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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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Blouse anderer Farbe vertreten. Alles war bunt durcheinander, und das
Ganze machte keinen vortheilhaften Eindruck. Wunderbar kam mir vor, daß
so viele blutjunge Menschen, noch halb Kinder, in der Abtheilung sich befan¬
den, für die sogar das Gewehr zu groß erschien. Indeß sahen grade diese
recht lustig aus, und sie hatten in der That außer der Muskete nicht viel zu
tragen. Es war etwas von dem "omuig. in"g. novum poi'to" und "ich hab'
meine Sach' auf nichts gestellt" in ihnen, und das galt so ziemlich von der
ganzen Armee, die aus diese Weise wenigstens den Eindruck großer Beweglich¬
keit machte.

Ebenso wenig wie ein Train das Heer belästigte, beschwerte den einzelnen
Soldaten ein Tornister. Das Gewehr und ein Pulverhorn, mitunter auch
eine Patronentasche, ausnahmsweise ein Mantel über die Schulter geworfen,
zuweilen ein Paletot, ein Plaid oder eine Pferdedecke -- damit war die Ausrüstung
vollendet. Die Meisten aber trugen ein buntes Taschentuch um den Hals, und
zwar wie die Frauen, so daß es mit der einen Ecke auf den Rücken herunter¬
hing. Der eine hatte einen Hut von dieser, der andere einen von jener Form,
der dritte eine Mütze auf, nirgends Gleichheit der Kopfbedeckung.

Von Caserta fuhr ich nach Neapel zurück, und noch denselben Abend
war das rothe Hemd und das graue Beinkleid bestellt, eine Mütze und Säbel
angeschafft, und ich sehnte mich nach dem Verlaufe der Frist, welche sich der
Schneider ausbedungen.

Neapel hatte während der letzten Tage eine Physiognomie angenommen,
die noch lebensvoller war, als seine gewöhnliche. Man näherte sich mehr
und mehr dem Tage, welcher Victor Emanuel als König von Italien begrü'
ßer, wo das Volk seine Stimme für ihn abgeben sollte. Von den Dächern
und Balkonen wehten Fahnen mit den italienischen Farben und Savoyens
Kreuz. Abends gab es tzackelzüge zu Wagen und zu Fuß, wobei es nicht
an Panieren und Emblemen des werdenden Königreiches fehlte. Am Tage
sah man Processionen mit Musikbanden, welche, die Garibaldi-Hymne spielend,
die Straßen durchzogen. Allenthalben Aufregung, Lärm und Lust, selten da¬
gegen wirkliche Begeisterung. Häusig sah auch das Arrangement hindurch. Be"
zeichnend war, daß Korporationen, Innungen, Zünfte, der Kaufmannsstand
bei diesen Auszügen sich nicht betheiligten und daß überhaupt nur die untersten
Klassen der Bevölkerung, kräftig unterstützt von den in der Stadt flanirenden
Freiwilligen, dabei die Hauptrolle spielten, Die bessern Stände gaben ihren
patriotischen Willen auf andere Art zu erkennen. Mehre Buchdrucker hatten
Zettel mit "8i" drucken lassen und diese gingen, öffentlich ausgeboten, reißend
ab. Der Patriot trug sie am Hut oder im Knopfloch, und auch an Fenstern
und Thüren fand man sie angeklebt, zum Zeichen, daß der Bewohner deS
Zimmers für Victor Emanuel stimmen werde. Das wäre recht gut gewesen,


Blouse anderer Farbe vertreten. Alles war bunt durcheinander, und das
Ganze machte keinen vortheilhaften Eindruck. Wunderbar kam mir vor, daß
so viele blutjunge Menschen, noch halb Kinder, in der Abtheilung sich befan¬
den, für die sogar das Gewehr zu groß erschien. Indeß sahen grade diese
recht lustig aus, und sie hatten in der That außer der Muskete nicht viel zu
tragen. Es war etwas von dem „omuig. in«g. novum poi'to" und „ich hab'
meine Sach' auf nichts gestellt" in ihnen, und das galt so ziemlich von der
ganzen Armee, die aus diese Weise wenigstens den Eindruck großer Beweglich¬
keit machte.

Ebenso wenig wie ein Train das Heer belästigte, beschwerte den einzelnen
Soldaten ein Tornister. Das Gewehr und ein Pulverhorn, mitunter auch
eine Patronentasche, ausnahmsweise ein Mantel über die Schulter geworfen,
zuweilen ein Paletot, ein Plaid oder eine Pferdedecke — damit war die Ausrüstung
vollendet. Die Meisten aber trugen ein buntes Taschentuch um den Hals, und
zwar wie die Frauen, so daß es mit der einen Ecke auf den Rücken herunter¬
hing. Der eine hatte einen Hut von dieser, der andere einen von jener Form,
der dritte eine Mütze auf, nirgends Gleichheit der Kopfbedeckung.

Von Caserta fuhr ich nach Neapel zurück, und noch denselben Abend
war das rothe Hemd und das graue Beinkleid bestellt, eine Mütze und Säbel
angeschafft, und ich sehnte mich nach dem Verlaufe der Frist, welche sich der
Schneider ausbedungen.

