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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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einigen Minuten ein und Alexander begab sich an das Fenster, wie um die Fassung
erst wieder zu gewinnen, bevor er antwortete. Es dauerte jedoch nicht lauge,
so kehrte er zu Wilson zurück, nahm ihn bei der Hand und küßte ihn nach
russischer Sitte auf Stirn und Wange. "Sie sind die einzige Person", sagte
dann der Kaiser, "von der ich eine solche Mittheilung ruhig hätte anhören
können. Sie Haben mir in dem früheren Feldzuge Ihre Ergebenheit durch
Ihre Dienste bewiesen und sich einen Anspruch auf mein Vertrauen er¬
worben; aber Sie müssen einsehen, daß Sie mich in eine sehr peinliche
Lage bringen. -- Noi souverän as ig, Kussis! -- Mir solche Dinge sagen
zu lassen! Aber die Armee irrt sich in Rumänzow; er hat wirklich keine
Nachgiebigkeit gegen Napoleon angerathen; und ich habe große Achtung
vor ihm, da er fast der Einzige ist, der nie in seinem Leben Etwas für sich
verlangt hat, während jeder Andere in meinen Diensten stets nach Ehren.
Reichthümern oder einem Privatzweck für sich und seine Verwandten strebt.
Ich mag ihn nicht ohne Ursache opfern; aber kommen Sie morgen wieder;
ich muß meine Gedanken sammeln, ehe ich Sie mit einer Antwort abreisen
lasse. Ich kenne die Generäle und die Offiziere ihrer Umgebung recht gut;
ich bin überzeugt, sie meinen ihre Pflicht zu thun, und befürchte nicht, daß sie
uneingestandene Absichten gegen meine Autorität haben. Aber ich bin zu
beklagen; denn ich habe nur Wenige um mich, die eine gesunde Erziehung
genossen oder feste Grundsätze haben; der Hof meiner Großmutter hat die
ganze Erziehung meines Reichs verdorben, indem er sie auf die Erlernung der
französischen Sprache und französischer Frivolitäten und Laster, vorzüglich des
Hazardspiels. beschränkt hat. Ich habe daher wenig, worauf ich mich fest
verlassen kann; nur Impulse; ich darf ihnen womöglich nichl nachgeben;
aber ich will mir Alles überlegen, was Sie mir gesagt haben." Darauf ent¬
ließ der Kaiser den englischen General auf das Huldvollste und befahl ihn
gleich auf den nächsten Tag zu einer neuen Audienz.

In diejer zweiten Unterredung ging der Kaiser ohne weitere Umschweife
gleich auf die Sache ein. indem er sagte: "Wohlan! Nonsisur I'amog.88g,teni-
a<zö rcibklles -- ich habe die ganze Nacht über unser gestriges Gespräch nach¬
gedacht und bin nicht ungerecht gegen Sie gewesen. Sie sollen dem Heere
Pfänder meines Entschlusses überbringen, den Krieg gegen Napoleon fortzu¬
setzen, solange noch ein bewaffneter Franzose diesseits der Grenze bleibt. Ich
werde meinen Verpflichtungen nicht untreu werden, komme was da wolle.
Ich bin auf das Schlimmste gefaßt. Ick bin bereit, meine Familie in das
Innere zu schicken und jedes Opfer zu bringen; aber in Bezug auf den Punkt,
mir meine eigenen Minister zu wählen, darf ich nicht nachgeben; diese Concession
möchte zu anderen Forderungen führen, denen nachzugeben noch unschicklicher und
unangemessener für mich wäre. Graf Rumänzow soll nicht die Ursache von


einigen Minuten ein und Alexander begab sich an das Fenster, wie um die Fassung
erst wieder zu gewinnen, bevor er antwortete. Es dauerte jedoch nicht lauge,
so kehrte er zu Wilson zurück, nahm ihn bei der Hand und küßte ihn nach
russischer Sitte auf Stirn und Wange. „Sie sind die einzige Person", sagte
dann der Kaiser, „von der ich eine solche Mittheilung ruhig hätte anhören
können. Sie Haben mir in dem früheren Feldzuge Ihre Ergebenheit durch
Ihre Dienste bewiesen und sich einen Anspruch auf mein Vertrauen er¬
worben; aber Sie müssen einsehen, daß Sie mich in eine sehr peinliche
Lage bringen. — Noi souverän as ig, Kussis! — Mir solche Dinge sagen
zu lassen! Aber die Armee irrt sich in Rumänzow; er hat wirklich keine
Nachgiebigkeit gegen Napoleon angerathen; und ich habe große Achtung
vor ihm, da er fast der Einzige ist, der nie in seinem Leben Etwas für sich
verlangt hat, während jeder Andere in meinen Diensten stets nach Ehren.
Reichthümern oder einem Privatzweck für sich und seine Verwandten strebt.
Ich mag ihn nicht ohne Ursache opfern; aber kommen Sie morgen wieder;
ich muß meine Gedanken sammeln, ehe ich Sie mit einer Antwort abreisen
lasse. Ich kenne die Generäle und die Offiziere ihrer Umgebung recht gut;
ich bin überzeugt, sie meinen ihre Pflicht zu thun, und befürchte nicht, daß sie
uneingestandene Absichten gegen meine Autorität haben. Aber ich bin zu
beklagen; denn ich habe nur Wenige um mich, die eine gesunde Erziehung
genossen oder feste Grundsätze haben; der Hof meiner Großmutter hat die
ganze Erziehung meines Reichs verdorben, indem er sie auf die Erlernung der
französischen Sprache und französischer Frivolitäten und Laster, vorzüglich des
Hazardspiels. beschränkt hat. Ich habe daher wenig, worauf ich mich fest
verlassen kann; nur Impulse; ich darf ihnen womöglich nichl nachgeben;
aber ich will mir Alles überlegen, was Sie mir gesagt haben." Darauf ent¬
ließ der Kaiser den englischen General auf das Huldvollste und befahl ihn
gleich auf den nächsten Tag zu einer neuen Audienz.

In diejer zweiten Unterredung ging der Kaiser ohne weitere Umschweife
gleich auf die Sache ein. indem er sagte: „Wohlan! Nonsisur I'amog.88g,teni-
a<zö rcibklles — ich habe die ganze Nacht über unser gestriges Gespräch nach¬
gedacht und bin nicht ungerecht gegen Sie gewesen. Sie sollen dem Heere
Pfänder meines Entschlusses überbringen, den Krieg gegen Napoleon fortzu¬
setzen, solange noch ein bewaffneter Franzose diesseits der Grenze bleibt. Ich
werde meinen Verpflichtungen nicht untreu werden, komme was da wolle.
Ich bin auf das Schlimmste gefaßt. Ick bin bereit, meine Familie in das
Innere zu schicken und jedes Opfer zu bringen; aber in Bezug auf den Punkt,
mir meine eigenen Minister zu wählen, darf ich nicht nachgeben; diese Concession
möchte zu anderen Forderungen führen, denen nachzugeben noch unschicklicher und
unangemessener für mich wäre. Graf Rumänzow soll nicht die Ursache von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/495>, abgerufen am 24.08.2024.