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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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gestattet dem zur See Herrschenden nicht bloß befestigte Seeplätze des Feindes
durch vollständige Einschließung zu bezwingen, seine am Lande opcrirenden
Truppen, wie dies namentlich in einem deutschen Kriege gegen Nußland ent¬
scheidend sein würde, in steter Nähe seiner Hilfsquellen den Weg in Feindes¬
land längs der Küste machen zu lassen, sie gestattet ihm seine Operations¬
basis auf das Meer selbst zu legen und von einem unerwarteten Punkte aus
anzugreifen. Dem zur See Schwachen bleibt die See überall ein verbotenes
Gebiet, von dem aus er angegriffen werden, in welches hinein er aber nicht
angreifen kann.

Diese zum Theil erst durch die Anwendung der Dampfkraft zu ihrer voll¬
ständigen Entwicklung gelangten und noch nicht fixirten Elemente der neueren
Kriegführung machen für einen Staat, der seine Unabhängigkeit behaupten
will, den Besitz einer Kriegsflotte zur unabweislichen Nothwendigkeit.

Nur wenn er den Besitz des Meeres andern Mächten wenigstens streitig
machen kann, wird seine Politik dnrch berechtigte Rücksichten ans die Erhalt
tung seiner Schifffahrt und seines Handels d. h. auf sehr wesentliche Quellen
des Nationalwohlstandes nicht beengt sein. Nur dann wird er aus eine
Landesverteidigung rechnen können, welche zum Schutz der Meeresgrenze
nickt große Truppenmassen vom Kriegsschauplatze abzieht, und welche die
Vertheidigung dieser Grenze nicht erst im eigenen Lande beginnt; nur durch
das Zusammenwirken einer Flotte und eines Landheercs wird die Landes-
Vertheidigung Deutschlands gegen Seemächte, und es gibt keine Mächte, die
nicht zugleich Seemächte wären, -- eine vollständige, die Bundesgenossenschaft
Deutschlands anderen Staaten von Werth sein.

Ehe der Seeverkehr seine heutige Ausdehnung, ehe die transatlantischen
Länder für Europa eine in das System ihrer Politik eingreifende Bedeutung
erhalten hatten, konnte auch ohne Flotte eine bloße Landmacht die Stelle einer
Macht ersten Ranges einnehmen. Gegenwärtig würde sich die Frage aufwerfen
lassen, ob eine bloße Landmacht ohne Kriegsmarine im Stande wäre, die Stellung
einer Großmacht zu erringen oder zu behaupten. Es mögen das diejenige"
überlegen, welche in der Gewöhnung an die Begriffe vergangener Zeiten und
unbekannt mit den Veränderungen, denen die Welt in den letzten Jahrzehnten
entgegen gegangen ist, die preußische Kriegsmarine für einen Luxusartikel hul'
ten. Seestaatcn aber, welche auch heute noch eine Kriegsmarine als über'
flüssig betrachten, verdienen dieselbe Achtung und dasselbe Schicksal wie diejenige"
Staaten, welche zur bewaffneten Vertheidigung ihrer Landesgrenzen Truppen
für überflüssig erachten, und den Landesfeind mit Bitten zu erweichen hoffen-


gestattet dem zur See Herrschenden nicht bloß befestigte Seeplätze des Feindes
durch vollständige Einschließung zu bezwingen, seine am Lande opcrirenden
Truppen, wie dies namentlich in einem deutschen Kriege gegen Nußland ent¬
scheidend sein würde, in steter Nähe seiner Hilfsquellen den Weg in Feindes¬
land längs der Küste machen zu lassen, sie gestattet ihm seine Operations¬
basis auf das Meer selbst zu legen und von einem unerwarteten Punkte aus
anzugreifen. Dem zur See Schwachen bleibt die See überall ein verbotenes
Gebiet, von dem aus er angegriffen werden, in welches hinein er aber nicht
angreifen kann.

Diese zum Theil erst durch die Anwendung der Dampfkraft zu ihrer voll¬
ständigen Entwicklung gelangten und noch nicht fixirten Elemente der neueren
Kriegführung machen für einen Staat, der seine Unabhängigkeit behaupten
will, den Besitz einer Kriegsflotte zur unabweislichen Nothwendigkeit.

Nur wenn er den Besitz des Meeres andern Mächten wenigstens streitig
machen kann, wird seine Politik dnrch berechtigte Rücksichten ans die Erhalt
tung seiner Schifffahrt und seines Handels d. h. auf sehr wesentliche Quellen
des Nationalwohlstandes nicht beengt sein. Nur dann wird er aus eine
Landesverteidigung rechnen können, welche zum Schutz der Meeresgrenze
nickt große Truppenmassen vom Kriegsschauplatze abzieht, und welche die
Vertheidigung dieser Grenze nicht erst im eigenen Lande beginnt; nur durch
das Zusammenwirken einer Flotte und eines Landheercs wird die Landes-
Vertheidigung Deutschlands gegen Seemächte, und es gibt keine Mächte, die
nicht zugleich Seemächte wären, — eine vollständige, die Bundesgenossenschaft
Deutschlands anderen Staaten von Werth sein.

