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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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geschickteste Werkzeug erblickt, die Tiroler nach Wunsch zu lenken, daran haben
wir nie gezweifelt. Von der Stunde an, als er in's Land kam, bis auf den
gegenwärtigen Augenblick wiesen alle seine Reden und Handlungen, die in die
Öffentlichkeit gelangten, auf dieses Ziel hin. Wir wollen nicht wiederholen,
was wir oben erzählt; Jeder mag es sich selbst zusammenstellen; so viel wird
aber Niemand leugnen können, daß ein echt klerikaler Sinn sich bei ihm wie
ein rother Faden durch alle Maßnahmen des Uebergangsstadiums aus dem
absolutesten Regime in das Verfassungsleben zieht. Wir erlauben uns An¬
gesichts dieses 'beharrlichen Strebens, wovon der Erzherzog auch nach dem
26. Februar, ja noch vor den Thoren des Reichsrathes nicht abließ, nur eine
Frage. Soll dieser Kampf gegen die Freiheit des Geistes auch nach der fei¬
erlichen Verkündung der Constitution durch den Mund des Kaisers fortdauern?
Wir vernahmen in der Thronrede, daß die Gleichheit aller Staatsbürger vor
dem Gesetze zu einer heilbringenden Umgestaltung der Gesammtmonarchie führen
werde. Soll das Recht freier und öffentlicher Religionsübung, der Bildung
von Gemeinden, des Güterankaufs nur in Tirol vom religiösen Bekenntniß
abhängen? Es gilt der Welt zu zeigen, sprach der Kaiser, daß kirchliche Ver¬
schiedenheiten unter dem vermittelnden Einflüsse fortgeschrittener Cultur bei
gemeinsamer Billigkeit und versöhnlicher Stimmung überwunden werden. Ist
es nur dem tirolischen Klerus erlaubt die Humanität, die auch im Anders¬
gläubigen den Menschen und Christen achtet, als Heidenthum zu brandmar¬
ken, den Pöbel auf ruhige, vernünftig denkende Männer zu Hetzen, und die
höchsten Organe der Regierung mit dem Vorwurf des "Pesthauches einer schlech¬
ten Zeit" und der "Bosheit" zu höhnen? Der Kaiser gelobte in jener großen
Stunde die Gesammtverfassung als das unantastbare Fundament seines eini¬
gen und untheilbaren Kaiserreichs mit all' seiner Macht zu schützen. Soll es
Tirol gestattet sein, aus Vorliebe für die Freiheit zur alten Knechtschaft sich
loszureißen vom allgemeinen Gesetz, eine Art theokratischer Republik^ zu
bilden, eine "Bresche in den Constitutionalismus" und die Einheit des
Staates zu schießen, damit auf dieser Insel der Seligen nicht der Kaiser,
sondern die katholischen Bischöfe herrschen? Und diese Grundsätze haben
uicht nur den Beifall irgend einer Schreiberseele im Solde halbgebildeter
und fanatischer Pfaffen, sondern eines Mannes vom höchsten fürstlichen Ge¬
müte, der hier waltet an Kaisers Statt. Hat man der Zweifel, des Miß-
Bauens und der Spannung noch immer nicht genug, um gerade im Momente,
^o der Kaiser nach vieljähriger bitterer Erfahrung im Begriffe stand eine
"ffene und freisinnige Politik zu verheißen, die Rückkehr zu den alten verwor¬
fenen Principien als möglich hinzustellen, die uns an den Rand des Unter-
Sangs gebracht? Wenn dies in Tirol geschähe, wäre eS doppelt bedauerlich,
">eil es beweisen würde, daß man sich nur aus Noth, nicht aber aus Ueber-


geschickteste Werkzeug erblickt, die Tiroler nach Wunsch zu lenken, daran haben
wir nie gezweifelt. Von der Stunde an, als er in's Land kam, bis auf den
gegenwärtigen Augenblick wiesen alle seine Reden und Handlungen, die in die
Öffentlichkeit gelangten, auf dieses Ziel hin. Wir wollen nicht wiederholen,
was wir oben erzählt; Jeder mag es sich selbst zusammenstellen; so viel wird
aber Niemand leugnen können, daß ein echt klerikaler Sinn sich bei ihm wie
ein rother Faden durch alle Maßnahmen des Uebergangsstadiums aus dem
absolutesten Regime in das Verfassungsleben zieht. Wir erlauben uns An¬
gesichts dieses 'beharrlichen Strebens, wovon der Erzherzog auch nach dem
26. Februar, ja noch vor den Thoren des Reichsrathes nicht abließ, nur eine
Frage. Soll dieser Kampf gegen die Freiheit des Geistes auch nach der fei¬
erlichen Verkündung der Constitution durch den Mund des Kaisers fortdauern?
Wir vernahmen in der Thronrede, daß die Gleichheit aller Staatsbürger vor
dem Gesetze zu einer heilbringenden Umgestaltung der Gesammtmonarchie führen
werde. Soll das Recht freier und öffentlicher Religionsübung, der Bildung
von Gemeinden, des Güterankaufs nur in Tirol vom religiösen Bekenntniß
abhängen? Es gilt der Welt zu zeigen, sprach der Kaiser, daß kirchliche Ver¬
schiedenheiten unter dem vermittelnden Einflüsse fortgeschrittener Cultur bei
gemeinsamer Billigkeit und versöhnlicher Stimmung überwunden werden. Ist
es nur dem tirolischen Klerus erlaubt die Humanität, die auch im Anders¬
gläubigen den Menschen und Christen achtet, als Heidenthum zu brandmar¬
ken, den Pöbel auf ruhige, vernünftig denkende Männer zu Hetzen, und die
höchsten Organe der Regierung mit dem Vorwurf des „Pesthauches einer schlech¬
ten Zeit" und der „Bosheit" zu höhnen? Der Kaiser gelobte in jener großen
Stunde die Gesammtverfassung als das unantastbare Fundament seines eini¬
gen und untheilbaren Kaiserreichs mit all' seiner Macht zu schützen. Soll es
Tirol gestattet sein, aus Vorliebe für die Freiheit zur alten Knechtschaft sich
loszureißen vom allgemeinen Gesetz, eine Art theokratischer Republik^ zu
bilden, eine „Bresche in den Constitutionalismus" und die Einheit des
Staates zu schießen, damit auf dieser Insel der Seligen nicht der Kaiser,
sondern die katholischen Bischöfe herrschen? Und diese Grundsätze haben
uicht nur den Beifall irgend einer Schreiberseele im Solde halbgebildeter
und fanatischer Pfaffen, sondern eines Mannes vom höchsten fürstlichen Ge¬
müte, der hier waltet an Kaisers Statt. Hat man der Zweifel, des Miß-
Bauens und der Spannung noch immer nicht genug, um gerade im Momente,
^o der Kaiser nach vieljähriger bitterer Erfahrung im Begriffe stand eine
"ffene und freisinnige Politik zu verheißen, die Rückkehr zu den alten verwor¬
fenen Principien als möglich hinzustellen, die uns an den Rand des Unter-
Sangs gebracht? Wenn dies in Tirol geschähe, wäre eS doppelt bedauerlich,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/345>, abgerufen am 01.07.2024.