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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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einigen Wochen Gefängniß bestraft wird, so ist mir das keine genügende Sa¬
tisfaction, namentlich wenn ich einem Stande angehöre, dessen Begriffe von
Ehre schärfer entwickelt sind. Und dazu gehören alle, die studirt haben.

Der Staat weiß auch sehr gut, daß die Satisfaction. die er mir ver¬
schafft, mir nicht genügen kann. Wenn er trotzdem meine Privatrache ver¬
bietet und als strafbar darstellt, so ist das Motiv dieses Verbotes ein polizei¬
liches, kein sittliches. Wenn ich ein polizeiliches Verbot übertrete, und, wie
sich von selbst versteht, mich der darauf gesetzten Strafe unterwerfe . so habe
ich damit noch kein sittliches Gebot verletzt.

Ob ich es für nöthig finde, eine Ehrenkrünkung als solche aufzunehmen
und zu ahnden oder nicht, das hängt von dem Bewußtsein ab, das ich von
mir und meinem Ansehen unter meinen Standesgenossen habe. Ein Mann,
der fest auf seinen Füßen steht, wird nur in den seltensten F ällen in die Ver¬
legenheit kommen, zur Abwehr die ultima ratio zu gebrauchen. Er wird sich
zunächst genau die Person ansehen, die beleidigt, und die Beleidigung wä¬
gen, wie in alten Zeiten die Münze gewogen wurde.

In geschlossenen Stünden, z. B. dem Militär, ist es anders : hier ist die
Münze geprägt; es ist nicht dem Einzelnen überlassen, ob er sich durch einen
bestimmten Act beleidigt fühlt oder nicht, sondern es ist ihm standcsmäßig vor¬
geschrieben. Ob das zweckmäßig ist. darauf kommt wenig an: genug es ist
so, und der Einzelne kann sich dem Ehrengcsetz nicht entziehen.

So ist es mit der Pflicht, Satisfaction zu fordern; wie ist es mit der
Pflicht, Satisfaction zu geben? --

Diese Pflicht scheint uns unbedingt gegen Jeden, der uns wegen einer
wirklichen Ehrenkränkung belangt.

Diese beschränkt sich aber auf das Gebiet des sittlichen und
Privatlebens.

Wer in's öffentliche Leben eintritt -- als Politiker, als Schriftsteller, als
Künstler, -- stellt sich damit dem öffentlichen Urtheil blos; dem Urtheil Be¬
rufener und Unberufener; und solange sich das Urtheil aus die öffentlichen
Leistungen beschränkt, so lange es nicht in das Heiligthum des Privatlebens
eintritt, hat er nicht das Recht, eine andere Satisfaction zu verlangen, als
die ihm die Gesetze gewähren. Ja wir gehen weiter: wer ihm diese Satis¬
faction gewährt, thut Unrecht.

Wenn ein Schauspieler als solcher -- gerecht oder ungerecht, gleichviel
-- in seinen Leistungen angefochten; wenn ihm Mangel an Verständniß, an
Talent, an Gefühl u. s. w., auch in den bittersten Ausdrücken vorgeworfen
wird: so wäre es lächerlich, wenn er dafür Satisfaction verlangte, doppelt
lächerlich, wenn man sie ihm gäbe. -- Anders, sobald man die Ehre des
Menschen antastet.


einigen Wochen Gefängniß bestraft wird, so ist mir das keine genügende Sa¬
tisfaction, namentlich wenn ich einem Stande angehöre, dessen Begriffe von
Ehre schärfer entwickelt sind. Und dazu gehören alle, die studirt haben.

Der Staat weiß auch sehr gut, daß die Satisfaction. die er mir ver¬
schafft, mir nicht genügen kann. Wenn er trotzdem meine Privatrache ver¬
bietet und als strafbar darstellt, so ist das Motiv dieses Verbotes ein polizei¬
liches, kein sittliches. Wenn ich ein polizeiliches Verbot übertrete, und, wie
sich von selbst versteht, mich der darauf gesetzten Strafe unterwerfe . so habe
ich damit noch kein sittliches Gebot verletzt.

Ob ich es für nöthig finde, eine Ehrenkrünkung als solche aufzunehmen
und zu ahnden oder nicht, das hängt von dem Bewußtsein ab, das ich von
mir und meinem Ansehen unter meinen Standesgenossen habe. Ein Mann,
der fest auf seinen Füßen steht, wird nur in den seltensten F ällen in die Ver¬
legenheit kommen, zur Abwehr die ultima ratio zu gebrauchen. Er wird sich
zunächst genau die Person ansehen, die beleidigt, und die Beleidigung wä¬
gen, wie in alten Zeiten die Münze gewogen wurde.

In geschlossenen Stünden, z. B. dem Militär, ist es anders : hier ist die
Münze geprägt; es ist nicht dem Einzelnen überlassen, ob er sich durch einen
bestimmten Act beleidigt fühlt oder nicht, sondern es ist ihm standcsmäßig vor¬
geschrieben. Ob das zweckmäßig ist. darauf kommt wenig an: genug es ist
so, und der Einzelne kann sich dem Ehrengcsetz nicht entziehen.

So ist es mit der Pflicht, Satisfaction zu fordern; wie ist es mit der
Pflicht, Satisfaction zu geben? —

Diese Pflicht scheint uns unbedingt gegen Jeden, der uns wegen einer
wirklichen Ehrenkränkung belangt.

Diese beschränkt sich aber auf das Gebiet des sittlichen und
Privatlebens.

Wer in's öffentliche Leben eintritt — als Politiker, als Schriftsteller, als
Künstler, — stellt sich damit dem öffentlichen Urtheil blos; dem Urtheil Be¬
rufener und Unberufener; und solange sich das Urtheil aus die öffentlichen
Leistungen beschränkt, so lange es nicht in das Heiligthum des Privatlebens
eintritt, hat er nicht das Recht, eine andere Satisfaction zu verlangen, als
die ihm die Gesetze gewähren. Ja wir gehen weiter: wer ihm diese Satis¬
faction gewährt, thut Unrecht.

Wenn ein Schauspieler als solcher — gerecht oder ungerecht, gleichviel
— in seinen Leistungen angefochten; wenn ihm Mangel an Verständniß, an
Talent, an Gefühl u. s. w., auch in den bittersten Ausdrücken vorgeworfen
wird: so wäre es lächerlich, wenn er dafür Satisfaction verlangte, doppelt
lächerlich, wenn man sie ihm gäbe. — Anders, sobald man die Ehre des
Menschen antastet.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/444>, abgerufen am 26.06.2024.