Neapel hatte während der letzten Tage eine Physiognomie angenommen,
die noch lebensvoller war, als seine gewöhnliche. Man näherte sich mehr
und mehr dem Tage, welcher Victor Emanuel als König von Italien begrü'
ßer, wo das Volk seine Stimme für ihn abgeben sollte. Von den Dächern
und Balkonen wehten Fahnen mit den italienischen Farben und Savoyens
Kreuz. Abends gab es tzackelzüge zu Wagen und zu Fuß, wobei es nicht
an Panieren und Emblemen des werdenden Königreiches fehlte. Am Tage
sah man Processionen mit Musikbanden, welche, die Garibaldi-Hymne spielend,
die Straßen durchzogen. Allenthalben Aufregung, Lärm und Lust, selten da¬
gegen wirkliche Begeisterung. Häusig sah auch das Arrangement hindurch. Be»
zeichnend war, daß Korporationen, Innungen, Zünfte, der Kaufmannsstand
bei diesen Auszügen sich nicht betheiligten und daß überhaupt nur die untersten
Klassen der Bevölkerung, kräftig unterstützt von den in der Stadt flanirenden
Freiwilligen, dabei die Hauptrolle spielten, Die bessern Stände gaben ihren
patriotischen Willen auf andere Art zu erkennen. Mehre Buchdrucker hatten
Zettel mit „8i" drucken lassen und diese gingen, öffentlich ausgeboten, reißend
ab. Der Patriot trug sie am Hut oder im Knopfloch, und auch an Fenstern
und Thüren fand man sie angeklebt, zum Zeichen, daß der Bewohner deS
Zimmers für Victor Emanuel stimmen werde. Das wäre recht gut gewesen,


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[0434] Blouse anderer Farbe vertreten. Alles war bunt durcheinander, und das Ganze machte keinen vortheilhaften Eindruck. Wunderbar kam mir vor, daß so viele blutjunge Menschen, noch halb Kinder, in der Abtheilung sich befan¬ den, für die sogar das Gewehr zu groß erschien. Indeß sahen grade diese recht lustig aus, und sie hatten in der That außer der Muskete nicht viel zu tragen. Es war etwas von dem „omuig. in«g. novum poi'to" und „ich hab' meine Sach' auf nichts gestellt" in ihnen, und das galt so ziemlich von der ganzen Armee, die aus diese Weise wenigstens den Eindruck großer Beweglich¬ keit machte. Ebenso wenig wie ein Train das Heer belästigte, beschwerte den einzelnen Soldaten ein Tornister. Das Gewehr und ein Pulverhorn, mitunter auch eine Patronentasche, ausnahmsweise ein Mantel über die Schulter geworfen, zuweilen ein Paletot, ein Plaid oder eine Pferdedecke — damit war die Ausrüstung vollendet. Die Meisten aber trugen ein buntes Taschentuch um den Hals, und zwar wie die Frauen, so daß es mit der einen Ecke auf den Rücken herunter¬ hing. Der eine hatte einen Hut von dieser, der andere einen von jener Form, der dritte eine Mütze auf, nirgends Gleichheit der Kopfbedeckung. Von Caserta fuhr ich nach Neapel zurück, und noch denselben Abend war das rothe Hemd und das graue Beinkleid bestellt, eine Mütze und Säbel angeschafft, und ich sehnte mich nach dem Verlaufe der Frist, welche sich der Schneider ausbedungen. Neapel hatte während der letzten Tage eine Physiognomie angenommen, die noch lebensvoller war, als seine gewöhnliche. Man näherte sich mehr und mehr dem Tage, welcher Victor Emanuel als König von Italien begrü' ßer, wo das Volk seine Stimme für ihn abgeben sollte. Von den Dächern und Balkonen wehten Fahnen mit den italienischen Farben und Savoyens Kreuz. Abends gab es tzackelzüge zu Wagen und zu Fuß, wobei es nicht an Panieren und Emblemen des werdenden Königreiches fehlte. Am Tage sah man Processionen mit Musikbanden, welche, die Garibaldi-Hymne spielend, die Straßen durchzogen. Allenthalben Aufregung, Lärm und Lust, selten da¬ gegen wirkliche Begeisterung. Häusig sah auch das Arrangement hindurch. Be» zeichnend war, daß Korporationen, Innungen, Zünfte, der Kaufmannsstand bei diesen Auszügen sich nicht betheiligten und daß überhaupt nur die untersten Klassen der Bevölkerung, kräftig unterstützt von den in der Stadt flanirenden Freiwilligen, dabei die Hauptrolle spielten, Die bessern Stände gaben ihren patriotischen Willen auf andere Art zu erkennen. Mehre Buchdrucker hatten Zettel mit „8i" drucken lassen und diese gingen, öffentlich ausgeboten, reißend ab. Der Patriot trug sie am Hut oder im Knopfloch, und auch an Fenstern und Thüren fand man sie angeklebt, zum Zeichen, daß der Bewohner deS Zimmers für Victor Emanuel stimmen werde. Das wäre recht gut gewesen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/434>, abgerufen am 19.10.2024.