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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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muthig, es mangelt ihnen nicht an feiner Gesittung und Bildung, und so
machen sie dem sie allenthalben umgebenden bäuerisch ungehobelten Wesen der
Uebrigen gegenüber den wohlthuendsten Eindruck auf den Fremden. Diese gute
Gesellschaft der Stadt zerfällt wieder in zwei Theile- in einen solchen, welcher allen
Gutempsohlenen und distinguirten Personen zugänglich ist, und in einen andern,
der es vorzieht, beschränktere Kreise für sich zu bilden. Letzterer besteht meist
aus Neuengländern, die weniger schmiegsam in ihrem Charakter und strenger
in ihren moralischen Ansprüchen sind als die lebhafteren Südländer, mit denen
sie hier in zeitweilige Berührung kommen. Im Winter geben die Familien,
welche in Hotels leben, allwöchentliche "Hopf", kleine Abendunterhaltungen,
bei denen Musik und Tanz wechseln, und in welchen den jungen Damen, die
in Amerika überhaupt weit selbständiger als bei uns auftreten und in der
Regel statt der älteren die Honneurs machen, die Hauptrolle zugetheilt ist.
Im Frühling, wenn die Parkanlagen um das "weiße Haus" mit frischem
Grün bekleidet sind und die noch schöneren Umgebungen des Capitols ihren
bunten Blumenflor zur Schau stellen, spielt an jedem dieser beiden Punkte
wöchentlich zwei Mal ein Militärmusikcorps, dessen Klänge die gesammte
elegante Welt der Stadt um sich versammeln. Dieselbe strömt in ihrem
besten Putz herbei und wandelt in Gruppen zwischen den hübschen Nasenplätzen,
Bäumen und Blumenbeeten und um die plätschernden Springbrunnen, deren
Marmorbecken mit Goldfischen gefüllt sind, in heiterem Geplauder auf und nieder.

Jetzt ist selbstverständlich von diesen unmuthigen Zügen in der Physiognomie
der amerikanischen Bundeshauptstadt nicht die Rede. Washington sollte jetzt
seine stille Zeit haben. Aber der Umschwung der Verhältnisse hat unver-
muthet Leben in die Straßen gebracht, wenn auch ein anderes als die Stadt
bisher sah. Washington ist aus einem Lager von Politikern zu einem Feld¬
lager geworden, und sehr wahrscheinlich werden die Parteien, die sich in den
letzten Jahren im Capitol so manche heiße Wortschlacht lieferten, hier in der
ersten Schlacht mit scharfen Waffen aufeinanderstoßen.

Der Plan der südlichen Rebellen scheint dahin gegangen zu sein, die Bundes¬
stadt von drei Seiten zugleich anzugreifen, von Richmond, wo die Contingente der
Baümwollenstaaten sich mit den virginischen vereinigten, in der Front, von Har-
pers Ferry am obern Potomac in der rechten Flanke, und von Baltimore im Rü¬
cken. Aber dieser Plan ist jetzt schon zum Theil vereitelt. Zunächst wurde zwar
Harpers Ferry, wo nur 50 Mann Unionstruppen standen, von virginischen
Insurgenten genommen, aber nicht eher, als bis die abziehende Besatzung
das dortige Arsenal mit sämmtlichen Wassenvorräthcn, auf die es vorzüglich
abgesehen war, vollständig zerstört hatte. Ebenso scheiterte der Plan, sich
durch Wegnahme der im Gosport Navy Yard bei Norfolk befindlichen Kriegs¬
schiffe der Union eine Flotte zu verschaffe", indem die Beamten der Vereinigte"


muthig, es mangelt ihnen nicht an feiner Gesittung und Bildung, und so
machen sie dem sie allenthalben umgebenden bäuerisch ungehobelten Wesen der
Uebrigen gegenüber den wohlthuendsten Eindruck auf den Fremden. Diese gute
Gesellschaft der Stadt zerfällt wieder in zwei Theile- in einen solchen, welcher allen
Gutempsohlenen und distinguirten Personen zugänglich ist, und in einen andern,
der es vorzieht, beschränktere Kreise für sich zu bilden. Letzterer besteht meist
aus Neuengländern, die weniger schmiegsam in ihrem Charakter und strenger
in ihren moralischen Ansprüchen sind als die lebhafteren Südländer, mit denen
sie hier in zeitweilige Berührung kommen. Im Winter geben die Familien,
welche in Hotels leben, allwöchentliche „Hopf", kleine Abendunterhaltungen,
bei denen Musik und Tanz wechseln, und in welchen den jungen Damen, die
in Amerika überhaupt weit selbständiger als bei uns auftreten und in der
Regel statt der älteren die Honneurs machen, die Hauptrolle zugetheilt ist.
Im Frühling, wenn die Parkanlagen um das „weiße Haus" mit frischem
Grün bekleidet sind und die noch schöneren Umgebungen des Capitols ihren
bunten Blumenflor zur Schau stellen, spielt an jedem dieser beiden Punkte
wöchentlich zwei Mal ein Militärmusikcorps, dessen Klänge die gesammte
elegante Welt der Stadt um sich versammeln. Dieselbe strömt in ihrem
besten Putz herbei und wandelt in Gruppen zwischen den hübschen Nasenplätzen,
Bäumen und Blumenbeeten und um die plätschernden Springbrunnen, deren
Marmorbecken mit Goldfischen gefüllt sind, in heiterem Geplauder auf und nieder.

Jetzt ist selbstverständlich von diesen unmuthigen Zügen in der Physiognomie
der amerikanischen Bundeshauptstadt nicht die Rede. Washington sollte jetzt
seine stille Zeit haben. Aber der Umschwung der Verhältnisse hat unver-
muthet Leben in die Straßen gebracht, wenn auch ein anderes als die Stadt
bisher sah. Washington ist aus einem Lager von Politikern zu einem Feld¬
lager geworden, und sehr wahrscheinlich werden die Parteien, die sich in den
letzten Jahren im Capitol so manche heiße Wortschlacht lieferten, hier in der
ersten Schlacht mit scharfen Waffen aufeinanderstoßen.

Der Plan der südlichen Rebellen scheint dahin gegangen zu sein, die Bundes¬
stadt von drei Seiten zugleich anzugreifen, von Richmond, wo die Contingente der
Baümwollenstaaten sich mit den virginischen vereinigten, in der Front, von Har-
pers Ferry am obern Potomac in der rechten Flanke, und von Baltimore im Rü¬
cken. Aber dieser Plan ist jetzt schon zum Theil vereitelt. Zunächst wurde zwar
Harpers Ferry, wo nur 50 Mann Unionstruppen standen, von virginischen
Insurgenten genommen, aber nicht eher, als bis die abziehende Besatzung
das dortige Arsenal mit sämmtlichen Wassenvorräthcn, auf die es vorzüglich
abgesehen war, vollständig zerstört hatte. Ebenso scheiterte der Plan, sich
durch Wegnahme der im Gosport Navy Yard bei Norfolk befindlichen Kriegs¬
schiffe der Union eine Flotte zu verschaffe», indem die Beamten der Vereinigte»


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/428>, abgerufen am 19.10.2024.