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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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gezeichneter Physiognomie seinen Nachbarn zu. "Vivu. ?Alls.vielen!", und ein
ziemlich lebhaftes Händeklatschen entsprach der Aufforderung. Pallavicini
stand mit unbedecktem Kopfe den Haufen grüßend. Im einfachen schwarzen
Anzug, von Natur eher klein als mittelgroß, etwas gebückter Haltung, zeigte
er ein Gesicht, das mit seinem schwarzen Bart und Augenbrauen von glei¬
cher Farbe gegen das Alter protestirte, welches man ihm nach seinen grauen
Haaren hätte geben mögen. Die Ovation der Menge schien ihm unerwünscht
zu sein. Ein Weilchen schweifte sein Auge über die Masse hin, dank bedeckte
er sich und verschwand in dem Thorweg, nachdem er noch eine Anzahl von Bitt¬
schriften in Empfang genommen, die ihm auf der Schwelle überreicht worden
waren.

Nachdem S. mit mir verabredet, ihn vor zwölf Uhr im Cas6 Europa
wieder zu treffen, schlenderte ich ein wenig über die Piazza oder, wie man auch
sagt, den Largo ti Palazzo.

Dieser Platz ist der schönste in Neapel, seine Hnuptzierdc die Kirche
Francesco e Paolo. Letztere liegt dem königlichen Paläste gegenüber, von
dessen zwei Flügeln der rechte damals die Amtswohnung des Governatore
della Piazza e Provinziä ti Napoli. des General Türr, und zugleich die des Pro-
drctators Pallcwicim enthielt. Vor der Kirche stehen zwei Reiterstatuen, an
^denen ich eine Probe der Neigung des italienischen Volkes fand, sich mit De¬
monstrationen zu erbauen. (5s waren die berühmten Reiterstatuen Karls des
Dritten und Ferdinands von Canova. Wie ich hörte, hatte man dieselben
zerstören wollen, auf den Rath des bekannten Paters Gavazzi aber sich be¬
gnügt, sie in schmutziges Zeug zu hüllen, bis Zeit sich finde, sie in Triumph¬
zeichen der jetzigen Bewegung zu verwandeln, d. h. der einen den Kopf Vic¬
tor Emanuel's, der andern den Garibaldi's aufzusetzen. In ähnlicher Weise
hatte man die über der Pforte des königlichen Palastes eingemeißelten'Lilien der
Bourvonen den Blicken des Volkes entzogen, das sich jetzt in Despotenhaß
gefiel.

Auf dem Platze selbst war es jetzt ziemlich lebhaft. Erwachsene und Bu-
ven spielten hier und da Ball. Stiefelputzer klopften mit der Bürste an ihren
Kasten und riefen ihr "Jto LiMor", wenn ein staubiger Stiefel vorbeipassirte.
Gepackte Esel und flanirende Signori, gesticulirende Freiwillige und umher¬
wandelnde Verkäufer gaben Neapels schönstem Platze eine Staffage, die recht an¬
sehend war. Weniger gefielen mir die auf den Stufen der Kirche liegen¬
den Gestalten der Lazzaroni, die halb nackt sich in der Sonne sömmerlen.
Bettler, arm an sich, noch ärmer sich stellend, jedes Gebrechen, es mochte noch
so ekelhaft sein, zur Schau tragend, vervollständigten das Publicum. welches
vorzugsweise die prächtigen Säulengänge der Kirche an der Piazza del Palazzo
reale einnahmen.


gezeichneter Physiognomie seinen Nachbarn zu. „Vivu. ?Alls.vielen!", und ein
ziemlich lebhaftes Händeklatschen entsprach der Aufforderung. Pallavicini
stand mit unbedecktem Kopfe den Haufen grüßend. Im einfachen schwarzen
Anzug, von Natur eher klein als mittelgroß, etwas gebückter Haltung, zeigte
er ein Gesicht, das mit seinem schwarzen Bart und Augenbrauen von glei¬
cher Farbe gegen das Alter protestirte, welches man ihm nach seinen grauen
Haaren hätte geben mögen. Die Ovation der Menge schien ihm unerwünscht
zu sein. Ein Weilchen schweifte sein Auge über die Masse hin, dank bedeckte
er sich und verschwand in dem Thorweg, nachdem er noch eine Anzahl von Bitt¬
schriften in Empfang genommen, die ihm auf der Schwelle überreicht worden
waren.

Nachdem S. mit mir verabredet, ihn vor zwölf Uhr im Cas6 Europa
wieder zu treffen, schlenderte ich ein wenig über die Piazza oder, wie man auch
sagt, den Largo ti Palazzo.

Dieser Platz ist der schönste in Neapel, seine Hnuptzierdc die Kirche
Francesco e Paolo. Letztere liegt dem königlichen Paläste gegenüber, von
dessen zwei Flügeln der rechte damals die Amtswohnung des Governatore
della Piazza e Provinziä ti Napoli. des General Türr, und zugleich die des Pro-
drctators Pallcwicim enthielt. Vor der Kirche stehen zwei Reiterstatuen, an
^denen ich eine Probe der Neigung des italienischen Volkes fand, sich mit De¬
monstrationen zu erbauen. (5s waren die berühmten Reiterstatuen Karls des
Dritten und Ferdinands von Canova. Wie ich hörte, hatte man dieselben
zerstören wollen, auf den Rath des bekannten Paters Gavazzi aber sich be¬
gnügt, sie in schmutziges Zeug zu hüllen, bis Zeit sich finde, sie in Triumph¬
zeichen der jetzigen Bewegung zu verwandeln, d. h. der einen den Kopf Vic¬
tor Emanuel's, der andern den Garibaldi's aufzusetzen. In ähnlicher Weise
hatte man die über der Pforte des königlichen Palastes eingemeißelten'Lilien der
Bourvonen den Blicken des Volkes entzogen, das sich jetzt in Despotenhaß
gefiel.

Auf dem Platze selbst war es jetzt ziemlich lebhaft. Erwachsene und Bu-
ven spielten hier und da Ball. Stiefelputzer klopften mit der Bürste an ihren
Kasten und riefen ihr „Jto LiMor", wenn ein staubiger Stiefel vorbeipassirte.
Gepackte Esel und flanirende Signori, gesticulirende Freiwillige und umher¬
wandelnde Verkäufer gaben Neapels schönstem Platze eine Staffage, die recht an¬
sehend war. Weniger gefielen mir die auf den Stufen der Kirche liegen¬
den Gestalten der Lazzaroni, die halb nackt sich in der Sonne sömmerlen.
Bettler, arm an sich, noch ärmer sich stellend, jedes Gebrechen, es mochte noch
so ekelhaft sein, zur Schau tragend, vervollständigten das Publicum. welches
vorzugsweise die prächtigen Säulengänge der Kirche an der Piazza del Palazzo
reale einnahmen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/399>, abgerufen am 01.07.2024.