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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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Franz, allein er war zu sehr Hofrath, wie er von sich selbst sagte, zu sehr
Bureaukrat, um einen Doppelgänger in Tonsur und schwarzer Kappe neben sich
zu dulden. Erst unter seines Nachfolgers zwiespältiger Staatsconserenz wuchs
die Schmarotzerpflanze recht ins Kraut. Im März 1843 wurde man selbst
in den höchsten Kreisen konstitutionell, und drang auf Concessionen und Reformen,
wol in der Voraussicht, daß ihre schönsten Früchte der Reaction in den Schoos
fallen müßten. Man war verschwenderisch im "Geben, um wo möglich noch
habgieriger im Nehmen zu sein. Da züngelte wie ein Blitz aus heiterer
Bläue das Unglück des italienischen Krieges durch die von Stunde zu Stunde
schwüler gewordene Luft, der Traum von der Allmacht und Unfehlbarkeit der
Gewalt von Gottes Gnaden verschwand vor dem Siegesjubel eines "frechen
Emporkömmlings", und als es allmälig graute über dem weiten Leichentuche,
riß auch der Schleier der inneren Fäulniß. Doch selbst der Donner der ,
Schlachten hatte vergebens getraut, der Verlust von Land, Leuten und Geld
wäre bald vergessen gewesen über den Spielen des Circus, dem Weihrauch der
Besternten und dem stillen Gebet frommer Augurn, hätte die Ebbe im Schatze
nicht daran gemahnt, daß ohne Geld und Credit auch der absoluteste
Staat am Ende seiner Auflösung entgegengeht. Neue Kräfte für Oest¬
reichs Wiederbelebung waren, dafür hatte man Proben, nicht in der
Wacht- und Kanzlcistube noch im finstern Saale feudaler Stände, sondern im
Volke zu finden. An der Donau, Elbe und Adria theilte diese Ueberzeugung
Jedermann, nur im Lande Kanaan, an den Ufern des Jnn's und der oberen
Etsch, wo der Stamm Levi noch immer Feld und Haus rein bewahrt hatte
Vor den Unreinen und Abgötterern. hier allein war man noch anderer Meinung-
Unwissenheit, Aberglaube, Verdummung, Knechtsinn mögen sich in anderen
Theilen Oestreichs früher mehr eingenistet haben als in Tirol, allein mit Aus¬
nahme dieses Hochlandes und Oberitaliens hatte sich doch ein Nest protestan¬
tischen Samens erhalten, und so sehr man auch seinen Keim unterdrückte,
trat er doch oft und unabweislich als Gegensatz des Forschens zum ge>
daukenlosen Glauben zu Tage. Die Bildung schritt in dem Maße fort,
als die Jesuiten in Schule und Leben gegen das Eindringen nordischer Er¬
kenntniß an Raum verloren; deutsche Wissenschaft verdankt eben der Refor¬
mation Ursprung und Gedeihen. Nur im pfäffischen.Tirol und im damals
nicht minder bigotten Belgien stießen Joseph des Zweiten Reformen auf einen
Widerstand, der nahe bis zum Ausbruch der Revolution führte; hier war es,
wo im Jahr 1809 der baierischen Aufllärungsversuche halber die Stutzen und
Dreschflegel erhoben wurden, die Pfaffen lenkten hinter den Coulisse" den Auf¬
ruhr, dessen wüste Gluth in der Ferne für ein Morgenroth der Freiheit galt;
im Jahre 1848 stellten sie sich so lange spröde, bis Erzherzog Johann sie
seiner Gnade versicherte, im Frankfurter Parlament saßen sie wie die Ana-


Franz, allein er war zu sehr Hofrath, wie er von sich selbst sagte, zu sehr
Bureaukrat, um einen Doppelgänger in Tonsur und schwarzer Kappe neben sich
zu dulden. Erst unter seines Nachfolgers zwiespältiger Staatsconserenz wuchs
die Schmarotzerpflanze recht ins Kraut. Im März 1843 wurde man selbst
in den höchsten Kreisen konstitutionell, und drang auf Concessionen und Reformen,
wol in der Voraussicht, daß ihre schönsten Früchte der Reaction in den Schoos
fallen müßten. Man war verschwenderisch im «Geben, um wo möglich noch
habgieriger im Nehmen zu sein. Da züngelte wie ein Blitz aus heiterer
Bläue das Unglück des italienischen Krieges durch die von Stunde zu Stunde
schwüler gewordene Luft, der Traum von der Allmacht und Unfehlbarkeit der
Gewalt von Gottes Gnaden verschwand vor dem Siegesjubel eines „frechen
Emporkömmlings", und als es allmälig graute über dem weiten Leichentuche,
riß auch der Schleier der inneren Fäulniß. Doch selbst der Donner der ,
Schlachten hatte vergebens getraut, der Verlust von Land, Leuten und Geld
wäre bald vergessen gewesen über den Spielen des Circus, dem Weihrauch der
Besternten und dem stillen Gebet frommer Augurn, hätte die Ebbe im Schatze
nicht daran gemahnt, daß ohne Geld und Credit auch der absoluteste
Staat am Ende seiner Auflösung entgegengeht. Neue Kräfte für Oest¬
reichs Wiederbelebung waren, dafür hatte man Proben, nicht in der
Wacht- und Kanzlcistube noch im finstern Saale feudaler Stände, sondern im
Volke zu finden. An der Donau, Elbe und Adria theilte diese Ueberzeugung
Jedermann, nur im Lande Kanaan, an den Ufern des Jnn's und der oberen
Etsch, wo der Stamm Levi noch immer Feld und Haus rein bewahrt hatte
Vor den Unreinen und Abgötterern. hier allein war man noch anderer Meinung-
Unwissenheit, Aberglaube, Verdummung, Knechtsinn mögen sich in anderen
Theilen Oestreichs früher mehr eingenistet haben als in Tirol, allein mit Aus¬
nahme dieses Hochlandes und Oberitaliens hatte sich doch ein Nest protestan¬
tischen Samens erhalten, und so sehr man auch seinen Keim unterdrückte,
trat er doch oft und unabweislich als Gegensatz des Forschens zum ge>
daukenlosen Glauben zu Tage. Die Bildung schritt in dem Maße fort,
als die Jesuiten in Schule und Leben gegen das Eindringen nordischer Er¬
kenntniß an Raum verloren; deutsche Wissenschaft verdankt eben der Refor¬
mation Ursprung und Gedeihen. Nur im pfäffischen.Tirol und im damals
nicht minder bigotten Belgien stießen Joseph des Zweiten Reformen auf einen
Widerstand, der nahe bis zum Ausbruch der Revolution führte; hier war es,
wo im Jahr 1809 der baierischen Aufllärungsversuche halber die Stutzen und
Dreschflegel erhoben wurden, die Pfaffen lenkten hinter den Coulisse» den Auf¬
ruhr, dessen wüste Gluth in der Ferne für ein Morgenroth der Freiheit galt;
im Jahre 1848 stellten sie sich so lange spröde, bis Erzherzog Johann sie
seiner Gnade versicherte, im Frankfurter Parlament saßen sie wie die Ana-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/332>, abgerufen am 26.06.2024.