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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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später auf ein Minimum von 180 herabgesetzt) und eine Reihe von Gebeten
memoriren. Von Präparanden, d. h. jungen Leuten, die in Schullehrer-Semi¬
nare aufgenommen werden sollen, wurden 50 Kirchenlieder und der ganze kleine
Katechismus verlangt. Abgesehen davon war es Tendenz der Regulative, die
Bildung des Volks und namentlich die der Lehrer möglichst zu beschränken, an¬
geblich damit das geringere Material besser durchgearbeitet werde, aber zugleich
auch damit mehr christliche und vaterländische (soll heißen kirchliche und reac-
tionäre) Gesinnung in Lehrer und Schüler geweckt werde. So wurde z. B.
in den Seminarien aller Unterricht in eigentlicher Pädagogik gestrichen und
dafür sogenannte Schulkunde eingeführt, d. h. eine Mittheilung derjenigen
fertigen Resultate, welche die hohe-Weisheit Raumer-sticht'scher Verwaltung
als unumstößlich hinzustellen wünschte. Als Erziehungslehre hieß es, genüge
völlig die biblische Lehre von der Sünde und Erlösung. Verboten wurde
aller Unterricht in deutscher Grammatik und in der Weltgeschichte, der in Semi¬
narien nur "Unkl arbeit und Verbildung" erzeuge. Der Rechenunterricht sollte
sich nur mit dem Zahlenkreise von 1--100 besassen, aber nicht aus "Deci¬
malzahlen" auch nicht auf Lerhältnißrcchnung oder Wnrzelausziehen erstrecken,
während doch ergötzlicher Weise das Lösen algebraischer Aufgaben gefordert
wurde. Wollte also ein Seminarist Regel de Tri rechnen lernen, so be.
durfte es der besonderen Erlaubniß der königlichen Regierung. Geographie
fiel in der obersten Seminarklasse fort. Für die Naturkunde wurde "religiöse
Richtung und Haltung" als nothwendige Bedingung hingestellt; was hierin
oder in der Raumlehre verlangt wurde, ist ein verschwindendes Minimum.
In den Volksschulen sollten zwar für Religionsunterricht sechs, aber für Ge¬
schichte. Geographie und Naturkunde gewöhnlich gar keine, nur ausnahms¬
weise zusammen drei wöchentliche Stunden angesetzt werden. Kurz es war
das Princip durchgeführt, daß sich auch die Bildung der künftigen Lehrer ganz
innerhalb der Grenzen des Elementarunterrichts halten müsse. Für möglichste
Einförmigkeit des Unterrichts wurde dadurch gesorgt, daß überall bestimmte
Lehrbücher vorgeschrieben und genauer Anschluß an dieselben geboten wurde.
Selbst die Privatlectüre der Seminaristen wurde von Oben herab festgesetzt
und die "sogenannte classische Literatur" daraus verbannt.

Kaum war nun die Regentschaft eingetreten und mit ihr das Ministerium
Raumer beseitigt, so ließ die Dreistigkeit nach, mit der Herr sticht einige Jahre
vorher dem preußischen Volke so unerhörte Dinge geboten hatte. Freilich
gleichen sich alle seitdem erschienenen Ministerialerlasse darin, daß sie mit rei¬
chem Wortschwalle das Lob der Regulative verkünden. In dem von ihm
redigirten Centralblatte hat Herr sticht eine Reihe von Regierungsgutachten
abgedruckt, welche die segensreichen Wirkungen des neuen Gesetzes rühmen.
Kein Mensch findet das wunderbar. Denn diese Berichte kommen alle aus


später auf ein Minimum von 180 herabgesetzt) und eine Reihe von Gebeten
memoriren. Von Präparanden, d. h. jungen Leuten, die in Schullehrer-Semi¬
nare aufgenommen werden sollen, wurden 50 Kirchenlieder und der ganze kleine
Katechismus verlangt. Abgesehen davon war es Tendenz der Regulative, die
Bildung des Volks und namentlich die der Lehrer möglichst zu beschränken, an¬
geblich damit das geringere Material besser durchgearbeitet werde, aber zugleich
auch damit mehr christliche und vaterländische (soll heißen kirchliche und reac-
tionäre) Gesinnung in Lehrer und Schüler geweckt werde. So wurde z. B.
in den Seminarien aller Unterricht in eigentlicher Pädagogik gestrichen und
dafür sogenannte Schulkunde eingeführt, d. h. eine Mittheilung derjenigen
fertigen Resultate, welche die hohe-Weisheit Raumer-sticht'scher Verwaltung
als unumstößlich hinzustellen wünschte. Als Erziehungslehre hieß es, genüge
völlig die biblische Lehre von der Sünde und Erlösung. Verboten wurde
aller Unterricht in deutscher Grammatik und in der Weltgeschichte, der in Semi¬
narien nur „Unkl arbeit und Verbildung" erzeuge. Der Rechenunterricht sollte
sich nur mit dem Zahlenkreise von 1—100 besassen, aber nicht aus „Deci¬
malzahlen" auch nicht auf Lerhältnißrcchnung oder Wnrzelausziehen erstrecken,
während doch ergötzlicher Weise das Lösen algebraischer Aufgaben gefordert
wurde. Wollte also ein Seminarist Regel de Tri rechnen lernen, so be.
durfte es der besonderen Erlaubniß der königlichen Regierung. Geographie
fiel in der obersten Seminarklasse fort. Für die Naturkunde wurde „religiöse
Richtung und Haltung" als nothwendige Bedingung hingestellt; was hierin
oder in der Raumlehre verlangt wurde, ist ein verschwindendes Minimum.
In den Volksschulen sollten zwar für Religionsunterricht sechs, aber für Ge¬
schichte. Geographie und Naturkunde gewöhnlich gar keine, nur ausnahms¬
weise zusammen drei wöchentliche Stunden angesetzt werden. Kurz es war
das Princip durchgeführt, daß sich auch die Bildung der künftigen Lehrer ganz
innerhalb der Grenzen des Elementarunterrichts halten müsse. Für möglichste
Einförmigkeit des Unterrichts wurde dadurch gesorgt, daß überall bestimmte
Lehrbücher vorgeschrieben und genauer Anschluß an dieselben geboten wurde.
Selbst die Privatlectüre der Seminaristen wurde von Oben herab festgesetzt
und die „sogenannte classische Literatur" daraus verbannt.

Kaum war nun die Regentschaft eingetreten und mit ihr das Ministerium
Raumer beseitigt, so ließ die Dreistigkeit nach, mit der Herr sticht einige Jahre
vorher dem preußischen Volke so unerhörte Dinge geboten hatte. Freilich
gleichen sich alle seitdem erschienenen Ministerialerlasse darin, daß sie mit rei¬
chem Wortschwalle das Lob der Regulative verkünden. In dem von ihm
redigirten Centralblatte hat Herr sticht eine Reihe von Regierungsgutachten
abgedruckt, welche die segensreichen Wirkungen des neuen Gesetzes rühmen.
Kein Mensch findet das wunderbar. Denn diese Berichte kommen alle aus


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/360>, abgerufen am 01.07.2024.