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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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ation beschränkt, die lebendig dramatische Handlung bleibt ihm vcischlossen.
Goethe nicht ruhig gradausblickend, sondern mehr auf Schiller gewendet und
mit diesem gleichsam in Unterredung begriffen, -- und wir sind aus dem
hohen und monumentalen Stil in das Anekdoten- und Genrehaste geworfen.
Eine Gruppe, wie die bekannte, Ludovisische von Orest und Elektra, oder,
wie sie nach Otto Jahns treffender Deutung jetzt besser genannt wird, von
Merope und Acpytos. kaun sich diese dramatische Wirkung erlaubn!; sie ist
Decorations- und Cabinetstück, ihr Motiv ist überdies höchst wahrscheinlich un¬
mittelbar einem dramatischen Dichtwerk entlehnt. Aber eine monumentale Gruppe,
dieser oder einer ähnlichen Auffassung angenähert, Hort auf, monumental zu
sein; sie ist theatralisch. Und versenken wir uns sodann von der Gesammtanlage
mehr und mehr in die Einzelheiten, so entzückt uns auch hier wieder jene frische
Eigenthümlichkeit, welche zuerst in ihrer vollen Kraft in der Lcssingstatue, so
epochemachend hervortrat. Auch hier greift der Künstler mit kühnem Wogen
frisch in die unmittelbarste Naturwirklichkeit und bricht entschlossen mit allem
bloß Conventionellen und schematischen; aber hier wie dort ist er mitten in
der individuellsten Wahrheit von einer Reinheit u>it Strenge des Stilgefühls,
die mit jedem Werk der vorzugsweise stilisirenden Richtungen getrost in den
Kampf treten kann. Ueberall Leben, Wirklichkeit, Porträtschärfe, und dabei
eine Schönheit und ein Adel der Linienführung und der Formengebung. eine
Sorgfalt und Beseeltheit bis in die kleinsten Motive, eine Wärme und Innig¬
keit der Empfindung, eine andächtige Hingebung an den großen Gegenstand,
die wir- in allen Werken Rietschcls finden, die aber hier um so ergieisender
wirkt, je unverkennbarer die Schwierigkeit der Aufgabe im Künstler den liebe¬
vollen Ernst und die begeisterte Freudigkeit des Schaffens belebt und erhöht
hat. Es heißt keineswegs, die Großartigkeit dieser Leistung verkleinern, wenn
wir hinzusetzen, daß trotz alleoem hier das unkünstlerisch Spröde der Tracht,
daß namentlich in der Rückseite Schillers die unschön langen und steifen Nock-
falten sich nicht ganz der plastischen Bewältigung fügen wollten.

Fast in dieselbe Zeit, in die Jahre t855 und 1858 fällt die Skizze zu
einem für Gellerts Vaterstadt Heinrichen bestimmten Gellertdenkmol und das
Denkmal Karl Marias von Weber. Was Rietschel durch seine monumentale
Thätigkeit der letzten Jahre für siegreiche Fortschritte gemacht hatte, das erhellt
am anschaulichsten, wenn wir diese Erfindungen, die plastischen Motiven wenig
entgegenkamen, mit der THaerstalue in Leipzig vergleichen, deren Enistedung
noch der Lessingstatue voranging. Die Thcierstatne ist, wie alle Arbeiten Ried'
habeis, äußerst sorgfällrg durchgebildet; aber es fehlt ihr das Schlagende des
Ausdruckes, die Schärfe der Charakteristik. Wie ganz anders die Auffassung uno
Behandlung Gellerts! Die Gcllertskizze ist bloße Skizze geblieben, weil d,c vom
Comite veranstalteten Sammlungen kuren glücklichen Fortgang hatten und


ation beschränkt, die lebendig dramatische Handlung bleibt ihm vcischlossen.
Goethe nicht ruhig gradausblickend, sondern mehr auf Schiller gewendet und
mit diesem gleichsam in Unterredung begriffen, — und wir sind aus dem
hohen und monumentalen Stil in das Anekdoten- und Genrehaste geworfen.
Eine Gruppe, wie die bekannte, Ludovisische von Orest und Elektra, oder,
wie sie nach Otto Jahns treffender Deutung jetzt besser genannt wird, von
Merope und Acpytos. kaun sich diese dramatische Wirkung erlaubn!; sie ist
Decorations- und Cabinetstück, ihr Motiv ist überdies höchst wahrscheinlich un¬
mittelbar einem dramatischen Dichtwerk entlehnt. Aber eine monumentale Gruppe,
dieser oder einer ähnlichen Auffassung angenähert, Hort auf, monumental zu
sein; sie ist theatralisch. Und versenken wir uns sodann von der Gesammtanlage
mehr und mehr in die Einzelheiten, so entzückt uns auch hier wieder jene frische
Eigenthümlichkeit, welche zuerst in ihrer vollen Kraft in der Lcssingstatue, so
epochemachend hervortrat. Auch hier greift der Künstler mit kühnem Wogen
frisch in die unmittelbarste Naturwirklichkeit und bricht entschlossen mit allem
bloß Conventionellen und schematischen; aber hier wie dort ist er mitten in
der individuellsten Wahrheit von einer Reinheit u>it Strenge des Stilgefühls,
die mit jedem Werk der vorzugsweise stilisirenden Richtungen getrost in den
Kampf treten kann. Ueberall Leben, Wirklichkeit, Porträtschärfe, und dabei
eine Schönheit und ein Adel der Linienführung und der Formengebung. eine
Sorgfalt und Beseeltheit bis in die kleinsten Motive, eine Wärme und Innig¬
keit der Empfindung, eine andächtige Hingebung an den großen Gegenstand,
die wir- in allen Werken Rietschcls finden, die aber hier um so ergieisender
wirkt, je unverkennbarer die Schwierigkeit der Aufgabe im Künstler den liebe¬
vollen Ernst und die begeisterte Freudigkeit des Schaffens belebt und erhöht
hat. Es heißt keineswegs, die Großartigkeit dieser Leistung verkleinern, wenn
wir hinzusetzen, daß trotz alleoem hier das unkünstlerisch Spröde der Tracht,
daß namentlich in der Rückseite Schillers die unschön langen und steifen Nock-
falten sich nicht ganz der plastischen Bewältigung fügen wollten.

Fast in dieselbe Zeit, in die Jahre t855 und 1858 fällt die Skizze zu
einem für Gellerts Vaterstadt Heinrichen bestimmten Gellertdenkmol und das
Denkmal Karl Marias von Weber. Was Rietschel durch seine monumentale
Thätigkeit der letzten Jahre für siegreiche Fortschritte gemacht hatte, das erhellt
am anschaulichsten, wenn wir diese Erfindungen, die plastischen Motiven wenig
entgegenkamen, mit der THaerstalue in Leipzig vergleichen, deren Enistedung
noch der Lessingstatue voranging. Die Thcierstatne ist, wie alle Arbeiten Ried'
habeis, äußerst sorgfällrg durchgebildet; aber es fehlt ihr das Schlagende des
Ausdruckes, die Schärfe der Charakteristik. Wie ganz anders die Auffassung uno
Behandlung Gellerts! Die Gcllertskizze ist bloße Skizze geblieben, weil d,c vom
Comite veranstalteten Sammlungen kuren glücklichen Fortgang hatten und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/314>, abgerufen am 24.08.2024.