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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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Murad ging oft verkleidet aus, um zu beobachten, ob die Polizei ihre
Pflicht erfülle oder um selbst Uebertreten seiner Vorschriften in Betreff des Tabaks
nachzuspüren. Bei einer solchen Gelegenheit soll ihm ein Abenteuer begegnet
sein, welches seine Neigung zu derartigen Expeditionen beträchtlich zu schwächen
geeignet war. Im Kleide eines einfachen Bürgers fuhr er in einem Kalk
nach Se'utari hinüber und schlich um die Karawanserais herum, wo Fremde
aus dein Innern von Anadoli einzukehren pflegen. Da er keinen Raucher
entdeckte, versuchte er es bei der Rückkehr mit einem der großen Passagier¬
boote, die zwischen Stambul und Skutari den Verkehr vermittelten, und hier
war er glücklicher. Während der Ueberfahrt zog ein Sipahi, der von Kutahia
gekommen war, um rückständigen Sold zu fordern, verstohlen eine kurze Pfeife
heraus, stopfte sie und begann zu schmauchen. Murad vermochte kaum seinen
Zorn zu bemeistern; da er indeß den Burschen in seiner Gewalt zu hoben
meinte, beschloß er sich vorläufig einen Scherz mit ihm zu machen. Er trat
daher an seine Seite und flüsterte ihm zu: "Beim Kopf des Propheten, Ka¬
merad, Du mußt ein kecker Gesell sein! Hofe Du nichts von den Verboten des
Padischa gehört? Siehe, wir sind im Angesicht des Palastes, nimm Deinen
Kopf in Acht." -- "Wenn der Sultan unterläßt, seinen Soldaten ihre Löh¬
nung zu geben oder sie mit guten Lebensmitteln zu versorgen," erwiderte
der Sipahi. "so müssen sie sich auf andere Weise zu erhalten suchen. Der
Prophet hat gesagt, wenn einer hungernde Menschen verderben lasse, so sei
dieß nicht besser als Mord, verhungere man aber durch eigue Schuld so sei
dieß Selbstmord, der noch schlimmer als die Ermordung eines Andern. Mein
Tabak ist gut. Bismillah! er steht Dir zu Diensten."

Der Sultan sah sich scheu um, als fürchtete er, entdeckt zu werden, zog
sein Gewand vor das Gesicht, nahm die Pfeife und schmauchte wacker da¬
rauf los. Dann gab er dem Soldaten das Instrument zurück und rief:
"Bruder, Du scheinst ein sehr freigebiger Mann zu sein. Schade nur, daß Du
nicht vorsichtiger bist. Aber in der That, auch ich rauche gern ein Pfeifchen
und mache mich im Stillen über den Bart des Sultans lustig. Doch Köpfe
bleiben Köpfe und wachsen nicht wie grüne Feigen. Höre daher meinen
Rath und halte Dich vorsichtig."

"Der Mensch kann nur einmal sterben, und jedem ist dazu sein Tag be¬
stimmt," entgegnete der Sipahi. "Ich werde lieber mit einem Mund voll Rauch
"is mit leerem Magen sterben. Er freilich, dem es nicht an Brot und Salz
We, kann Andern diesen Ersatz der Nahrung verbieten, aber -- Inschallah!
Tag wird kommen, wo er dafür braten soll."

..Allah! Allah! Ein unverbesserlicher Aufrührer und Lästerer -- er soll
"ut seinem eigenen Pfeifenrohr gepfählt werden." murmelte der Sultan für sich;
dann flüsterte er: "Sprich leiser. Effendimiß (unser Gebieter) hat lange Ohren."


Murad ging oft verkleidet aus, um zu beobachten, ob die Polizei ihre
Pflicht erfülle oder um selbst Uebertreten seiner Vorschriften in Betreff des Tabaks
nachzuspüren. Bei einer solchen Gelegenheit soll ihm ein Abenteuer begegnet
sein, welches seine Neigung zu derartigen Expeditionen beträchtlich zu schwächen
geeignet war. Im Kleide eines einfachen Bürgers fuhr er in einem Kalk
nach Se'utari hinüber und schlich um die Karawanserais herum, wo Fremde
aus dein Innern von Anadoli einzukehren pflegen. Da er keinen Raucher
entdeckte, versuchte er es bei der Rückkehr mit einem der großen Passagier¬
boote, die zwischen Stambul und Skutari den Verkehr vermittelten, und hier
war er glücklicher. Während der Ueberfahrt zog ein Sipahi, der von Kutahia
gekommen war, um rückständigen Sold zu fordern, verstohlen eine kurze Pfeife
heraus, stopfte sie und begann zu schmauchen. Murad vermochte kaum seinen
Zorn zu bemeistern; da er indeß den Burschen in seiner Gewalt zu hoben
meinte, beschloß er sich vorläufig einen Scherz mit ihm zu machen. Er trat
daher an seine Seite und flüsterte ihm zu: „Beim Kopf des Propheten, Ka¬
merad, Du mußt ein kecker Gesell sein! Hofe Du nichts von den Verboten des
Padischa gehört? Siehe, wir sind im Angesicht des Palastes, nimm Deinen
Kopf in Acht." — „Wenn der Sultan unterläßt, seinen Soldaten ihre Löh¬
nung zu geben oder sie mit guten Lebensmitteln zu versorgen," erwiderte
der Sipahi. „so müssen sie sich auf andere Weise zu erhalten suchen. Der
Prophet hat gesagt, wenn einer hungernde Menschen verderben lasse, so sei
dieß nicht besser als Mord, verhungere man aber durch eigue Schuld so sei
dieß Selbstmord, der noch schlimmer als die Ermordung eines Andern. Mein
Tabak ist gut. Bismillah! er steht Dir zu Diensten."

