Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.der polnischen Sprache bediene", werden sich in der gelehrten Welt Geltung Werfen wir einen Blick auf die Krakauer Hochschule in ihrer sich eben jetzt der polnischen Sprache bediene», werden sich in der gelehrten Welt Geltung Werfen wir einen Blick auf die Krakauer Hochschule in ihrer sich eben jetzt <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0038" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/111470"/> <p xml:id="ID_90" prev="#ID_89"> der polnischen Sprache bediene», werden sich in der gelehrten Welt Geltung<lb/> verschaffen. Kein Zweig der Wissenschaft ist je durch polnische Original-<lb/> arbeiten wesentlich gefordert worden. Man nenne uns irgend eine Speciell-<lb/> Untersuchung juristischen, naturwissenschaftlichen, nicdicinischcn, philologischen<lb/> Inhalts, polnisch geschrieben, die von den in gegenseitigem Geistesnustausche<lb/> stehenden Deutschen, Franzosen, Engländern, Italienern, Skandinaviern ,als<lb/> maßgebend citirt würde. Die polnische wissenschaftliche Literatur, an sich<lb/> höchst dürftig, existirt eben nicht für die übrige gelehrte Welt. In Krakau<lb/> "wird man fortan, wie früher, sich selbst genügen. Der polnische Bauer wird<lb/> in seiner tiefen Unwissenheit bleiben; die geringen Anfänge, welche mit der<lb/> Gründung eines Mittelstandes gemacht waren, werden in wenigen Jahren,<lb/> wenn es den polnischen Stimmführern nach Wunsch geht, zerstört sein, der<lb/> Adel wird sich, wie bisher, französisch laliren, und die Professoren der Kra¬<lb/> kauer Universität, ohne Controlle, ohne Zusammenhang mit draußen, werden<lb/> wie früher sich gegenseitig als höchst berühmte Leute ausrufen und von ihren<lb/> Landsleuten, mit instinctiver Achtung vor der Wissenschaft und Scheinwissen¬<lb/> schaft, als große Münncr angestaunt werden. Das hat man an der Krakauer<lb/> Universität sehr wol gewußt, und abgesehen von der bekannten krankhaften<lb/> Begier nach Polenthum um jeden Preis, ist die Aussicht, ohne Mühe nun<lb/> wieder als echtpolnische Sterne zu glänzen, für jene Herren keiner der letzten<lb/> Beweggründe gewesen zu der Hast, sich des deutschen Wesens zu entledigen.</p><lb/> <p xml:id="ID_91" next="#ID_92"> Werfen wir einen Blick auf die Krakauer Hochschule in ihrer sich eben jetzt<lb/> vollziehenden Neugestaltung. Wir begegnen unter den fanatischsten Polen einer<lb/> Reihe deutscher Namen, von denen wir einige, gleich einigen unverfälschten<lb/> Polen, kurz zu charakterisiren und nach ihren Verdiensten zu würdigen haben.<lb/> In der medicinischen Facultät spuken Dietl, Kliniker, und der Physiolog<lb/> Mayrr die erste Geige. Ihre Namen verrathen zur Genüge, daß ihre Boreltern<lb/> anders dachten, als sie. Dietl. früher einmal Primärarzt im Wiedner Kranken¬<lb/> hause zu Wien, ist ein durch mehrfache deutsche Leistungen wohlbekannter<lb/> Mann, ein gewandter Arzt und Docent. Mayer — der sich Majer schreibt,<lb/> um seine deutsche oder vielmehr jüdische Abkunft etwas zu verdecken — steht<lb/> seit Jahren bei seinen Leuten im höchsten Ansehn. Er war wiederholt Rector<lb/> der Universität und pflegt von den Polen „Pan Rector" angeredet zu werden,<lb/> ist auch Präsident der Krakauer gelehrten Gesellschaft. Die Physiologie in<lb/> Deutschland, Frankreich u. s. f. weiß nichts von ihm. Er hat in polnischer<lb/> Sprache eine Physiologie geschrieben und darin ausführlich die berühmten<lb/> Dubois'schen Untersuchungen über die thierische Elektricität mitgetheilt, ohne<lb/> die Versuche je nachgemacht oder auch nur die unerläßlichsten Apparate besessen<lb/> zu haben. Obschon ihm jede Originalität abzusprechen, scheint er ein guter<lb/> Docent zu sein; sonst wäre die Begeisterung für ihn unerklärlich. Da er des</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0038]