Ehe der Seeverkehr seine heutige Ausdehnung, ehe die transatlantischen
Länder für Europa eine in das System ihrer Politik eingreifende Bedeutung
erhalten hatten, konnte auch ohne Flotte eine bloße Landmacht die Stelle einer
Macht ersten Ranges einnehmen. Gegenwärtig würde sich die Frage aufwerfen
lassen, ob eine bloße Landmacht ohne Kriegsmarine im Stande wäre, die Stellung
einer Großmacht zu erringen oder zu behaupten. Es mögen das diejenige"
überlegen, welche in der Gewöhnung an die Begriffe vergangener Zeiten und
unbekannt mit den Veränderungen, denen die Welt in den letzten Jahrzehnten
entgegen gegangen ist, die preußische Kriegsmarine für einen Luxusartikel hul'
ten. Seestaatcn aber, welche auch heute noch eine Kriegsmarine als über'
flüssig betrachten, verdienen dieselbe Achtung und dasselbe Schicksal wie diejenige»
Staaten, welche zur bewaffneten Vertheidigung ihrer Landesgrenzen Truppen
für überflüssig erachten, und den Landesfeind mit Bitten zu erweichen hoffen-


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[0376] gestattet dem zur See Herrschenden nicht bloß befestigte Seeplätze des Feindes durch vollständige Einschließung zu bezwingen, seine am Lande opcrirenden Truppen, wie dies namentlich in einem deutschen Kriege gegen Nußland ent¬ scheidend sein würde, in steter Nähe seiner Hilfsquellen den Weg in Feindes¬ land längs der Küste machen zu lassen, sie gestattet ihm seine Operations¬ basis auf das Meer selbst zu legen und von einem unerwarteten Punkte aus anzugreifen. Dem zur See Schwachen bleibt die See überall ein verbotenes Gebiet, von dem aus er angegriffen werden, in welches hinein er aber nicht angreifen kann. Diese zum Theil erst durch die Anwendung der Dampfkraft zu ihrer voll¬ ständigen Entwicklung gelangten und noch nicht fixirten Elemente der neueren Kriegführung machen für einen Staat, der seine Unabhängigkeit behaupten will, den Besitz einer Kriegsflotte zur unabweislichen Nothwendigkeit. Nur wenn er den Besitz des Meeres andern Mächten wenigstens streitig machen kann, wird seine Politik dnrch berechtigte Rücksichten ans die Erhalt tung seiner Schifffahrt und seines Handels d. h. auf sehr wesentliche Quellen des Nationalwohlstandes nicht beengt sein. Nur dann wird er aus eine Landesverteidigung rechnen können, welche zum Schutz der Meeresgrenze nickt große Truppenmassen vom Kriegsschauplatze abzieht, und welche die Vertheidigung dieser Grenze nicht erst im eigenen Lande beginnt; nur durch das Zusammenwirken einer Flotte und eines Landheercs wird die Landes- Vertheidigung Deutschlands gegen Seemächte, und es gibt keine Mächte, die nicht zugleich Seemächte wären, — eine vollständige, die Bundesgenossenschaft Deutschlands anderen Staaten von Werth sein. Ehe der Seeverkehr seine heutige Ausdehnung, ehe die transatlantischen Länder für Europa eine in das System ihrer Politik eingreifende Bedeutung erhalten hatten, konnte auch ohne Flotte eine bloße Landmacht die Stelle einer Macht ersten Ranges einnehmen. Gegenwärtig würde sich die Frage aufwerfen lassen, ob eine bloße Landmacht ohne Kriegsmarine im Stande wäre, die Stellung einer Großmacht zu erringen oder zu behaupten. Es mögen das diejenige" überlegen, welche in der Gewöhnung an die Begriffe vergangener Zeiten und unbekannt mit den Veränderungen, denen die Welt in den letzten Jahrzehnten entgegen gegangen ist, die preußische Kriegsmarine für einen Luxusartikel hul' ten. Seestaatcn aber, welche auch heute noch eine Kriegsmarine als über' flüssig betrachten, verdienen dieselbe Achtung und dasselbe Schicksal wie diejenige» Staaten, welche zur bewaffneten Vertheidigung ihrer Landesgrenzen Truppen für überflüssig erachten, und den Landesfeind mit Bitten zu erweichen hoffen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/376>, abgerufen am 01.07.2024.