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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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lossalstatue von zehn und ein halb Fuß Höhe, mit seinem Postament etwa 27
Fuß emporragend.

Man könnte rechten über die Wahl der einzelnen verherrlichten Helden;
statt der Vorreformatoren hätten einige vielleicht Franz von Sickingen, Ulrich
von Hütten, Zwingli und Calvin vorgezogen. Wenn aber in jüngster Zeit
einige Angriffe gegen die Komposition selbst laut geworden sind, so wäre dies
unerklärlich, wenn man nicht annehmen müßte, daß die Urtheilenden keine andere
Unterlage hatte" als die durch den Holzschnitt verbreitete. sehr kleinlich aufgefaßte
Zeichnung von Julius Hühner. Wer das Modell mit eigenem Auge gesehen hat,
hat nur das Entzücken der vollsten Bewunderung sowol für die zwingende Ver¬
ständlichkeit der Grundidee und für die überwältigende Monumentalität der
Gesammtwirkung wie für die treffliche Durchführung aller Emzelstatuen. Groß,
würdevoll, erhaben steht er vor uns, der große Reformator! So in tiefster
Seele durchdrungen von der siegesgewisser Ueberzeugung, daß er nicht anders
kann, es sei denn, daß man ihn mit Gründen der Schrift widerlege. Seine
volle, gedrungene, mannhafte Gestalt ist umkleidet mit dem wallenden Talar.
welcher ein öffentliches Zeugniß ist, daß der weite und freie Geist des Pro¬
testantismus nichts mehr gemein hat mit der engen ascetischen Mönchskutte.
Sein Blick erhebt sich fest, aber begeistert zum Himmel, als dessen Streiter er
sich weiß; die linke Hand hält die Bibel, auf welche sich die geschlossene
Rechte, nicht zornig, aber bewußt und sicher, als auf das unerschütterliche uno
unentrnßbare Palladium auflegt. Das folgenschwere Wort, an welches die
vordere Inschrift des Postaments mahnt "Hier stehe ich, ich kann nicht an¬
ders, Gott helfe mir" ist das Grundmotiv der Stellung und des Ausdrucks.
Der feste Sieg ist ausgesprochen, der gottvcrtrauende Sieg der Wahrheit und
Freiheit.

Was wir von der Lessingstatue sagten, das gilt mich von diesem Luther.
Diese Lutherstatue ist ein ein für allemal bindender Typus. In dieser Gestalt
wird der große Reformator unwandelbar in den Gemüthern der Menschen
fortleben. Jeder Zug ist aus den alten Porträtüberlicferungen hervorgegangen,
und doch haben erst hier diese Ueberlieferungen ihre lebte Weihe und Vollen¬
dung gefunden. Und in gleicher Vollendung ist die individualisirte Charakte¬
ristik der übrigen Statuen, portrütscharf, ausdrucksvoll, klar, markig, und doch
nie aus der Gediegenheit und Großheit des plastischen Stils heraustretend.
Jener Grundzug Nietschels. daß er die scharfe und naturwirklichc Formens
bestimmtheit der altdeutschen Meister immer so einheitsvoll mit demi tieferen
Schönheitsgefühl der Antike zu verbinden und zu durchdringen -weiß, entfaltet
sich hier mit einer Macht und Ursprünglichkeit, die um so gewaltiger wirkt,
je bedeutender die dargestellten Charaktere, je künstlerisch brauchbarer die Ge¬
wandmassen jener Zeit sind.


lossalstatue von zehn und ein halb Fuß Höhe, mit seinem Postament etwa 27
Fuß emporragend.

Man könnte rechten über die Wahl der einzelnen verherrlichten Helden;
statt der Vorreformatoren hätten einige vielleicht Franz von Sickingen, Ulrich
von Hütten, Zwingli und Calvin vorgezogen. Wenn aber in jüngster Zeit
einige Angriffe gegen die Komposition selbst laut geworden sind, so wäre dies
unerklärlich, wenn man nicht annehmen müßte, daß die Urtheilenden keine andere
Unterlage hatte» als die durch den Holzschnitt verbreitete. sehr kleinlich aufgefaßte
Zeichnung von Julius Hühner. Wer das Modell mit eigenem Auge gesehen hat,
hat nur das Entzücken der vollsten Bewunderung sowol für die zwingende Ver¬
ständlichkeit der Grundidee und für die überwältigende Monumentalität der
Gesammtwirkung wie für die treffliche Durchführung aller Emzelstatuen. Groß,
würdevoll, erhaben steht er vor uns, der große Reformator! So in tiefster
Seele durchdrungen von der siegesgewisser Ueberzeugung, daß er nicht anders
kann, es sei denn, daß man ihn mit Gründen der Schrift widerlege. Seine
volle, gedrungene, mannhafte Gestalt ist umkleidet mit dem wallenden Talar.
welcher ein öffentliches Zeugniß ist, daß der weite und freie Geist des Pro¬
testantismus nichts mehr gemein hat mit der engen ascetischen Mönchskutte.
Sein Blick erhebt sich fest, aber begeistert zum Himmel, als dessen Streiter er
sich weiß; die linke Hand hält die Bibel, auf welche sich die geschlossene
Rechte, nicht zornig, aber bewußt und sicher, als auf das unerschütterliche uno
unentrnßbare Palladium auflegt. Das folgenschwere Wort, an welches die
vordere Inschrift des Postaments mahnt „Hier stehe ich, ich kann nicht an¬
ders, Gott helfe mir" ist das Grundmotiv der Stellung und des Ausdrucks.
Der feste Sieg ist ausgesprochen, der gottvcrtrauende Sieg der Wahrheit und
Freiheit.

