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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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am Anfang dieses Jahrhunderts allen Männern der vornehmeren Kreise ge¬
bräuchlich war. Schiller ist im schlichten Ueberrock mit offenem Hals und wal¬
lenden Haaren. Diese Verschiedenheit der Bekleidung wirkt nicht nur günstig
für den erforderlichen Wechsel der Formen und Linien, sie ist auch soglnch sür
die geistige Ausgestaltung der Charaktere äußerst bezeichnend. Es kündigt sich
in ihr bereits an, was Stellung und Ausdruck noch lebendiger zur Anschau¬
ung bringen. Göthe steht fest und gemessen in ruhiger Haltung, er blickt mit
klarem und ruhigem Auge sicher in die Welt hinaus; in den majestätischen
und doch mild freundlichen Gesichtszügen und in der gesunden und breiten
Fülle der Körperformen die maßvolle Klarheit und frische Weltfreudigkeit seines
Denkens und Dichtens bekundend. Schiller dagegen ist bewegt vorschreitend;
Blick und Antlitz sind begeistert emporgerichtet, der Mund ist wie zur Rede er¬
öffnet, und dieser Ausdruck idealer Erhebung wird noch gesteigert durch den
langen und hagern Wuchs und durch die scharf ausgeprägten, durchgeistigten,
fast krankhaften Gesichtszüge. Ueber Göthe liegt der Hauch sicherer Hoheit und
glücklicher Befriedigung; in Schiller geht Alles aus drängende Werdelust und
seherische Begeisterung. Und hat nun der Bildner durch diese meisterhaft durch¬
geführte Individualisirung aufs Wirksamste jenen tiefen Gegensatz ausgespro¬
chen, den Schiller selbst zwischen sich und seinem großen Freunde mit so be¬
wunderungswürdiger Klarheit und Schärfe in seinen feinsinnigen Betrachtun¬
gen über naive und sentimentale Dichtkunst zu erkennen und in ihrer künstle¬
rischen Berechtigung zu begründen wußte, so hat er nicht minder dafür gesorgt,
jenen Gegensatz in seine höhere Einheit aufzulösen und das Bewußtsein der
inneren Zusammengehörigkeit, der gegenseitigen neidlosen Anerkennung und
Verbrüderung ebenso sinnig als eindringlich darzustellen. Die Art, wie Goethe
die eine Hand traulich auf die Schulter des Freundes legt, ist der sprechende
Ausdruck inniger Freundschaft und Ebenbürtigkeit. Und auch für den Eindruck
5er Kranzreichung, wenn wir dieses Motiv nun einmal als maßgebend annehmen,
ist es entscheidend, daß Göthe in seiner Bewegung so durchaus ruhig und
gemessen, daß sein Auge so frei und geradeaus blickend ist. Es ist nicht eine
Persönliche Huldigung, die der ältere Dichter, vornehm beschützend, dem jün¬
geren darbringt. Goethe ist in dieser Huldigung durchaus absichtslos und un¬
befangen. ganz und gar nur im Dienst der höheren Idee stehend und wie
unbewußt von der Nöthigung derselben getrieben.

Die künstlerische Durchführung ist des Meisters der Lessingstatue vollkom¬
men würdig. Der Havptvorzug ist die mächtige Ruhe und Strenge echter
Monumentalität. Das Monumentale darf nicht das nur Augenblickliche und
süchtig Vorübergehende darstellen, sondern immer nur das Bleibende, das dem
Zeitlichen Wechsel Enthobene. Es ist ein festes Stilgesetz; das Monumentale
ist auch in der Gruppe immer nur auf die Darstellung einer einfachen sieu-


am Anfang dieses Jahrhunderts allen Männern der vornehmeren Kreise ge¬
bräuchlich war. Schiller ist im schlichten Ueberrock mit offenem Hals und wal¬
lenden Haaren. Diese Verschiedenheit der Bekleidung wirkt nicht nur günstig
für den erforderlichen Wechsel der Formen und Linien, sie ist auch soglnch sür
die geistige Ausgestaltung der Charaktere äußerst bezeichnend. Es kündigt sich
in ihr bereits an, was Stellung und Ausdruck noch lebendiger zur Anschau¬
ung bringen. Göthe steht fest und gemessen in ruhiger Haltung, er blickt mit
klarem und ruhigem Auge sicher in die Welt hinaus; in den majestätischen
und doch mild freundlichen Gesichtszügen und in der gesunden und breiten
Fülle der Körperformen die maßvolle Klarheit und frische Weltfreudigkeit seines
Denkens und Dichtens bekundend. Schiller dagegen ist bewegt vorschreitend;
Blick und Antlitz sind begeistert emporgerichtet, der Mund ist wie zur Rede er¬
öffnet, und dieser Ausdruck idealer Erhebung wird noch gesteigert durch den
langen und hagern Wuchs und durch die scharf ausgeprägten, durchgeistigten,
fast krankhaften Gesichtszüge. Ueber Göthe liegt der Hauch sicherer Hoheit und
glücklicher Befriedigung; in Schiller geht Alles aus drängende Werdelust und
seherische Begeisterung. Und hat nun der Bildner durch diese meisterhaft durch¬
geführte Individualisirung aufs Wirksamste jenen tiefen Gegensatz ausgespro¬
chen, den Schiller selbst zwischen sich und seinem großen Freunde mit so be¬
wunderungswürdiger Klarheit und Schärfe in seinen feinsinnigen Betrachtun¬
gen über naive und sentimentale Dichtkunst zu erkennen und in ihrer künstle¬
rischen Berechtigung zu begründen wußte, so hat er nicht minder dafür gesorgt,
jenen Gegensatz in seine höhere Einheit aufzulösen und das Bewußtsein der
inneren Zusammengehörigkeit, der gegenseitigen neidlosen Anerkennung und
Verbrüderung ebenso sinnig als eindringlich darzustellen. Die Art, wie Goethe
die eine Hand traulich auf die Schulter des Freundes legt, ist der sprechende
Ausdruck inniger Freundschaft und Ebenbürtigkeit. Und auch für den Eindruck
5er Kranzreichung, wenn wir dieses Motiv nun einmal als maßgebend annehmen,
ist es entscheidend, daß Göthe in seiner Bewegung so durchaus ruhig und
gemessen, daß sein Auge so frei und geradeaus blickend ist. Es ist nicht eine
Persönliche Huldigung, die der ältere Dichter, vornehm beschützend, dem jün¬
geren darbringt. Goethe ist in dieser Huldigung durchaus absichtslos und un¬
befangen. ganz und gar nur im Dienst der höheren Idee stehend und wie
unbewußt von der Nöthigung derselben getrieben.

