichert, daß an dem ganzen nördlichen Meere, wo das Sevogebirge eine ungeheure Bucht, Codanus genannt, bildet, bis zur Schelde germanische Völker säßen, und nennt als germanische Flüsse: Guttalus, Vistula, Albis, Visurgis, Amisia, Rhenus, Mosa, bemerkt aber zugleich, daß nach Mancher Dafürhalten der ganze Strich von dem Sevogebirge bis zu Vistula oder Weich¬ sel von Sarmaten, Venetern. Sciren und Hirren, also nicht von Germanen be¬ wohnt werde. Er scheint sonach die Vistula oder Weichsel als Grenze Germaniens anzunehmen, doch ist das Bild, welches er vom Nordosten Germaniens ent¬ wirft, sehr unklar, zumal er die Berichte verschiedener Schriftsteller miteinander vermischt hat. Nach Pomponius Mela wird Germanien aus der einen Seite durch das Rheinufer bis zu den Alpen, südlich durch die Alpen selbst, östlich durch die Nachbarschaft sarmatischer Stämme, an der Nordseite durch den Ocean begrenzt, und da nach ihm Sarmatien von den nächstfolgenden Ländern durch die Vistula geschieden wird, müssen Sarmaten zwischen Weichsel und Elbe gesessen haben. Ptolemäus läßt Germanien gegen Westen durch den Rhein, gegen Norden durch den germanischen Ocean, gegen Süden durch die Donau, und endlich gegen Osten durch die sarmatischen Berge, wo die Weich¬ sel entspringt, und durch diesen Fluß bis dahin, wo er in das Meer füllt, begrenzen. Orosius, zu Ausgang der Zeit des Kaisers Honorius lebend, sagt in seinen sieben Büchern Geschichte, daß in Europa gegen Morgen Alania. und in der Mitte Dacia liege, wo sich auch Gothia befinde. Hierauf folge Germania, dessen größten Theil die Sucven, welche aus 54 Völkern beständen, innehalten, ohne die Grenzen des Landes besonders anzugeben. Jornandes. etwa um die Zeit des Kaisers Justinianus, spricht nur von der Weichsel oder Vistula als Grenzfluß zwischen Germanien und Scythien. Mit dem Untergange des weströmischen Reiches scheint das alte Germa¬ nien zu verschwinden und wir sehen bei dem Geographen von Ravenna darüber Folgendes aufgezeichnet: „Zur Zeit der ersten Stunde der Nacht finden wir das Vaterland der Germanen, welches jetzt von den Franken beherrscht wird, in deren Rücken tiefer im Ocean (otra. 0oeg.nun) die große Insel Bri- tannia liegt. Zur zweiten Nachtstunde Hausen die Friesen in einem Theile Germaniens, in deren Rücken weiter unten im Ocean sich mehrere Inseln be¬ finden. Zur Zeit der dritten Nachtstunde zeigt sich das Land der Sachsen, in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/92>, abgerufen am 01.07.2024.