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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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auch in andern Beziehungen den Namen von wunderlichen Heiligen ver¬
dienen.

Ebenfalls sehr verbreitet, selbst unter den Wilden, ist das Tabaksschnupfen,
und auch das Kauen beschränkt sich nicht bloß auf das Gebiet gebildeter Na¬
tionen, wenn es auch unter den Uankees die meisten Liebhaber zählt. Eifrige
Verehrer des Primchens sind unter Andern die Bewohner des indischen Archipels,
die Tschuktschen in Ostsibirien, die Mogrebin und die Nubier Nordafrikas,
Die Schwarzen in Dschesire mischen ihren Tabak mit Natron und Wasser zu
einem Brei, den sie Bulla nennen, und von dem sie aus einem Becher ge¬
legentlich einen Schluck nehmen, welcher eine Weile im Munde aus und ab
bewegt wird. Man ladet sich hier zu Bukkagesellschaften ein. etwa wie bei
uns zu Theeabenden. Eine garstige, aber leider wahre Beobachtung ist. daß
in Paraguay vorzüglich die schöne Welt dem Kauen huldigt, und es soll ein
eigenes Gefühl sein, welches Fremde beschleicht, wenn ihnen beim Eintritt in
eine Familie eine mit Atlas und Diamanten geschmückte Hebe entgegenschwebt
und ehe sie ihnen den Mund zum Kuß darbietet, der hier Zeichen des Will-
kommenseins auch sür Fremde ist, erst mit den rosigen Fingerspitzen den ge¬
liebten Tabaksknüuel aus der Backentasche entfernt. Wird von den- Uankees
der Tabak vielleicht nur gekaut, um Material zu fleißiger Uebung im Spucken
zu liefern, so gibt es Menschenkinder, die ihn sogar verschlucken. Den Ueber¬
gang zu diesen Greuelthaten bilden die sogenannten "Tobacco-Dippers" im
Süden der nordamenkanischcn Union, Frauen, welche -- abscheulich zu
sagen -- Schnupftabak kauen. Man berechnet, daß deren in Virginien, Ca-
rolina, Georgia und Alabama wenigstens hunderttausend sind, und daß die¬
selben täglich über zweitausend Pfund Tabakspulver consumiren. Die Dippers
nehmen in der Regel ein Hölzchen, feuchten es an, tupfen damit in ihre Ta¬
baksdose und reiben sich das an dem Stift hängen bleibende schwarze Pulver
in die Zähne, wo sie es lassen, bis es seine beißende Kraft verloren hat.
Andere halten das mit Schnupftabak beladene Holz in den Mund und saugen
daran wie Kinder an einem Zuckerstengel. Verschiedene südamerikanische
Stämme verspeisen den Tabak, in kleine Stücke zerschnitten, vollständig, und
dasselbe berichten die Reisenden von den Tschuktschen. Den Gipfel der Ab¬
scheulichkeit endlich erreichen, wenn Joubert die Wahrheit berichtet, gewisse
Grönländer. Dieser Reisende sagt: "Wenn ein Fremder in Grönland an¬
kommt, so sieht er sich sofort von einer Menge Eingeborner umgeben, die ihn
um die Erlaubniß angehen, das empyreumatische Oel auszutrinken, das sich
im Stiefel seiner Pfeife gesammelt hat. Und es wird behauptet, daß die
Grönländer eigentlich nur deshalb rauchen, um sich das Vergnügen zu ver¬
schaffen, jenes garstige Oel zu schlürfen, welches europäischen Rauchern so
zuwider ist."


G'tiUl'oder II. Istkl, 49

auch in andern Beziehungen den Namen von wunderlichen Heiligen ver¬
dienen.