Was wir von der Lessingstatue sagten, das gilt mich von diesem Luther.
Diese Lutherstatue ist ein ein für allemal bindender Typus. In dieser Gestalt
wird der große Reformator unwandelbar in den Gemüthern der Menschen
fortleben. Jeder Zug ist aus den alten Porträtüberlicferungen hervorgegangen,
und doch haben erst hier diese Ueberlieferungen ihre lebte Weihe und Vollen¬
dung gefunden. Und in gleicher Vollendung ist die individualisirte Charakte¬
ristik der übrigen Statuen, portrütscharf, ausdrucksvoll, klar, markig, und doch
nie aus der Gediegenheit und Großheit des plastischen Stils heraustretend.
Jener Grundzug Nietschels. daß er die scharfe und naturwirklichc Formens
bestimmtheit der altdeutschen Meister immer so einheitsvoll mit demi tieferen
Schönheitsgefühl der Antike zu verbinden und zu durchdringen -weiß, entfaltet
sich hier mit einer Macht und Ursprünglichkeit, die um so gewaltiger wirkt,
je bedeutender die dargestellten Charaktere, je künstlerisch brauchbarer die Ge¬
wandmassen jener Zeit sind.


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[0318] lossalstatue von zehn und ein halb Fuß Höhe, mit seinem Postament etwa 27 Fuß emporragend. Man könnte rechten über die Wahl der einzelnen verherrlichten Helden; statt der Vorreformatoren hätten einige vielleicht Franz von Sickingen, Ulrich von Hütten, Zwingli und Calvin vorgezogen. Wenn aber in jüngster Zeit einige Angriffe gegen die Komposition selbst laut geworden sind, so wäre dies unerklärlich, wenn man nicht annehmen müßte, daß die Urtheilenden keine andere Unterlage hatte» als die durch den Holzschnitt verbreitete. sehr kleinlich aufgefaßte Zeichnung von Julius Hühner. Wer das Modell mit eigenem Auge gesehen hat, hat nur das Entzücken der vollsten Bewunderung sowol für die zwingende Ver¬ ständlichkeit der Grundidee und für die überwältigende Monumentalität der Gesammtwirkung wie für die treffliche Durchführung aller Emzelstatuen. Groß, würdevoll, erhaben steht er vor uns, der große Reformator! So in tiefster Seele durchdrungen von der siegesgewisser Ueberzeugung, daß er nicht anders kann, es sei denn, daß man ihn mit Gründen der Schrift widerlege. Seine volle, gedrungene, mannhafte Gestalt ist umkleidet mit dem wallenden Talar. welcher ein öffentliches Zeugniß ist, daß der weite und freie Geist des Pro¬ testantismus nichts mehr gemein hat mit der engen ascetischen Mönchskutte. Sein Blick erhebt sich fest, aber begeistert zum Himmel, als dessen Streiter er sich weiß; die linke Hand hält die Bibel, auf welche sich die geschlossene Rechte, nicht zornig, aber bewußt und sicher, als auf das unerschütterliche uno unentrnßbare Palladium auflegt. Das folgenschwere Wort, an welches die vordere Inschrift des Postaments mahnt „Hier stehe ich, ich kann nicht an¬ ders, Gott helfe mir" ist das Grundmotiv der Stellung und des Ausdrucks. Der feste Sieg ist ausgesprochen, der gottvcrtrauende Sieg der Wahrheit und Freiheit. Was wir von der Lessingstatue sagten, das gilt mich von diesem Luther. Diese Lutherstatue ist ein ein für allemal bindender Typus. In dieser Gestalt wird der große Reformator unwandelbar in den Gemüthern der Menschen fortleben. Jeder Zug ist aus den alten Porträtüberlicferungen hervorgegangen, und doch haben erst hier diese Ueberlieferungen ihre lebte Weihe und Vollen¬ dung gefunden. Und in gleicher Vollendung ist die individualisirte Charakte¬ ristik der übrigen Statuen, portrütscharf, ausdrucksvoll, klar, markig, und doch nie aus der Gediegenheit und Großheit des plastischen Stils heraustretend. Jener Grundzug Nietschels. daß er die scharfe und naturwirklichc Formens bestimmtheit der altdeutschen Meister immer so einheitsvoll mit demi tieferen Schönheitsgefühl der Antike zu verbinden und zu durchdringen -weiß, entfaltet sich hier mit einer Macht und Ursprünglichkeit, die um so gewaltiger wirkt, je bedeutender die dargestellten Charaktere, je künstlerisch brauchbarer die Ge¬ wandmassen jener Zeit sind.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/318>, abgerufen am 25.08.2024.