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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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Satze fest, Jeden auszuschließen, der bei Abfassung oder Verbreitung der oben
erwähnten Adresse betheiligt war, sie unterschrieben oder auch nur für sie ge¬
wirkt hatte. Leider rechtfertigten die ihres offenen Muthes halber Geehrten
nicht das Vertrauen in ihren Freisinn, wo es am meisten galt, ihn zu be¬
weisen.

Daß die Protestantensrage die Hauptangelegenheit des tiroler Landtages
bilden werde, hatte man schon lange und laut genug verkündet. Schon in
der ersten Sitzung als Antwort auf die Antrittsrede des vom Kaiser ernann¬
ten Landeshauptmanns, des f. t. Oberlandesgerichtsrathes v. Klebelsbcrg,
der die Reichseinheit zur Wahrung der Machtstellung des Kaiserstaates scharf
betonte, antwortete Dr. Fischer mit einer Verwahrung für die katholische
Sitte Tirols, die noch keiner ungestraft verletzt, weder sein eigener Kaiser
Joseph der Zweite "och der baierische Minister Montgelas, wobei er auf
Schmerling anspielte. Einige Tage nachher brachten die Zeitungen tele¬
graphische Auszüge aus dem östreichischen Protestantengesetz vom 8. April.
Nun war das fieberhafte Ungestüm des Fürstbischofs von Brixen nicht mehr
zu halten. Noch ehe die amtliche Wiener Zeitung den ganzen Wortlaut des
Gesetzes, das, wie er später andeutete, Tirol "entkatholisircn" würde, veröffent¬
licht hatte, brachte er den Antrag ein, den Protestanten durch ein Gesetz die
öffentliche Religionsübung und Bildung von Gemeinden in Tirol schlechtweg
zu untersagen, auch ihre Fähigkeit zum Erwerb unbeweglichen Vermögens
sollte vom Antrag des Landtages und der Bewilligung des Kaisers abhängen.
Dies hieß der duldsame Mann "beschränkte Toleranz". Schon Tags darauf
erklärte er, durch das neue Gesetz sei die Spannung und Aufregung im Lande
so gewachsen, daß er dem zur Berichterstattung gewählten Ausschuß nur mehr
zwei Tage zur Vollendung seiner Arbeit gönnen könne. Durch diesen Hilferuf
theilte sich seinen Satelliten ein elektrischer Schlag mit, der wie ein geheimer Zug
zum Veitstanz durch ihre Glieder zuckte. Der Landeshauptmannstellvcrtreter
Carl v. Zallingcr schrie: "Das Gesetz vom 8. April sei eine Bresche in den
Constitutionalismus!" Joseph Dietl: "ein Schmerzensschrei werde im ganzen
Lande hervorgebracht, der alle Aufrufe zur Landesvertheidigung unhörbar
machen werde," Richte legte "einige hundert Adreßbogen mit Tausenden von
Unterschriften bedeckt" auf den Tisch des Hauses und klagte erbittert: "Wenn
die Glaubenöeinheit in Tirol zu Grabe geht, ist dieses biedere treue Land
für sich selbst und für seinen lieben Kaiser verloren." Der Fürstbischof von Trient
meinte dagegen: "Ich fürchte nicht so sehr die Protestanten von Deutschland
als von Piemont. Diese gehen Schritt für Schritt mit der Revolution; sie
sind Kinder der Revolution, und bringen, wo sie hinkommen, die Revolution."
Solche Berserkerwuth brachte selbst den Berichterstatter, den frommen Hofrath
Hcrßlwanter fast zur Verzweiflung. "Wir werden heute arbeiten," rang er,


Grenzboten II, 1861, 42

Satze fest, Jeden auszuschließen, der bei Abfassung oder Verbreitung der oben
erwähnten Adresse betheiligt war, sie unterschrieben oder auch nur für sie ge¬
wirkt hatte. Leider rechtfertigten die ihres offenen Muthes halber Geehrten
nicht das Vertrauen in ihren Freisinn, wo es am meisten galt, ihn zu be¬
weisen.