Die künstlerische Durchführung ist des Meisters der Lessingstatue vollkom¬
men würdig. Der Havptvorzug ist die mächtige Ruhe und Strenge echter
Monumentalität. Das Monumentale darf nicht das nur Augenblickliche und
süchtig Vorübergehende darstellen, sondern immer nur das Bleibende, das dem
Zeitlichen Wechsel Enthobene. Es ist ein festes Stilgesetz; das Monumentale
ist auch in der Gruppe immer nur auf die Darstellung einer einfachen sieu-


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[0313] am Anfang dieses Jahrhunderts allen Männern der vornehmeren Kreise ge¬ bräuchlich war. Schiller ist im schlichten Ueberrock mit offenem Hals und wal¬ lenden Haaren. Diese Verschiedenheit der Bekleidung wirkt nicht nur günstig für den erforderlichen Wechsel der Formen und Linien, sie ist auch soglnch sür die geistige Ausgestaltung der Charaktere äußerst bezeichnend. Es kündigt sich in ihr bereits an, was Stellung und Ausdruck noch lebendiger zur Anschau¬ ung bringen. Göthe steht fest und gemessen in ruhiger Haltung, er blickt mit klarem und ruhigem Auge sicher in die Welt hinaus; in den majestätischen und doch mild freundlichen Gesichtszügen und in der gesunden und breiten Fülle der Körperformen die maßvolle Klarheit und frische Weltfreudigkeit seines Denkens und Dichtens bekundend. Schiller dagegen ist bewegt vorschreitend; Blick und Antlitz sind begeistert emporgerichtet, der Mund ist wie zur Rede er¬ öffnet, und dieser Ausdruck idealer Erhebung wird noch gesteigert durch den langen und hagern Wuchs und durch die scharf ausgeprägten, durchgeistigten, fast krankhaften Gesichtszüge. Ueber Göthe liegt der Hauch sicherer Hoheit und glücklicher Befriedigung; in Schiller geht Alles aus drängende Werdelust und seherische Begeisterung. Und hat nun der Bildner durch diese meisterhaft durch¬ geführte Individualisirung aufs Wirksamste jenen tiefen Gegensatz ausgespro¬ chen, den Schiller selbst zwischen sich und seinem großen Freunde mit so be¬ wunderungswürdiger Klarheit und Schärfe in seinen feinsinnigen Betrachtun¬ gen über naive und sentimentale Dichtkunst zu erkennen und in ihrer künstle¬ rischen Berechtigung zu begründen wußte, so hat er nicht minder dafür gesorgt, jenen Gegensatz in seine höhere Einheit aufzulösen und das Bewußtsein der inneren Zusammengehörigkeit, der gegenseitigen neidlosen Anerkennung und Verbrüderung ebenso sinnig als eindringlich darzustellen. Die Art, wie Goethe die eine Hand traulich auf die Schulter des Freundes legt, ist der sprechende Ausdruck inniger Freundschaft und Ebenbürtigkeit. Und auch für den Eindruck 5er Kranzreichung, wenn wir dieses Motiv nun einmal als maßgebend annehmen, ist es entscheidend, daß Göthe in seiner Bewegung so durchaus ruhig und gemessen, daß sein Auge so frei und geradeaus blickend ist. Es ist nicht eine Persönliche Huldigung, die der ältere Dichter, vornehm beschützend, dem jün¬ geren darbringt. Goethe ist in dieser Huldigung durchaus absichtslos und un¬ befangen. ganz und gar nur im Dienst der höheren Idee stehend und wie unbewußt von der Nöthigung derselben getrieben. Die künstlerische Durchführung ist des Meisters der Lessingstatue vollkom¬ men würdig. Der Havptvorzug ist die mächtige Ruhe und Strenge echter Monumentalität. Das Monumentale darf nicht das nur Augenblickliche und süchtig Vorübergehende darstellen, sondern immer nur das Bleibende, das dem Zeitlichen Wechsel Enthobene. Es ist ein festes Stilgesetz; das Monumentale ist auch in der Gruppe immer nur auf die Darstellung einer einfachen sieu-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/313>, abgerufen am 24.08.2024.