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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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Die Luthcrstatue und die Statue Wiclcfs wurden noch unter der un¬
mittelbaren Leitung Nietschels selbst vollendet. Am 21. Februar dieses Jah¬
res sollte sie zum ersten Mal ausgestellt werden. Die Ausstellung mußte un¬
terbleiben. In der sechsten Morgenstunde desselben Tages war der Künstler
nach schweren Leiden verschieden.

Sinnig hatten am Begräbnißtcig die trauernden Schüler den Katafalk
des geliebten Lehrers mit den Statuen und dem Modell des gesammten Lu¬
therdenkmals umstellt. Es gemahnte an den Tod Rafaels, an dessen Sarg die
eben vollendete Transfiguration stand.

Glücklicherweise ist dafür gesorgt, daß das Lutherdenkmal durchaus in dem
Sinne des Meisters, mit gewissenhaftester Wahrung der künstlerischen Einheit
fortgeführt werde. Rietschel hat eine strebsame und tüchtige Schule gebildet. Kiel)
und Donndorf, die treuen, langjährigen Mitarbeiter Nietschels. seit dem ersten
Beginn an diesem Denkmal beschäftigt und durch eigene treffliche Leistungen
bereits bewährt, sind, von dein Wormser Conn6 mit der Vollendung betraut. >
Julius Schmorr, der Meister des großen historischen Stils und der innige
Freund Nietschels, und Ernst Hähnel, einer der ersten unter den Bildnern der
Gegenwart, haben sich bereit erklärt, jenen jungen Künstlern als Beirath zur
Seite zu stehen.

Es ist mit Worten nicht auszudrücken, welchen unersetzlichen Verlust die
deutsche Kunst in Rietschel erlitten hat. Eben stand er in der vo'!sten Kraft
seiner Reife. 'in der fruchtbarsten Thätigkeit, in der unbeirrbarsten Sicherheit
durchgebildeter Meisterschaft. Große Aufgaben warteten seiner von allen Sei¬
ten. Zahlreiche Schüler sammelten steh um ihn. Mit der steigenden Anerken-
"ung stieg in ihm der Ernst und die liebevolle Vertiefung rastlosen Strebens,

Wir Frenftde Nietschels aber wissen, daß Rietschel nicht bloß ein großer
Künstler, sondern zugleich auch einer der edelsten und liebenswürdigsten Men¬
schen war. Wer jemals das Glück gehabt hat, mit ihm ,n Berührung zu
kommen, dem ist sicher die schlichte Bescheidenheit und Einfachheit seiner
Natur.unvergeßlich. Wenn von irgend einem, so gilt von Rietschel jener
schmerzvolle Nachruf, mit welchem Göthe seinen scheidenden Freund Schiller
feierte:


"Denn er war unser! Mag das stolze Wort
Den lauten Schmerz gewaltig übertönen!
Er mochte sich bei uus in sichern Port,
Nach wildem Sturm zum Dauernde" gewöhnen,
Indessen schritt sein Geist gewaltig fort
Ins Ewige des Wahren, Guten, Schönen,
Und hinter ihm im wesenlosen Scheine
Lag, was uns Alle bändigt, das Gemeine.

Hermann Hettner.


Die Luthcrstatue und die Statue Wiclcfs wurden noch unter der un¬
mittelbaren Leitung Nietschels selbst vollendet. Am 21. Februar dieses Jah¬
res sollte sie zum ersten Mal ausgestellt werden. Die Ausstellung mußte un¬
terbleiben. In der sechsten Morgenstunde desselben Tages war der Künstler
nach schweren Leiden verschieden.

Sinnig hatten am Begräbnißtcig die trauernden Schüler den Katafalk
des geliebten Lehrers mit den Statuen und dem Modell des gesammten Lu¬
therdenkmals umstellt. Es gemahnte an den Tod Rafaels, an dessen Sarg die
eben vollendete Transfiguration stand.

Glücklicherweise ist dafür gesorgt, daß das Lutherdenkmal durchaus in dem
Sinne des Meisters, mit gewissenhaftester Wahrung der künstlerischen Einheit
fortgeführt werde. Rietschel hat eine strebsame und tüchtige Schule gebildet. Kiel)
und Donndorf, die treuen, langjährigen Mitarbeiter Nietschels. seit dem ersten
Beginn an diesem Denkmal beschäftigt und durch eigene treffliche Leistungen
bereits bewährt, sind, von dein Wormser Conn6 mit der Vollendung betraut. >
Julius Schmorr, der Meister des großen historischen Stils und der innige
Freund Nietschels, und Ernst Hähnel, einer der ersten unter den Bildnern der
Gegenwart, haben sich bereit erklärt, jenen jungen Künstlern als Beirath zur
Seite zu stehen.