Der Sultan sah sich scheu um, als fürchtete er, entdeckt zu werden, zog
sein Gewand vor das Gesicht, nahm die Pfeife und schmauchte wacker da¬
rauf los. Dann gab er dem Soldaten das Instrument zurück und rief:
„Bruder, Du scheinst ein sehr freigebiger Mann zu sein. Schade nur, daß Du
nicht vorsichtiger bist. Aber in der That, auch ich rauche gern ein Pfeifchen
und mache mich im Stillen über den Bart des Sultans lustig. Doch Köpfe
bleiben Köpfe und wachsen nicht wie grüne Feigen. Höre daher meinen
Rath und halte Dich vorsichtig."

„Der Mensch kann nur einmal sterben, und jedem ist dazu sein Tag be¬
stimmt," entgegnete der Sipahi. „Ich werde lieber mit einem Mund voll Rauch
"is mit leerem Magen sterben. Er freilich, dem es nicht an Brot und Salz
We, kann Andern diesen Ersatz der Nahrung verbieten, aber — Inschallah!
Tag wird kommen, wo er dafür braten soll."

..Allah! Allah! Ein unverbesserlicher Aufrührer und Lästerer — er soll
"ut seinem eigenen Pfeifenrohr gepfählt werden." murmelte der Sultan für sich;
dann flüsterte er: „Sprich leiser. Effendimiß (unser Gebieter) hat lange Ohren."


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[0391] Murad ging oft verkleidet aus, um zu beobachten, ob die Polizei ihre Pflicht erfülle oder um selbst Uebertreten seiner Vorschriften in Betreff des Tabaks nachzuspüren. Bei einer solchen Gelegenheit soll ihm ein Abenteuer begegnet sein, welches seine Neigung zu derartigen Expeditionen beträchtlich zu schwächen geeignet war. Im Kleide eines einfachen Bürgers fuhr er in einem Kalk nach Se'utari hinüber und schlich um die Karawanserais herum, wo Fremde aus dein Innern von Anadoli einzukehren pflegen. Da er keinen Raucher entdeckte, versuchte er es bei der Rückkehr mit einem der großen Passagier¬ boote, die zwischen Stambul und Skutari den Verkehr vermittelten, und hier war er glücklicher. Während der Ueberfahrt zog ein Sipahi, der von Kutahia gekommen war, um rückständigen Sold zu fordern, verstohlen eine kurze Pfeife heraus, stopfte sie und begann zu schmauchen. Murad vermochte kaum seinen Zorn zu bemeistern; da er indeß den Burschen in seiner Gewalt zu hoben meinte, beschloß er sich vorläufig einen Scherz mit ihm zu machen. Er trat daher an seine Seite und flüsterte ihm zu: „Beim Kopf des Propheten, Ka¬ merad, Du mußt ein kecker Gesell sein! Hofe Du nichts von den Verboten des Padischa gehört? Siehe, wir sind im Angesicht des Palastes, nimm Deinen Kopf in Acht." — „Wenn der Sultan unterläßt, seinen Soldaten ihre Löh¬ nung zu geben oder sie mit guten Lebensmitteln zu versorgen," erwiderte der Sipahi. „so müssen sie sich auf andere Weise zu erhalten suchen. Der Prophet hat gesagt, wenn einer hungernde Menschen verderben lasse, so sei dieß nicht besser als Mord, verhungere man aber durch eigue Schuld so sei dieß Selbstmord, der noch schlimmer als die Ermordung eines Andern. Mein Tabak ist gut. Bismillah! er steht Dir zu Diensten." Der Sultan sah sich scheu um, als fürchtete er, entdeckt zu werden, zog sein Gewand vor das Gesicht, nahm die Pfeife und schmauchte wacker da¬ rauf los. Dann gab er dem Soldaten das Instrument zurück und rief: „Bruder, Du scheinst ein sehr freigebiger Mann zu sein. Schade nur, daß Du nicht vorsichtiger bist. Aber in der That, auch ich rauche gern ein Pfeifchen und mache mich im Stillen über den Bart des Sultans lustig. Doch Köpfe bleiben Köpfe und wachsen nicht wie grüne Feigen. Höre daher meinen Rath und halte Dich vorsichtig." „Der Mensch kann nur einmal sterben, und jedem ist dazu sein Tag be¬ stimmt," entgegnete der Sipahi. „Ich werde lieber mit einem Mund voll Rauch "is mit leerem Magen sterben. Er freilich, dem es nicht an Brot und Salz We, kann Andern diesen Ersatz der Nahrung verbieten, aber — Inschallah! Tag wird kommen, wo er dafür braten soll." ..Allah! Allah! Ein unverbesserlicher Aufrührer und Lästerer — er soll "ut seinem eigenen Pfeifenrohr gepfählt werden." murmelte der Sultan für sich; dann flüsterte er: „Sprich leiser. Effendimiß (unser Gebieter) hat lange Ohren."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/391>, abgerufen am 24.08.2024.