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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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hält und wo möglich alle Angelegenheiten durch endgültige Machtsprüche er¬
ledigen möchte. So im stritten Gegensatz gegen die Gewohnheiten hiesiger
Offiziere, hatte er unter uns wenige Freunde. Indeß muß man zugeben,
daß seine Stellung hier schwierig und von allerlei Verdrießlichkeiten umgeben
war. Die Ausgaben für die Auflösung des Heeres waren, da mancherlei
Unterschleif vorkam, bedeutender, als man erwartet hatte. Die piemontesischen
Offiziere sahen in den Kameraden von der Südarmee nur höhere oder ge¬
ringere Führer von Freischaaren und ließen das in vielleicht begreiflicher, aber
nicht eben sehr politischer Weise fühlen. Die Mannschaften der aufzulösenden
Corps trieben in Neapel allerlei Unfug in Fen Straßen und im Theater,
dcmonstrirten und ließen Garibaldi leben, worein sich Rufe mischten, die den
neuen Behörden nichts weniger als bequem sein konnten. Sirtori mahnte zur
Ordnung, und da das nichts fruchtete, wurde die Eisenbahnverbindung mit
Caserta aufgehoben und die Straßen von den näher nach Neapel hin gelegnen
Cantonnements militärisch (meist mit Piemontesen) besetzt, um jeden Offizier
und Soldaten an Ausflügen nach der Hauptstadt ohne Erlaubnißschein zu
hindern.

Wer entlassen war, konnte natürlich nicht mehr zurückgehalten werden.
Um indeß die Anhäufung solcher Verabschiedeter in Neapel zu vermeiden,
trnnsportirte man die Meisten, und zwar selbst Offiziere, wenn sie nicht
lebhaft Einspruch thaten, sofort nach ihrer Entlassung nach den Dampf¬
schiffen und zahlte ihnen erst am Einschiffungsplatze ihren rückständigen Sold
und ihre Gratisicationen aus, wobei jedoch zur Steuer der Wahrheit bemerkt
werden muß, daß man auf solche, die ohne eigentliche Heimath waren oder
sonst gerechten Grund zum Bleiben hatten, billige Rücksicht nahm.

Die Auszahlung der Gelder fand wiederholt Schwierigkeit, und Mancher
geneth durch solche Stockungen in nicht geringe Bedrängniß. Man sah Offi¬
ziere mit nichts als ihrem alten rothen Hemde und Beinkleidern versehen, armselig
und hungrig durch die Straßen gehen, während kalter Regen herabströmte.
Selten wurde ihnen von Kameraden eine Unterstützung zu Theil. Ohne Ob¬
dach und fast ohne Nahrung irrten sie umher, und mancher mag den Tag
verwünscht haben, der ihn in dieses ungastliche Neapel geführt.

Ungeduld, Verdruß, Aerger führte zu nichts. Uebrigens hatte man Ge¬
legenheit genug gehabt. daH Warten zu lernen, und so harrte man geduldig,
bis wieder einmal der Zettel mit den Worten: "Die Casse ist geschlossen
wegen Mangel an Fonds" von der Thür der Intendanz entfernt war.

Ein solcher Tag kam endlich auch für mich. Ich nahm mein Entlassungs-
document und meine Gratification in Empfang, und ein sonniger Februartag
führte mich auf dem Dampfer Generale Garibaldi aus der Misere von Ne¬
apel hinaus und zurück nach Genua.


hält und wo möglich alle Angelegenheiten durch endgültige Machtsprüche er¬
ledigen möchte. So im stritten Gegensatz gegen die Gewohnheiten hiesiger
Offiziere, hatte er unter uns wenige Freunde. Indeß muß man zugeben,
daß seine Stellung hier schwierig und von allerlei Verdrießlichkeiten umgeben
war. Die Ausgaben für die Auflösung des Heeres waren, da mancherlei
Unterschleif vorkam, bedeutender, als man erwartet hatte. Die piemontesischen
Offiziere sahen in den Kameraden von der Südarmee nur höhere oder ge¬
ringere Führer von Freischaaren und ließen das in vielleicht begreiflicher, aber
nicht eben sehr politischer Weise fühlen. Die Mannschaften der aufzulösenden
Corps trieben in Neapel allerlei Unfug in Fen Straßen und im Theater,
dcmonstrirten und ließen Garibaldi leben, worein sich Rufe mischten, die den
neuen Behörden nichts weniger als bequem sein konnten. Sirtori mahnte zur
Ordnung, und da das nichts fruchtete, wurde die Eisenbahnverbindung mit
Caserta aufgehoben und die Straßen von den näher nach Neapel hin gelegnen
Cantonnements militärisch (meist mit Piemontesen) besetzt, um jeden Offizier
und Soldaten an Ausflügen nach der Hauptstadt ohne Erlaubnißschein zu
hindern.

Wer entlassen war, konnte natürlich nicht mehr zurückgehalten werden.
Um indeß die Anhäufung solcher Verabschiedeter in Neapel zu vermeiden,
trnnsportirte man die Meisten, und zwar selbst Offiziere, wenn sie nicht
lebhaft Einspruch thaten, sofort nach ihrer Entlassung nach den Dampf¬
schiffen und zahlte ihnen erst am Einschiffungsplatze ihren rückständigen Sold
und ihre Gratisicationen aus, wobei jedoch zur Steuer der Wahrheit bemerkt
werden muß, daß man auf solche, die ohne eigentliche Heimath waren oder
sonst gerechten Grund zum Bleiben hatten, billige Rücksicht nahm.

Die Auszahlung der Gelder fand wiederholt Schwierigkeit, und Mancher
geneth durch solche Stockungen in nicht geringe Bedrängniß. Man sah Offi¬
ziere mit nichts als ihrem alten rothen Hemde und Beinkleidern versehen, armselig
und hungrig durch die Straßen gehen, während kalter Regen herabströmte.
Selten wurde ihnen von Kameraden eine Unterstützung zu Theil. Ohne Ob¬
dach und fast ohne Nahrung irrten sie umher, und mancher mag den Tag
verwünscht haben, der ihn in dieses ungastliche Neapel geführt.

Ungeduld, Verdruß, Aerger führte zu nichts. Uebrigens hatte man Ge¬
legenheit genug gehabt. daH Warten zu lernen, und so harrte man geduldig,
bis wieder einmal der Zettel mit den Worten: „Die Casse ist geschlossen
wegen Mangel an Fonds" von der Thür der Intendanz entfernt war.

Ein solcher Tag kam endlich auch für mich. Ich nahm mein Entlassungs-
document und meine Gratification in Empfang, und ein sonniger Februartag
führte mich auf dem Dampfer Generale Garibaldi aus der Misere von Ne¬
apel hinaus und zurück nach Genua.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/512>, abgerufen am 25.08.2024.