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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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schauung, die, aus denselben Gründen wie hier hervorgegangen, auch das
ganze griechische Alterthum beherrschte und selbst von den Philosophen Athens
festgehalten wurde. Seit Abschaffung der Erstgeburts-Rechte sind manche von
den großen Gütern zertheilt worden, und die Besitzer derselben sind zum Theil
bis zur Dürftigkeit herabgesunken. Viele dieser Verarmten leben lieber von
den Unterstützungen ihrer Freunde, als daß sie arbeiteten, und die, welche,
männlicher denkend, sich redlichen Erwerb suchten, haben wenigstens den Staat,
in dem sie geboren, verlassen und sich in solche Gegenden gewendet, wo die
Arbeit nicht sür des freien Mannes unwürdig gehalten wird. Mit Hunderten
von Sklaven umgeben vegetirt der virginische Pflanzer auf seiner Plantage,
deren Verwaltung er häufig einem Aufseher überläßt. Die geistig weniger
Lebhafter, weniger Strebsamen geben sich lediglich dem Vergnügen, die Be¬
gabteren und Ehrgeizigen dem Studium hin, und ganz ebenso ist es mit ihren
Familien. Jeder Arbeit, welche körperliche Anstrengung erfordert, fremd, bei
jedem Wunsch bedient, haben sie Gelegenheit und Muße in Fülle, sich die
aristokratische Anmuth und Ruhe anzueignen, die sie im Verkehr mit Andern
so liebenswürdig machen. Wenn dies in Virginien noch mehr der Fall ist,
als in den südlicheren Sklavenstaaten, so liegt der Grund hiervon darin, daß
die Aristokratie hier älter ist als dort, wo man in vieler! Gegenden noch vor
vierzig Jahren neue Plantagen gründete, mit Indianern zu kämpfen hatte und
auf Sitte und Sinn die Rauhheiten des Hinterwäldlerievens und die üblen
Elemente wirkten, welche das wallende Meer des Culturproccsses Amerikas
fortwährend nach den westlichen Grenzen hinspülte. Aber selbst hier unten
in Südcarolina, Georgia und Alabama trifft man weit öfterer mit-Leuten von
feiner Lebensart und guter Bildung zusammen, als (die großen Städte, be¬
sonders Boston und Philadelphia ausgenommen) in den freien Staaten.

Der Amerikaner ist bekanntlich im Allgemeinrn nichts weniger als frei
von Ahnenstolz. Man hat großen Respect vor sogenannten "seltmaäö men",
aber man weiß auch die Abkunft von bedeutenden Namen zu schätzen, und
nicht wenige, die überhaupt vollkommen sicher sind, einen Urgroßvater zu be¬
sitzen, legen eine ebenso große Vorliebe sür dessen Gedächtniß an den Tag,
als Enkel in Ländern, wo der Adel gesetzlichen Curs hat. Kann eins seine
Abstammung bis vor die Revolution zurückführen, so geschieht dies mit be¬
trächtlicher Genugthuung, und reicht der Stammbaum gar bis über das Meer
hinüber und in irgend eine Landadelsfamilie Englands hinein, so ist das Be-
hagen doppelt so groß. In Virginien begegnet man dieser Art von Stolz
besonders häufig. Es gibt hier eine ziemliche Anzahl Familien, die sich mit
großem Selbstgefühl ihrer directen und unleugbaren Abstammung aus England
rühmen, welche hier allerdings weniger als anderswo Zweifel unterliegt, indem


Grenzboten II. 1861. 64

schauung, die, aus denselben Gründen wie hier hervorgegangen, auch das
ganze griechische Alterthum beherrschte und selbst von den Philosophen Athens
festgehalten wurde. Seit Abschaffung der Erstgeburts-Rechte sind manche von
den großen Gütern zertheilt worden, und die Besitzer derselben sind zum Theil
bis zur Dürftigkeit herabgesunken. Viele dieser Verarmten leben lieber von
den Unterstützungen ihrer Freunde, als daß sie arbeiteten, und die, welche,
männlicher denkend, sich redlichen Erwerb suchten, haben wenigstens den Staat,
in dem sie geboren, verlassen und sich in solche Gegenden gewendet, wo die
Arbeit nicht sür des freien Mannes unwürdig gehalten wird. Mit Hunderten
von Sklaven umgeben vegetirt der virginische Pflanzer auf seiner Plantage,
deren Verwaltung er häufig einem Aufseher überläßt. Die geistig weniger
Lebhafter, weniger Strebsamen geben sich lediglich dem Vergnügen, die Be¬
gabteren und Ehrgeizigen dem Studium hin, und ganz ebenso ist es mit ihren
Familien. Jeder Arbeit, welche körperliche Anstrengung erfordert, fremd, bei
jedem Wunsch bedient, haben sie Gelegenheit und Muße in Fülle, sich die
aristokratische Anmuth und Ruhe anzueignen, die sie im Verkehr mit Andern
so liebenswürdig machen. Wenn dies in Virginien noch mehr der Fall ist,
als in den südlicheren Sklavenstaaten, so liegt der Grund hiervon darin, daß
die Aristokratie hier älter ist als dort, wo man in vieler! Gegenden noch vor
vierzig Jahren neue Plantagen gründete, mit Indianern zu kämpfen hatte und
auf Sitte und Sinn die Rauhheiten des Hinterwäldlerievens und die üblen
Elemente wirkten, welche das wallende Meer des Culturproccsses Amerikas
fortwährend nach den westlichen Grenzen hinspülte. Aber selbst hier unten
in Südcarolina, Georgia und Alabama trifft man weit öfterer mit-Leuten von
feiner Lebensart und guter Bildung zusammen, als (die großen Städte, be¬
sonders Boston und Philadelphia ausgenommen) in den freien Staaten.

Der Amerikaner ist bekanntlich im Allgemeinrn nichts weniger als frei
von Ahnenstolz. Man hat großen Respect vor sogenannten „seltmaäö men",
aber man weiß auch die Abkunft von bedeutenden Namen zu schätzen, und
nicht wenige, die überhaupt vollkommen sicher sind, einen Urgroßvater zu be¬
sitzen, legen eine ebenso große Vorliebe sür dessen Gedächtniß an den Tag,
als Enkel in Ländern, wo der Adel gesetzlichen Curs hat. Kann eins seine
Abstammung bis vor die Revolution zurückführen, so geschieht dies mit be¬
trächtlicher Genugthuung, und reicht der Stammbaum gar bis über das Meer
hinüber und in irgend eine Landadelsfamilie Englands hinein, so ist das Be-
hagen doppelt so groß. In Virginien begegnet man dieser Art von Stolz
besonders häufig. Es gibt hier eine ziemliche Anzahl Familien, die sich mit
großem Selbstgefühl ihrer directen und unleugbaren Abstammung aus England
rühmen, welche hier allerdings weniger als anderswo Zweifel unterliegt, indem


Grenzboten II. 1861. 64
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/515>, abgerufen am 25.08.2024.