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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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Niemand dieser Arbeit seine Achtung versagen. Der etwas überschwenglichen
Anpreisung von dem Ministertisch einer deutschen Kammer aus, daß keine
Nation sich eines Gesetzbuchs von gleicher Güte zu erfreuen habe, hätte es
nicht bedurft. Wir meinen, daß bei ernstem Streben und freier Bewegung
die Gesetzgebung, wenn sie anders tüchtigen Kräften anvertraut ist, eben das
schafft, was dem Bedürfniß und den Ansichten des Rechts nach Zeit und Volk
entspricht. Der Loäö as eommei-os bleibt für die französische Auffassung nach
wie vor ein Muster. Die deutschen Ideen über Recht und Gesetz wenden sich,
mit Instinkt oder Bewußtsein, in vielen Punkten immer entschiedener von die¬
sem Muster ab. Darum ist aber noch kein Grund, auf den Code geringschätzig,
auf den Nürnberger Entwurf mit übermäßigem Stolz zu blicken. Wollte man
aber die französische Gesetzgebung wirklich in deutschem Sinn übertreffen, so
wäre nur zu wünschen, daß auch in dem Handelsgesetzbuch noch entschiedener
mit manchen Traditionen gebrochen worden wäre, als wirklich geschehen ist.
So schnell wird freilich die deutsche Codification von der Neigung zu rein
disciplinarischen und reglcmentnrischen Auslassungen, und von dem Autoritäts¬
bewußtsein, welches von oben herab dem Rechtsverkehr Ordonnanzen dictirt,
nicht ablassen. Der Standpunkt, daß die gesetzliche Norm den Verkehr fördern,
die Verkehrenden sichern und mehr eine ihrem selbstthätigen Gebrauch anheim¬
gestellte Schutzwehr, als ein von Staatßwegen auferlegter Zwang sein soll,
ist noch lange nicht erreicht. So lange nicht ganz andere Principien in Allem,
was Verwaltung heißt, Besitz ergriffen haben, wird sich auch in der Privat¬
rechtsgesetzgebung der Gedanke, daß das Privatrecht gleichsam im Dienste des
Lebensverkehrs steht, daß mit einem Wort das Gesetz um des Verkehrs willen
da ist, und daß man nicht daran denken soll, den letzteren zu reguliren und
durch mehr oder minder polizeiliche Normen zu bevormunden, nicht hinlänglich
ausprägen.

Eben so wenig kann es Wunder nehmen, wenn wir die deutschen Gesetz¬
gebungen, denn dies gilt allgemein, noch so wenig die Bahn einschlagen se¬
hen, sich mit leitenden Grundsätzen zu begnügen und die casuistische Berück¬
sichtigung der mögliche Fälle bei Seite zu lassen. Man kann nicht erwarten,
daß sich plötzlich, oder auch nur in wenigen Jahren die Rechtswissenschaft
jener Behandlungsweise ihres Stoffs entledigen sollte, welche sie durch Jahr¬
hunderte in der Schule der Scholastik eingesogen. Juristen sind es doch,
welche die Rechtsgesetzgebung machen; und es ist. ob zwar alle Anzeichen da
sind, daß auch die juristische Lehre, die sprödeste aller Wissenszweige, einer
großen Umstimmung entgegenreift, noch nicht die Zeit gekommen, daß Ju¬
risten von vorn herein mit andern Intentionen die Gesetzgebung in Angriff
nehmen sollten, als bisher. Darin liegt dann zugleich die Ursache, warum es
sich leicht als wenig erfolgreich beweist, unjuristische Fachleute in legislative


Niemand dieser Arbeit seine Achtung versagen. Der etwas überschwenglichen
Anpreisung von dem Ministertisch einer deutschen Kammer aus, daß keine
Nation sich eines Gesetzbuchs von gleicher Güte zu erfreuen habe, hätte es
nicht bedurft. Wir meinen, daß bei ernstem Streben und freier Bewegung
die Gesetzgebung, wenn sie anders tüchtigen Kräften anvertraut ist, eben das
schafft, was dem Bedürfniß und den Ansichten des Rechts nach Zeit und Volk
entspricht. Der Loäö as eommei-os bleibt für die französische Auffassung nach
wie vor ein Muster. Die deutschen Ideen über Recht und Gesetz wenden sich,
mit Instinkt oder Bewußtsein, in vielen Punkten immer entschiedener von die¬
sem Muster ab. Darum ist aber noch kein Grund, auf den Code geringschätzig,
auf den Nürnberger Entwurf mit übermäßigem Stolz zu blicken. Wollte man
aber die französische Gesetzgebung wirklich in deutschem Sinn übertreffen, so
wäre nur zu wünschen, daß auch in dem Handelsgesetzbuch noch entschiedener
mit manchen Traditionen gebrochen worden wäre, als wirklich geschehen ist.
So schnell wird freilich die deutsche Codification von der Neigung zu rein
disciplinarischen und reglcmentnrischen Auslassungen, und von dem Autoritäts¬
bewußtsein, welches von oben herab dem Rechtsverkehr Ordonnanzen dictirt,
nicht ablassen. Der Standpunkt, daß die gesetzliche Norm den Verkehr fördern,
die Verkehrenden sichern und mehr eine ihrem selbstthätigen Gebrauch anheim¬
gestellte Schutzwehr, als ein von Staatßwegen auferlegter Zwang sein soll,
ist noch lange nicht erreicht. So lange nicht ganz andere Principien in Allem,
was Verwaltung heißt, Besitz ergriffen haben, wird sich auch in der Privat¬
rechtsgesetzgebung der Gedanke, daß das Privatrecht gleichsam im Dienste des
Lebensverkehrs steht, daß mit einem Wort das Gesetz um des Verkehrs willen
da ist, und daß man nicht daran denken soll, den letzteren zu reguliren und
durch mehr oder minder polizeiliche Normen zu bevormunden, nicht hinlänglich
ausprägen.

