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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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Verantwortlichkeit. Als er in Petersburg eintraf -- unterwegs hatte er schon
den mittlerweile ernannten neuen Oberbefehlshaber Kutusow auf der Reise
nach dem Hauptquartier getroffen -- war der Kaiser noch nicht von seiner
Zusammenkunft mit dem König von Schweden zurückgekehrt, was erst am
3. September geschah, wo Sir Robert Wilson sofort zur kaiserlichen Tafel
befohlen ward. Der freundliche Empfang, den er fand, ermuthigte ihn. sich
seiner schwierigen Aufgabe zu entledigen, als sich der Kaiser nach aufgehobener
Tafel mit ihm in sein Cabinet zurückzog, und das Gespräch auf die Sendung
des englischen Generals nach Constantinopel, auf den Zustand und die Be¬
wegungen der Armee des Admirals Tschitschagow und auf die Schlacht von
Smolensk brachte. Er erwähnte auch die unter den Generälen herrschende
Uneinigkeit und fragte, ob Wilson den Marschall Kutusow für fähig halte,
die Subordination wieder herzustellen? Sir Robert bemerkte darauf. Marschall
Kutusow, dem er unterwegs begegnet, sei vollständig von der in der Armee
herrschenden Stimmung unterrichtet; er selbst habe es für seine Pflicht ge¬
halten, dem Marschall alle, ihm darüber bekannten Thatsachen mitzutheilen
und der Marschall habe ihn beschworen Sr. kaiserl. Majestät nichts zu ver¬
bergen. Darauf ging Sir Robert Wilson mit Geschick auf den eigentlichen
Zweck seiner Sendung über, indem er bemerkte, er komme mit einem Auftrag,
den zu übernehmen ihm seine Liebe und Dankbarkeit gegen den Kaiser unter
allen Verhältnissen zur Pflicht gemacht haben würde; allerdings laufe er
Gefahr sich die allerhöchste Unzufriedenheit zuzuziehen, aber er thue es mit dem
Bewußtsein, es aus Hingebung für den Dienst des Kaisers und zum Schutz
seiner Würde zu thun. Darauf schilderte er in gedrängter Kürze die Stimmung
und die Wünsche des Heeres, wobei er sich natürlich hütete Namen zu nennen,
die als Anstifter betrachtet werden könnten, und schloß damit "Se. Majestät
angelegentlichst zu bitten (Worte aus Sir Robert Wilsons Depesche an seine
Regierung) die gefährliche Lage des Reichs zu bedenken, welche patriotische
Besorgnisse rechtfertige, und daß diese Besorgnisse, gerechtfertigt durch den
Ernst der Lage, einen von den reinsten Beweggründen eingegebenen Eingriff
in die Autorität in mildercni Lichte erscheinen ließen, welcher nur die dauernde
Erhaltung eben dieser Autorität beabsichtige. Er betheuerte, daß die Führer
von der aufopferndsten Hingebung für den Kaiser und seine Familie erfüllt
seien und daß sie. wenn sie nur versichert wären, daß Se. Majestät nicht
länger Rathgebern sein Vertrauen schenke, deren Politik sie mißtrauten,
ihre Treue durch Anstrengungen und Opfer an den Tag zu legen bereit wären,
welche den Glanz der Krone vermehren und dem Thron selbst in den schlimm¬
sten Zeiten Sicherheit verleihen würden."

Während dieser Auseinandersetzung wechselte die Farbe mehrmals auf dem
Antlitz des Kaisers. Als Sir Robert Wilson fertig war. trat eine Pause von


Verantwortlichkeit. Als er in Petersburg eintraf — unterwegs hatte er schon
den mittlerweile ernannten neuen Oberbefehlshaber Kutusow auf der Reise
nach dem Hauptquartier getroffen — war der Kaiser noch nicht von seiner
Zusammenkunft mit dem König von Schweden zurückgekehrt, was erst am
3. September geschah, wo Sir Robert Wilson sofort zur kaiserlichen Tafel
befohlen ward. Der freundliche Empfang, den er fand, ermuthigte ihn. sich
seiner schwierigen Aufgabe zu entledigen, als sich der Kaiser nach aufgehobener
Tafel mit ihm in sein Cabinet zurückzog, und das Gespräch auf die Sendung
des englischen Generals nach Constantinopel, auf den Zustand und die Be¬
wegungen der Armee des Admirals Tschitschagow und auf die Schlacht von
Smolensk brachte. Er erwähnte auch die unter den Generälen herrschende
Uneinigkeit und fragte, ob Wilson den Marschall Kutusow für fähig halte,
die Subordination wieder herzustellen? Sir Robert bemerkte darauf. Marschall
Kutusow, dem er unterwegs begegnet, sei vollständig von der in der Armee
herrschenden Stimmung unterrichtet; er selbst habe es für seine Pflicht ge¬
halten, dem Marschall alle, ihm darüber bekannten Thatsachen mitzutheilen
und der Marschall habe ihn beschworen Sr. kaiserl. Majestät nichts zu ver¬
bergen. Darauf ging Sir Robert Wilson mit Geschick auf den eigentlichen
Zweck seiner Sendung über, indem er bemerkte, er komme mit einem Auftrag,
den zu übernehmen ihm seine Liebe und Dankbarkeit gegen den Kaiser unter
allen Verhältnissen zur Pflicht gemacht haben würde; allerdings laufe er
Gefahr sich die allerhöchste Unzufriedenheit zuzuziehen, aber er thue es mit dem
Bewußtsein, es aus Hingebung für den Dienst des Kaisers und zum Schutz
seiner Würde zu thun. Darauf schilderte er in gedrängter Kürze die Stimmung
und die Wünsche des Heeres, wobei er sich natürlich hütete Namen zu nennen,
die als Anstifter betrachtet werden könnten, und schloß damit „Se. Majestät
angelegentlichst zu bitten (Worte aus Sir Robert Wilsons Depesche an seine
Regierung) die gefährliche Lage des Reichs zu bedenken, welche patriotische
Besorgnisse rechtfertige, und daß diese Besorgnisse, gerechtfertigt durch den
Ernst der Lage, einen von den reinsten Beweggründen eingegebenen Eingriff
in die Autorität in mildercni Lichte erscheinen ließen, welcher nur die dauernde
Erhaltung eben dieser Autorität beabsichtige. Er betheuerte, daß die Führer
von der aufopferndsten Hingebung für den Kaiser und seine Familie erfüllt
seien und daß sie. wenn sie nur versichert wären, daß Se. Majestät nicht
länger Rathgebern sein Vertrauen schenke, deren Politik sie mißtrauten,
ihre Treue durch Anstrengungen und Opfer an den Tag zu legen bereit wären,
welche den Glanz der Krone vermehren und dem Thron selbst in den schlimm¬
sten Zeiten Sicherheit verleihen würden."