Daß die Protestantensrage die Hauptangelegenheit des tiroler Landtages
bilden werde, hatte man schon lange und laut genug verkündet. Schon in
der ersten Sitzung als Antwort auf die Antrittsrede des vom Kaiser ernann¬
ten Landeshauptmanns, des f. t. Oberlandesgerichtsrathes v. Klebelsbcrg,
der die Reichseinheit zur Wahrung der Machtstellung des Kaiserstaates scharf
betonte, antwortete Dr. Fischer mit einer Verwahrung für die katholische
Sitte Tirols, die noch keiner ungestraft verletzt, weder sein eigener Kaiser
Joseph der Zweite »och der baierische Minister Montgelas, wobei er auf
Schmerling anspielte. Einige Tage nachher brachten die Zeitungen tele¬
graphische Auszüge aus dem östreichischen Protestantengesetz vom 8. April.
Nun war das fieberhafte Ungestüm des Fürstbischofs von Brixen nicht mehr
zu halten. Noch ehe die amtliche Wiener Zeitung den ganzen Wortlaut des
Gesetzes, das, wie er später andeutete, Tirol „entkatholisircn" würde, veröffent¬
licht hatte, brachte er den Antrag ein, den Protestanten durch ein Gesetz die
öffentliche Religionsübung und Bildung von Gemeinden in Tirol schlechtweg
zu untersagen, auch ihre Fähigkeit zum Erwerb unbeweglichen Vermögens
sollte vom Antrag des Landtages und der Bewilligung des Kaisers abhängen.
Dies hieß der duldsame Mann „beschränkte Toleranz". Schon Tags darauf
erklärte er, durch das neue Gesetz sei die Spannung und Aufregung im Lande
so gewachsen, daß er dem zur Berichterstattung gewählten Ausschuß nur mehr
zwei Tage zur Vollendung seiner Arbeit gönnen könne. Durch diesen Hilferuf
theilte sich seinen Satelliten ein elektrischer Schlag mit, der wie ein geheimer Zug
zum Veitstanz durch ihre Glieder zuckte. Der Landeshauptmannstellvcrtreter
Carl v. Zallingcr schrie: „Das Gesetz vom 8. April sei eine Bresche in den
Constitutionalismus!" Joseph Dietl: „ein Schmerzensschrei werde im ganzen
Lande hervorgebracht, der alle Aufrufe zur Landesvertheidigung unhörbar
machen werde," Richte legte „einige hundert Adreßbogen mit Tausenden von
Unterschriften bedeckt" auf den Tisch des Hauses und klagte erbittert: „Wenn
die Glaubenöeinheit in Tirol zu Grabe geht, ist dieses biedere treue Land
für sich selbst und für seinen lieben Kaiser verloren." Der Fürstbischof von Trient
meinte dagegen: „Ich fürchte nicht so sehr die Protestanten von Deutschland
als von Piemont. Diese gehen Schritt für Schritt mit der Revolution; sie
sind Kinder der Revolution, und bringen, wo sie hinkommen, die Revolution."
Solche Berserkerwuth brachte selbst den Berichterstatter, den frommen Hofrath
Hcrßlwanter fast zur Verzweiflung. „Wir werden heute arbeiten," rang er,


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[0339] Satze fest, Jeden auszuschließen, der bei Abfassung oder Verbreitung der oben erwähnten Adresse betheiligt war, sie unterschrieben oder auch nur für sie ge¬ wirkt hatte. Leider rechtfertigten die ihres offenen Muthes halber Geehrten nicht das Vertrauen in ihren Freisinn, wo es am meisten galt, ihn zu be¬ weisen. Daß die Protestantensrage die Hauptangelegenheit des tiroler Landtages bilden werde, hatte man schon lange und laut genug verkündet. Schon in der ersten Sitzung als Antwort auf die Antrittsrede des vom Kaiser ernann¬ ten Landeshauptmanns, des f. t. Oberlandesgerichtsrathes v. Klebelsbcrg, der die Reichseinheit zur Wahrung der Machtstellung des Kaiserstaates scharf betonte, antwortete Dr. Fischer mit einer Verwahrung für die katholische Sitte Tirols, die noch keiner ungestraft verletzt, weder sein eigener Kaiser Joseph der Zweite »och der baierische Minister Montgelas, wobei er auf Schmerling anspielte. Einige Tage nachher brachten die Zeitungen tele¬ graphische Auszüge aus dem östreichischen Protestantengesetz vom 8. April. Nun war das fieberhafte Ungestüm des Fürstbischofs von Brixen nicht mehr zu halten. Noch ehe die amtliche Wiener Zeitung den ganzen Wortlaut des Gesetzes, das, wie er später andeutete, Tirol „entkatholisircn" würde, veröffent¬ licht hatte, brachte er den Antrag ein, den Protestanten durch ein Gesetz die öffentliche Religionsübung und Bildung von Gemeinden in Tirol schlechtweg zu untersagen, auch ihre Fähigkeit zum Erwerb unbeweglichen Vermögens sollte vom Antrag des Landtages und der Bewilligung des Kaisers abhängen. Dies hieß der duldsame Mann „beschränkte Toleranz". Schon Tags darauf erklärte er, durch das neue Gesetz sei die Spannung und Aufregung im Lande so gewachsen, daß er dem zur Berichterstattung gewählten Ausschuß nur mehr zwei Tage zur Vollendung seiner Arbeit gönnen könne. Durch diesen Hilferuf theilte sich seinen Satelliten ein elektrischer Schlag mit, der wie ein geheimer Zug zum Veitstanz durch ihre Glieder zuckte. Der Landeshauptmannstellvcrtreter Carl v. Zallingcr schrie: „Das Gesetz vom 8. April sei eine Bresche in den Constitutionalismus!" Joseph Dietl: „ein Schmerzensschrei werde im ganzen Lande hervorgebracht, der alle Aufrufe zur Landesvertheidigung unhörbar machen werde," Richte legte „einige hundert Adreßbogen mit Tausenden von Unterschriften bedeckt" auf den Tisch des Hauses und klagte erbittert: „Wenn die Glaubenöeinheit in Tirol zu Grabe geht, ist dieses biedere treue Land für sich selbst und für seinen lieben Kaiser verloren." Der Fürstbischof von Trient meinte dagegen: „Ich fürchte nicht so sehr die Protestanten von Deutschland als von Piemont. Diese gehen Schritt für Schritt mit der Revolution; sie sind Kinder der Revolution, und bringen, wo sie hinkommen, die Revolution." Solche Berserkerwuth brachte selbst den Berichterstatter, den frommen Hofrath Hcrßlwanter fast zur Verzweiflung. „Wir werden heute arbeiten," rang er, Grenzboten II, 1861, 42

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/339>, abgerufen am 24.08.2024.