der polnischen Sprache bediene», werden sich in der gelehrten Welt Geltung
verschaffen. Kein Zweig der Wissenschaft ist je durch polnische Original-
arbeiten wesentlich gefordert worden. Man nenne uns irgend eine Speciell-
Untersuchung juristischen, naturwissenschaftlichen, nicdicinischcn, philologischen
Inhalts, polnisch geschrieben, die von den in gegenseitigem Geistesnustausche
stehenden Deutschen, Franzosen, Engländern, Italienern, Skandinaviern ,als
maßgebend citirt würde. Die polnische wissenschaftliche Literatur, an sich
höchst dürftig, existirt eben nicht für die übrige gelehrte Welt. In Krakau
"wird man fortan, wie früher, sich selbst genügen. Der polnische Bauer wird
in seiner tiefen Unwissenheit bleiben; die geringen Anfänge, welche mit der
Gründung eines Mittelstandes gemacht waren, werden in wenigen Jahren,
wenn es den polnischen Stimmführern nach Wunsch geht, zerstört sein, der
Adel wird sich, wie bisher, französisch laliren, und die Professoren der Kra¬
kauer Universität, ohne Controlle, ohne Zusammenhang mit draußen, werden
wie früher sich gegenseitig als höchst berühmte Leute ausrufen und von ihren
Landsleuten, mit instinctiver Achtung vor der Wissenschaft und Scheinwissen¬
schaft, als große Münncr angestaunt werden. Das hat man an der Krakauer
Universität sehr wol gewußt, und abgesehen von der bekannten krankhaften
Begier nach Polenthum um jeden Preis, ist die Aussicht, ohne Mühe nun
wieder als echtpolnische Sterne zu glänzen, für jene Herren keiner der letzten
Beweggründe gewesen zu der Hast, sich des deutschen Wesens zu entledigen.
Werfen wir einen Blick auf die Krakauer Hochschule in ihrer sich eben jetzt
vollziehenden Neugestaltung. Wir begegnen unter den fanatischsten Polen einer
Reihe deutscher Namen, von denen wir einige, gleich einigen unverfälschten
Polen, kurz zu charakterisiren und nach ihren Verdiensten zu würdigen haben.
In der medicinischen Facultät spuken Dietl, Kliniker, und der Physiolog
Mayrr die erste Geige. Ihre Namen verrathen zur Genüge, daß ihre Boreltern
anders dachten, als sie. Dietl. früher einmal Primärarzt im Wiedner Kranken¬
hause zu Wien, ist ein durch mehrfache deutsche Leistungen wohlbekannter
Mann, ein gewandter Arzt und Docent. Mayer — der sich Majer schreibt,
um seine deutsche oder vielmehr jüdische Abkunft etwas zu verdecken — steht
seit Jahren bei seinen Leuten im höchsten Ansehn. Er war wiederholt Rector
der Universität und pflegt von den Polen „Pan Rector" angeredet zu werden,
ist auch Präsident der Krakauer gelehrten Gesellschaft. Die Physiologie in
Deutschland, Frankreich u. s. f. weiß nichts von ihm. Er hat in polnischer
Sprache eine Physiologie geschrieben und darin ausführlich die berühmten
Dubois'schen Untersuchungen über die thierische Elektricität mitgetheilt, ohne
die Versuche je nachgemacht oder auch nur die unerläßlichsten Apparate besessen
zu haben. Obschon ihm jede Originalität abzusprechen, scheint er ein guter
Docent zu sein; sonst wäre die Begeisterung für ihn unerklärlich. Da er des
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