Eben so wenig kann es Wunder nehmen, wenn wir die deutschen Gesetz¬
gebungen, denn dies gilt allgemein, noch so wenig die Bahn einschlagen se¬
hen, sich mit leitenden Grundsätzen zu begnügen und die casuistische Berück¬
sichtigung der mögliche Fälle bei Seite zu lassen. Man kann nicht erwarten,
daß sich plötzlich, oder auch nur in wenigen Jahren die Rechtswissenschaft
jener Behandlungsweise ihres Stoffs entledigen sollte, welche sie durch Jahr¬
hunderte in der Schule der Scholastik eingesogen. Juristen sind es doch,
welche die Rechtsgesetzgebung machen; und es ist. ob zwar alle Anzeichen da
sind, daß auch die juristische Lehre, die sprödeste aller Wissenszweige, einer
großen Umstimmung entgegenreift, noch nicht die Zeit gekommen, daß Ju¬
risten von vorn herein mit andern Intentionen die Gesetzgebung in Angriff
nehmen sollten, als bisher. Darin liegt dann zugleich die Ursache, warum es
sich leicht als wenig erfolgreich beweist, unjuristische Fachleute in legislative


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[0455] Niemand dieser Arbeit seine Achtung versagen. Der etwas überschwenglichen Anpreisung von dem Ministertisch einer deutschen Kammer aus, daß keine Nation sich eines Gesetzbuchs von gleicher Güte zu erfreuen habe, hätte es nicht bedurft. Wir meinen, daß bei ernstem Streben und freier Bewegung die Gesetzgebung, wenn sie anders tüchtigen Kräften anvertraut ist, eben das schafft, was dem Bedürfniß und den Ansichten des Rechts nach Zeit und Volk entspricht. Der Loäö as eommei-os bleibt für die französische Auffassung nach wie vor ein Muster. Die deutschen Ideen über Recht und Gesetz wenden sich, mit Instinkt oder Bewußtsein, in vielen Punkten immer entschiedener von die¬ sem Muster ab. Darum ist aber noch kein Grund, auf den Code geringschätzig, auf den Nürnberger Entwurf mit übermäßigem Stolz zu blicken. Wollte man aber die französische Gesetzgebung wirklich in deutschem Sinn übertreffen, so wäre nur zu wünschen, daß auch in dem Handelsgesetzbuch noch entschiedener mit manchen Traditionen gebrochen worden wäre, als wirklich geschehen ist. So schnell wird freilich die deutsche Codification von der Neigung zu rein disciplinarischen und reglcmentnrischen Auslassungen, und von dem Autoritäts¬ bewußtsein, welches von oben herab dem Rechtsverkehr Ordonnanzen dictirt, nicht ablassen. Der Standpunkt, daß die gesetzliche Norm den Verkehr fördern, die Verkehrenden sichern und mehr eine ihrem selbstthätigen Gebrauch anheim¬ gestellte Schutzwehr, als ein von Staatßwegen auferlegter Zwang sein soll, ist noch lange nicht erreicht. So lange nicht ganz andere Principien in Allem, was Verwaltung heißt, Besitz ergriffen haben, wird sich auch in der Privat¬ rechtsgesetzgebung der Gedanke, daß das Privatrecht gleichsam im Dienste des Lebensverkehrs steht, daß mit einem Wort das Gesetz um des Verkehrs willen da ist, und daß man nicht daran denken soll, den letzteren zu reguliren und durch mehr oder minder polizeiliche Normen zu bevormunden, nicht hinlänglich ausprägen. Eben so wenig kann es Wunder nehmen, wenn wir die deutschen Gesetz¬ gebungen, denn dies gilt allgemein, noch so wenig die Bahn einschlagen se¬ hen, sich mit leitenden Grundsätzen zu begnügen und die casuistische Berück¬ sichtigung der mögliche Fälle bei Seite zu lassen. Man kann nicht erwarten, daß sich plötzlich, oder auch nur in wenigen Jahren die Rechtswissenschaft jener Behandlungsweise ihres Stoffs entledigen sollte, welche sie durch Jahr¬ hunderte in der Schule der Scholastik eingesogen. Juristen sind es doch, welche die Rechtsgesetzgebung machen; und es ist. ob zwar alle Anzeichen da sind, daß auch die juristische Lehre, die sprödeste aller Wissenszweige, einer großen Umstimmung entgegenreift, noch nicht die Zeit gekommen, daß Ju¬ risten von vorn herein mit andern Intentionen die Gesetzgebung in Angriff nehmen sollten, als bisher. Darin liegt dann zugleich die Ursache, warum es sich leicht als wenig erfolgreich beweist, unjuristische Fachleute in legislative

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/455>, abgerufen am 22.07.2024.