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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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wenn die Herren Patrioten über solchen Schaustellungen ihrer Gesinnung nicht
Wichtigeres, patriotische Thaten versäumt hätten. Man vergaß für die Ver¬
wundeten und Kranken der Armee das Nöthige herbeizuschaffen und sich an
der Pflege derselben zu betheiligen. Ueber die Luzarethe wurde allenthalben
Klage geführt, die Fußbekleidung der Soldaten war sehr mangelhaft, und es
fehlte an Wäsche. Eine kältere Jahreszeit, die hier mit starken Regengüssen
begleitet zu sein pflegt, war im Anzug, und einem großen Theil der Truppen
mangelten Mäntel!

Oeffentlich mit seinen Gesinnungen herumstolziren und "viva Italis, raa"
rufen war Leidenschaft aller Klassen geworden, aber wenn es galt, den Beutel
zu offnen und seine Sympathien durch Spenden zu zeigen, zog man sich
zurück, und von allen Provinzen hat Neapel das kleinste Contingent zu der
Befreiungsarmee gestellt; von der Hauptstadt selbst behauptete man. daß sie
höchstens einige hundert Freiwillige geliefert habe.

Eines Nachmittags ging ich hinunter nach der hübschen Strada Chiaja.
Ein offener Wagen fuhr an mir vorbei, der mit rothen Kamisols geradezu
überladen war; selbst auf dem Bedientensitze saßen zwei. Ein Herr, der neben
mir ging, äußerte zu seinem Begleiter, "das war Garibaldi", und nicht lange
dauerte es, so kamen Massen von Fiacren nachgejagt und in wenigen Minuten
war die ganze breite Straße mit Equipagen und Fußgängern angefüllt, welche
sich um das Hotel Bretagne versammelten, wo der General abgestiegen war.
Donnernde Vivas verlangten sein Erscheinen auf dem Balkon. Da man er¬
fuhr, daß er sich zu Tisch gesetzt, schwieg das Volk und wartete. Immer zahl¬
reicher wurden die Massen, man stand Kopf an Kopf, Schulter an Schulter.
Fischer kamen nach den Klängen der Garibaldihymne cmmarschirt. Auch eine
Abtheilung der Nationalgarde stellte sich ein, und ein Zug Husaren in unga¬
rischer Uniform faßte dem Hotel gegenüber Posto, doch wurden diese Truppen
nach einigen Augenblicken weggeschickt. -- Die Fischer ließen ihre Musikbande
als Tafelmusik fungiren. Nachdem sie ein Weilchen gespielt, schwieg sie, da
man erfahren, daß oben abgespeist worden sei, und wieder erschallten don¬
nernde Vivas. Bald darauf erschien Garibaldi auf dem Balkon, umgeben
von Damen -- die Begeisterung des Volkes schien grenzenlos, die Bande
spielte wieder die Hymne, und bei den Strophen, wo das Wort Italia vor¬
kam, streckte Garibaldi die rechte Hand mit emporgehaltenem Daumen gen
Himmel, eine Pantomime, mit der er bezeichnen wollte, daß Italien Eins sein
müsse. Die Hymne war aus. und er schien sprechen zu wollen. So groß
der Beifallssturm vorher gewesen, so ruhig war es jetzt, und jedes Wort seiner
kräftigen, etwas harten Stimme war deutlich zu vernehmen. Er versprach
nicht eher zu ruhen, als bis "Italig, ura" zu Stande gekommen wäre. Viva 6ari-
biMi! war die tausendstimmige Antwort. Erst spät zerstreuten sich die Massen.


Grcnjbote" II. l861, 54

wenn die Herren Patrioten über solchen Schaustellungen ihrer Gesinnung nicht
Wichtigeres, patriotische Thaten versäumt hätten. Man vergaß für die Ver¬
wundeten und Kranken der Armee das Nöthige herbeizuschaffen und sich an
der Pflege derselben zu betheiligen. Ueber die Luzarethe wurde allenthalben
Klage geführt, die Fußbekleidung der Soldaten war sehr mangelhaft, und es
fehlte an Wäsche. Eine kältere Jahreszeit, die hier mit starken Regengüssen
begleitet zu sein pflegt, war im Anzug, und einem großen Theil der Truppen
mangelten Mäntel!

Oeffentlich mit seinen Gesinnungen herumstolziren und „viva Italis, raa"
rufen war Leidenschaft aller Klassen geworden, aber wenn es galt, den Beutel
zu offnen und seine Sympathien durch Spenden zu zeigen, zog man sich
zurück, und von allen Provinzen hat Neapel das kleinste Contingent zu der
Befreiungsarmee gestellt; von der Hauptstadt selbst behauptete man. daß sie
höchstens einige hundert Freiwillige geliefert habe.

Eines Nachmittags ging ich hinunter nach der hübschen Strada Chiaja.
Ein offener Wagen fuhr an mir vorbei, der mit rothen Kamisols geradezu
überladen war; selbst auf dem Bedientensitze saßen zwei. Ein Herr, der neben
mir ging, äußerte zu seinem Begleiter, „das war Garibaldi", und nicht lange
dauerte es, so kamen Massen von Fiacren nachgejagt und in wenigen Minuten
war die ganze breite Straße mit Equipagen und Fußgängern angefüllt, welche
sich um das Hotel Bretagne versammelten, wo der General abgestiegen war.
Donnernde Vivas verlangten sein Erscheinen auf dem Balkon. Da man er¬
fuhr, daß er sich zu Tisch gesetzt, schwieg das Volk und wartete. Immer zahl¬
reicher wurden die Massen, man stand Kopf an Kopf, Schulter an Schulter.
Fischer kamen nach den Klängen der Garibaldihymne cmmarschirt. Auch eine
Abtheilung der Nationalgarde stellte sich ein, und ein Zug Husaren in unga¬
rischer Uniform faßte dem Hotel gegenüber Posto, doch wurden diese Truppen
nach einigen Augenblicken weggeschickt. — Die Fischer ließen ihre Musikbande
als Tafelmusik fungiren. Nachdem sie ein Weilchen gespielt, schwieg sie, da
man erfahren, daß oben abgespeist worden sei, und wieder erschallten don¬
nernde Vivas. Bald darauf erschien Garibaldi auf dem Balkon, umgeben
von Damen — die Begeisterung des Volkes schien grenzenlos, die Bande
spielte wieder die Hymne, und bei den Strophen, wo das Wort Italia vor¬
kam, streckte Garibaldi die rechte Hand mit emporgehaltenem Daumen gen
Himmel, eine Pantomime, mit der er bezeichnen wollte, daß Italien Eins sein
müsse. Die Hymne war aus. und er schien sprechen zu wollen. So groß
der Beifallssturm vorher gewesen, so ruhig war es jetzt, und jedes Wort seiner
kräftigen, etwas harten Stimme war deutlich zu vernehmen. Er versprach
nicht eher zu ruhen, als bis „Italig, ura" zu Stande gekommen wäre. Viva 6ari-
biMi! war die tausendstimmige Antwort. Erst spät zerstreuten sich die Massen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/435>, abgerufen am 19.10.2024.