Es ist mit Worten nicht auszudrücken, welchen unersetzlichen Verlust die
deutsche Kunst in Rietschel erlitten hat. Eben stand er in der vo'!sten Kraft
seiner Reife. 'in der fruchtbarsten Thätigkeit, in der unbeirrbarsten Sicherheit
durchgebildeter Meisterschaft. Große Aufgaben warteten seiner von allen Sei¬
ten. Zahlreiche Schüler sammelten steh um ihn. Mit der steigenden Anerken-
»ung stieg in ihm der Ernst und die liebevolle Vertiefung rastlosen Strebens,

Wir Frenftde Nietschels aber wissen, daß Rietschel nicht bloß ein großer
Künstler, sondern zugleich auch einer der edelsten und liebenswürdigsten Men¬
schen war. Wer jemals das Glück gehabt hat, mit ihm ,n Berührung zu
kommen, dem ist sicher die schlichte Bescheidenheit und Einfachheit seiner
Natur.unvergeßlich. Wenn von irgend einem, so gilt von Rietschel jener
schmerzvolle Nachruf, mit welchem Göthe seinen scheidenden Freund Schiller
feierte:


„Denn er war unser! Mag das stolze Wort
Den lauten Schmerz gewaltig übertönen!
Er mochte sich bei uus in sichern Port,
Nach wildem Sturm zum Dauernde» gewöhnen,
Indessen schritt sein Geist gewaltig fort
Ins Ewige des Wahren, Guten, Schönen,
Und hinter ihm im wesenlosen Scheine
Lag, was uns Alle bändigt, das Gemeine.

Hermann Hettner.


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[0319] Die Luthcrstatue und die Statue Wiclcfs wurden noch unter der un¬ mittelbaren Leitung Nietschels selbst vollendet. Am 21. Februar dieses Jah¬ res sollte sie zum ersten Mal ausgestellt werden. Die Ausstellung mußte un¬ terbleiben. In der sechsten Morgenstunde desselben Tages war der Künstler nach schweren Leiden verschieden. Sinnig hatten am Begräbnißtcig die trauernden Schüler den Katafalk des geliebten Lehrers mit den Statuen und dem Modell des gesammten Lu¬ therdenkmals umstellt. Es gemahnte an den Tod Rafaels, an dessen Sarg die eben vollendete Transfiguration stand. Glücklicherweise ist dafür gesorgt, daß das Lutherdenkmal durchaus in dem Sinne des Meisters, mit gewissenhaftester Wahrung der künstlerischen Einheit fortgeführt werde. Rietschel hat eine strebsame und tüchtige Schule gebildet. Kiel) und Donndorf, die treuen, langjährigen Mitarbeiter Nietschels. seit dem ersten Beginn an diesem Denkmal beschäftigt und durch eigene treffliche Leistungen bereits bewährt, sind, von dein Wormser Conn6 mit der Vollendung betraut. > Julius Schmorr, der Meister des großen historischen Stils und der innige Freund Nietschels, und Ernst Hähnel, einer der ersten unter den Bildnern der Gegenwart, haben sich bereit erklärt, jenen jungen Künstlern als Beirath zur Seite zu stehen. Es ist mit Worten nicht auszudrücken, welchen unersetzlichen Verlust die deutsche Kunst in Rietschel erlitten hat. Eben stand er in der vo'!sten Kraft seiner Reife. 'in der fruchtbarsten Thätigkeit, in der unbeirrbarsten Sicherheit durchgebildeter Meisterschaft. Große Aufgaben warteten seiner von allen Sei¬ ten. Zahlreiche Schüler sammelten steh um ihn. Mit der steigenden Anerken- »ung stieg in ihm der Ernst und die liebevolle Vertiefung rastlosen Strebens, Wir Frenftde Nietschels aber wissen, daß Rietschel nicht bloß ein großer Künstler, sondern zugleich auch einer der edelsten und liebenswürdigsten Men¬ schen war. Wer jemals das Glück gehabt hat, mit ihm ,n Berührung zu kommen, dem ist sicher die schlichte Bescheidenheit und Einfachheit seiner Natur.unvergeßlich. Wenn von irgend einem, so gilt von Rietschel jener schmerzvolle Nachruf, mit welchem Göthe seinen scheidenden Freund Schiller feierte: „Denn er war unser! Mag das stolze Wort Den lauten Schmerz gewaltig übertönen! Er mochte sich bei uus in sichern Port, Nach wildem Sturm zum Dauernde» gewöhnen, Indessen schritt sein Geist gewaltig fort Ins Ewige des Wahren, Guten, Schönen, Und hinter ihm im wesenlosen Scheine Lag, was uns Alle bändigt, das Gemeine. Hermann Hettner.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/319>, abgerufen am 05.02.2025.