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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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des Kaisers Alexander und der russischen Aristokratie in hohem Maaße zu er¬
werben und hat unstreitig viel dazu beigetragen, daß Alexander sich nach dem
Sturz Napoleons so warm für die Herstellung des Königs von Piemont ver¬
wandte. Wir thun im Durchlesen der beiden Bände einen tiefen Blick in
die Verhältnisse der russischen Gesellschaft. Die Bemerkungen stimmen sehr
mit denen, die wir in Steins Leben finden, und es ist nur befremdlich, daß
Stein, der doch bekanntlich während des Aufenthaltes in Petersburg dort eine
große Stellung einnahm, gar nicht erwähnt wird. Merkwürdig ist nun be¬
sonders in diesen Depeschen, wie vollkommen frei von Borurtheilen der Graf
in der Praxis bei den Großen war, die er theoretisch so unantastbar hin¬
stellte. Bei aller Verehrung für Alexander durchschaute er vollkommen dessen
Schwächen, er tadelt, daß der Kaiser stets den General spielen wolle und
gegen Napoleon geäußert habe: ne seriri Mlimis Lmxvieur connu vous
l'ödes; "der Kaiser glaubt, er sei seinem Volke unnütz, weil er sich wenig fähig
fühlt Armeen zu befehligen, er könnte sich ebenso gut darüber beklagen, daß er
kein Talent zur Astronomie habe; das erste aller Talente ist zu regieren. es
beschäftigt alle andern und übertrifft sie. Philipp der Zweite ist nie im Felde
erschienen und doch, wie mich dünkt, kein Automat gewesen, aber bald werden
wir hören, daß der König von England seine Flotten in Person befehligen
muß, wenn er nicht für unnütz erklärt werden soll." Bei einer Schilderung
des russischen Hofes sagt er, es zeige keineswegs einen Mangel an Ehrerbie¬
tung, von Intriguen höchster Personen zu sprechen, denn wo ein Mittelpunkt
so großer Macht vorhanden, da sei es ganz natürlich, daß derselbe vom Kampfe
des Ehrgeizes der Menschen umgeben werde. In seinen Büchern bekämpft
er nnr die Volkssouveränität, in seinen Depeschen predigt er den Souveränen.
"Die revolutionären Prinzipien, heißt es II. p. 217, sind hoch gestiegen, man
glaubt, daß die Völker Fürsten machen können und daß die Fürsten selbst
ihresgleichen ohne Frauen hervorbringen können, zwei grundverderbliche Mei¬
nungen, die erste ist die Volkssouveränitüt, die andre, nach der man jetzt in
Wien die neueste Galantine von europäischen Souveränitäten macht, ist viel¬
leicht noch schlimmer. I'our k-z-ire; un laues, it kaut (M'un princtz et une
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die Fürsten ein Spiel, um alle souveränen Familien Europas, eine nach der
andern zu Grunde zu richten." -- Er sah ein. daß gewaltsame Unterdrückung
zu nichts führen könne, "Ludwig der Achtzehnte.. sagt er, ist nicht auf den
Thron seiner Ahnen gestiegen, sondern auf den Thron Bonapartes. Die
Kunst der Fürsten wird jetzt sein, die Revolution zu beherrschen und in der
Umarmung sanft zu ersticken, ihr sich offen entgegenwerfen hieße sie an¬
schüren und sich dem Verderben aussetzen. Man muß unaufhörlich den Für-


des Kaisers Alexander und der russischen Aristokratie in hohem Maaße zu er¬
werben und hat unstreitig viel dazu beigetragen, daß Alexander sich nach dem
Sturz Napoleons so warm für die Herstellung des Königs von Piemont ver¬
wandte. Wir thun im Durchlesen der beiden Bände einen tiefen Blick in
die Verhältnisse der russischen Gesellschaft. Die Bemerkungen stimmen sehr
mit denen, die wir in Steins Leben finden, und es ist nur befremdlich, daß
Stein, der doch bekanntlich während des Aufenthaltes in Petersburg dort eine
große Stellung einnahm, gar nicht erwähnt wird. Merkwürdig ist nun be¬
sonders in diesen Depeschen, wie vollkommen frei von Borurtheilen der Graf
in der Praxis bei den Großen war, die er theoretisch so unantastbar hin¬
stellte. Bei aller Verehrung für Alexander durchschaute er vollkommen dessen
Schwächen, er tadelt, daß der Kaiser stets den General spielen wolle und
gegen Napoleon geäußert habe: ne seriri Mlimis Lmxvieur connu vous
l'ödes; „der Kaiser glaubt, er sei seinem Volke unnütz, weil er sich wenig fähig
fühlt Armeen zu befehligen, er könnte sich ebenso gut darüber beklagen, daß er
kein Talent zur Astronomie habe; das erste aller Talente ist zu regieren. es
beschäftigt alle andern und übertrifft sie. Philipp der Zweite ist nie im Felde
erschienen und doch, wie mich dünkt, kein Automat gewesen, aber bald werden
wir hören, daß der König von England seine Flotten in Person befehligen
muß, wenn er nicht für unnütz erklärt werden soll." Bei einer Schilderung
des russischen Hofes sagt er, es zeige keineswegs einen Mangel an Ehrerbie¬
tung, von Intriguen höchster Personen zu sprechen, denn wo ein Mittelpunkt
so großer Macht vorhanden, da sei es ganz natürlich, daß derselbe vom Kampfe
des Ehrgeizes der Menschen umgeben werde. In seinen Büchern bekämpft
er nnr die Volkssouveränität, in seinen Depeschen predigt er den Souveränen.
„Die revolutionären Prinzipien, heißt es II. p. 217, sind hoch gestiegen, man
glaubt, daß die Völker Fürsten machen können und daß die Fürsten selbst
ihresgleichen ohne Frauen hervorbringen können, zwei grundverderbliche Mei¬
nungen, die erste ist die Volkssouveränitüt, die andre, nach der man jetzt in
Wien die neueste Galantine von europäischen Souveränitäten macht, ist viel¬
leicht noch schlimmer. I'our k-z-ire; un laues, it kaut (M'un princtz et une
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entre manulÄeturo etoit vers kvrmSö se ä^clarvL imUe. Jetzt aber spielen
die Fürsten ein Spiel, um alle souveränen Familien Europas, eine nach der
andern zu Grunde zu richten." — Er sah ein. daß gewaltsame Unterdrückung
zu nichts führen könne, „Ludwig der Achtzehnte.. sagt er, ist nicht auf den
Thron seiner Ahnen gestiegen, sondern auf den Thron Bonapartes. Die
Kunst der Fürsten wird jetzt sein, die Revolution zu beherrschen und in der
Umarmung sanft zu ersticken, ihr sich offen entgegenwerfen hieße sie an¬
schüren und sich dem Verderben aussetzen. Man muß unaufhörlich den Für-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/84>, abgerufen am 22.07.2024.