Während dieser Auseinandersetzung wechselte die Farbe mehrmals auf dem
Antlitz des Kaisers. Als Sir Robert Wilson fertig war. trat eine Pause von


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[0494] Verantwortlichkeit. Als er in Petersburg eintraf — unterwegs hatte er schon den mittlerweile ernannten neuen Oberbefehlshaber Kutusow auf der Reise nach dem Hauptquartier getroffen — war der Kaiser noch nicht von seiner Zusammenkunft mit dem König von Schweden zurückgekehrt, was erst am 3. September geschah, wo Sir Robert Wilson sofort zur kaiserlichen Tafel befohlen ward. Der freundliche Empfang, den er fand, ermuthigte ihn. sich seiner schwierigen Aufgabe zu entledigen, als sich der Kaiser nach aufgehobener Tafel mit ihm in sein Cabinet zurückzog, und das Gespräch auf die Sendung des englischen Generals nach Constantinopel, auf den Zustand und die Be¬ wegungen der Armee des Admirals Tschitschagow und auf die Schlacht von Smolensk brachte. Er erwähnte auch die unter den Generälen herrschende Uneinigkeit und fragte, ob Wilson den Marschall Kutusow für fähig halte, die Subordination wieder herzustellen? Sir Robert bemerkte darauf. Marschall Kutusow, dem er unterwegs begegnet, sei vollständig von der in der Armee herrschenden Stimmung unterrichtet; er selbst habe es für seine Pflicht ge¬ halten, dem Marschall alle, ihm darüber bekannten Thatsachen mitzutheilen und der Marschall habe ihn beschworen Sr. kaiserl. Majestät nichts zu ver¬ bergen. Darauf ging Sir Robert Wilson mit Geschick auf den eigentlichen Zweck seiner Sendung über, indem er bemerkte, er komme mit einem Auftrag, den zu übernehmen ihm seine Liebe und Dankbarkeit gegen den Kaiser unter allen Verhältnissen zur Pflicht gemacht haben würde; allerdings laufe er Gefahr sich die allerhöchste Unzufriedenheit zuzuziehen, aber er thue es mit dem Bewußtsein, es aus Hingebung für den Dienst des Kaisers und zum Schutz seiner Würde zu thun. Darauf schilderte er in gedrängter Kürze die Stimmung und die Wünsche des Heeres, wobei er sich natürlich hütete Namen zu nennen, die als Anstifter betrachtet werden könnten, und schloß damit „Se. Majestät angelegentlichst zu bitten (Worte aus Sir Robert Wilsons Depesche an seine Regierung) die gefährliche Lage des Reichs zu bedenken, welche patriotische Besorgnisse rechtfertige, und daß diese Besorgnisse, gerechtfertigt durch den Ernst der Lage, einen von den reinsten Beweggründen eingegebenen Eingriff in die Autorität in mildercni Lichte erscheinen ließen, welcher nur die dauernde Erhaltung eben dieser Autorität beabsichtige. Er betheuerte, daß die Führer von der aufopferndsten Hingebung für den Kaiser und seine Familie erfüllt seien und daß sie. wenn sie nur versichert wären, daß Se. Majestät nicht länger Rathgebern sein Vertrauen schenke, deren Politik sie mißtrauten, ihre Treue durch Anstrengungen und Opfer an den Tag zu legen bereit wären, welche den Glanz der Krone vermehren und dem Thron selbst in den schlimm¬ sten Zeiten Sicherheit verleihen würden." Während dieser Auseinandersetzung wechselte die Farbe mehrmals auf dem Antlitz des Kaisers. Als Sir Robert Wilson fertig war. trat eine Pause von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/494>, abgerufen am 24.08.2024.