Ebenfalls sehr verbreitet, selbst unter den Wilden, ist das Tabaksschnupfen,
und auch das Kauen beschränkt sich nicht bloß auf das Gebiet gebildeter Na¬
tionen, wenn es auch unter den Uankees die meisten Liebhaber zählt. Eifrige
Verehrer des Primchens sind unter Andern die Bewohner des indischen Archipels,
die Tschuktschen in Ostsibirien, die Mogrebin und die Nubier Nordafrikas,
Die Schwarzen in Dschesire mischen ihren Tabak mit Natron und Wasser zu
einem Brei, den sie Bulla nennen, und von dem sie aus einem Becher ge¬
legentlich einen Schluck nehmen, welcher eine Weile im Munde aus und ab
bewegt wird. Man ladet sich hier zu Bukkagesellschaften ein. etwa wie bei
uns zu Theeabenden. Eine garstige, aber leider wahre Beobachtung ist. daß
in Paraguay vorzüglich die schöne Welt dem Kauen huldigt, und es soll ein
eigenes Gefühl sein, welches Fremde beschleicht, wenn ihnen beim Eintritt in
eine Familie eine mit Atlas und Diamanten geschmückte Hebe entgegenschwebt
und ehe sie ihnen den Mund zum Kuß darbietet, der hier Zeichen des Will-
kommenseins auch sür Fremde ist, erst mit den rosigen Fingerspitzen den ge¬
liebten Tabaksknüuel aus der Backentasche entfernt. Wird von den- Uankees
der Tabak vielleicht nur gekaut, um Material zu fleißiger Uebung im Spucken
zu liefern, so gibt es Menschenkinder, die ihn sogar verschlucken. Den Ueber¬
gang zu diesen Greuelthaten bilden die sogenannten „Tobacco-Dippers" im
Süden der nordamenkanischcn Union, Frauen, welche — abscheulich zu
sagen — Schnupftabak kauen. Man berechnet, daß deren in Virginien, Ca-
rolina, Georgia und Alabama wenigstens hunderttausend sind, und daß die¬
selben täglich über zweitausend Pfund Tabakspulver consumiren. Die Dippers
nehmen in der Regel ein Hölzchen, feuchten es an, tupfen damit in ihre Ta¬
baksdose und reiben sich das an dem Stift hängen bleibende schwarze Pulver
in die Zähne, wo sie es lassen, bis es seine beißende Kraft verloren hat.
Andere halten das mit Schnupftabak beladene Holz in den Mund und saugen
daran wie Kinder an einem Zuckerstengel. Verschiedene südamerikanische
Stämme verspeisen den Tabak, in kleine Stücke zerschnitten, vollständig, und
dasselbe berichten die Reisenden von den Tschuktschen. Den Gipfel der Ab¬
scheulichkeit endlich erreichen, wenn Joubert die Wahrheit berichtet, gewisse
Grönländer. Dieser Reisende sagt: „Wenn ein Fremder in Grönland an¬
kommt, so sieht er sich sofort von einer Menge Eingeborner umgeben, die ihn
um die Erlaubniß angehen, das empyreumatische Oel auszutrinken, das sich
im Stiefel seiner Pfeife gesammelt hat. Und es wird behauptet, daß die
Grönländer eigentlich nur deshalb rauchen, um sich das Vergnügen zu ver¬
schaffen, jenes garstige Oel zu schlürfen, welches europäischen Rauchern so
zuwider ist."


G'tiUl'oder II. Istkl, 49
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[0395] auch in andern Beziehungen den Namen von wunderlichen Heiligen ver¬ dienen. Ebenfalls sehr verbreitet, selbst unter den Wilden, ist das Tabaksschnupfen, und auch das Kauen beschränkt sich nicht bloß auf das Gebiet gebildeter Na¬ tionen, wenn es auch unter den Uankees die meisten Liebhaber zählt. Eifrige Verehrer des Primchens sind unter Andern die Bewohner des indischen Archipels, die Tschuktschen in Ostsibirien, die Mogrebin und die Nubier Nordafrikas, Die Schwarzen in Dschesire mischen ihren Tabak mit Natron und Wasser zu einem Brei, den sie Bulla nennen, und von dem sie aus einem Becher ge¬ legentlich einen Schluck nehmen, welcher eine Weile im Munde aus und ab bewegt wird. Man ladet sich hier zu Bukkagesellschaften ein. etwa wie bei uns zu Theeabenden. Eine garstige, aber leider wahre Beobachtung ist. daß in Paraguay vorzüglich die schöne Welt dem Kauen huldigt, und es soll ein eigenes Gefühl sein, welches Fremde beschleicht, wenn ihnen beim Eintritt in eine Familie eine mit Atlas und Diamanten geschmückte Hebe entgegenschwebt und ehe sie ihnen den Mund zum Kuß darbietet, der hier Zeichen des Will- kommenseins auch sür Fremde ist, erst mit den rosigen Fingerspitzen den ge¬ liebten Tabaksknüuel aus der Backentasche entfernt. Wird von den- Uankees der Tabak vielleicht nur gekaut, um Material zu fleißiger Uebung im Spucken zu liefern, so gibt es Menschenkinder, die ihn sogar verschlucken. Den Ueber¬ gang zu diesen Greuelthaten bilden die sogenannten „Tobacco-Dippers" im Süden der nordamenkanischcn Union, Frauen, welche — abscheulich zu sagen — Schnupftabak kauen. Man berechnet, daß deren in Virginien, Ca- rolina, Georgia und Alabama wenigstens hunderttausend sind, und daß die¬ selben täglich über zweitausend Pfund Tabakspulver consumiren. Die Dippers nehmen in der Regel ein Hölzchen, feuchten es an, tupfen damit in ihre Ta¬ baksdose und reiben sich das an dem Stift hängen bleibende schwarze Pulver in die Zähne, wo sie es lassen, bis es seine beißende Kraft verloren hat. Andere halten das mit Schnupftabak beladene Holz in den Mund und saugen daran wie Kinder an einem Zuckerstengel. Verschiedene südamerikanische Stämme verspeisen den Tabak, in kleine Stücke zerschnitten, vollständig, und dasselbe berichten die Reisenden von den Tschuktschen. Den Gipfel der Ab¬ scheulichkeit endlich erreichen, wenn Joubert die Wahrheit berichtet, gewisse Grönländer. Dieser Reisende sagt: „Wenn ein Fremder in Grönland an¬ kommt, so sieht er sich sofort von einer Menge Eingeborner umgeben, die ihn um die Erlaubniß angehen, das empyreumatische Oel auszutrinken, das sich im Stiefel seiner Pfeife gesammelt hat. Und es wird behauptet, daß die Grönländer eigentlich nur deshalb rauchen, um sich das Vergnügen zu ver¬ schaffen, jenes garstige Oel zu schlürfen, welches europäischen Rauchern so zuwider ist." G'tiUl'oder II. Istkl, 49

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/395>, abgerufen am 24.08.2024.