Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Preußen ist in einer ganz andern Lage.

Es hat nur den graben Weg seiner alten Entwickelung fortzugehen, um von
den beiden Mächten, welche die Zeit bewegen, getragen zu werden. Der Weg, die
freie bürgerliche Entwickelung im Innern, den nationalen Drang Deutschlands zu
fördern, ist ihm ganz klar vorgezeichnet. Die freie bürgerliche Entwickelung des
Innern wird nicht mehr durch die Negierung, sondern nur durch einen künstlich
organisirten, den Resten des Mittelalters nachgebildeten Staatskörper gehemmt: ein
Federzug, und dieser Widerstand ist gebrochen. --- Aber von diesem Federzug sind
wir seit dem Lauf der Woche entfernter als je. --

Der Weg, die deutsche Bewegung günstig für uns zu wenden, liegt ebenso klar
vorgezeichnet; ja die preußische Regierung hatte ihn bereits betreten, indem sie am
Bundestag die kurhessische und die Bundestriegs-Verfassungsfrage anregte.

Das erste scheint vollständig vergessen, und der neue Antrag beim Bunde, ob-
gleich wir ihn nur halb verstehen, deutet gleichfalls auf ein Aufgeben des alten
Weges hin. Denn was Preußen ursprünglich und, wie uns scheint, mit Recht ver¬
langte, war eine organische Veränderung der Kriegsverfassung nach Maßgabe der
realen Machtverhältnisse; jetzt dagegen soll für den Fall, daß Preußen mit seiner
gesammten Streitmacht am Bundeskriege Theil nimmt, die Bestimmung über den
Oberbefehl der Bundcsmacht der Einigung zwischen Oestreich und Preußen und der
nachträglichen Genehmigung des Bundestags vorbehalten bleiben.

Um vollständig zu verstehen, was das heißen soll, müßten wir die vorhergehenden
Verhandlungen zwischen Oestreich und Preußen kennen, die doch, wie es scheint, zu
keinem Resultat geführt haben; aber soviel ist klar, daß Preußen durch.eine fort¬
währende Veränderung seiner - Position seine moralische Autorität in Deutschland
nicht verstärken wird, weder bei den Fürsten noch bei den Völkern.

Preußen verkennt seine Stellung und seine Ausgabe, wenn es zwischen den
Gegensätzen neutral zu bleiben gedenkt. Bei der vermittelnden Haltung der gegen¬
wärtigen Abgeordneten hätte die Regierung vermocht, was sie wollte; wir fürchten,
das Haus des nächsten Jahres wird eine andere Physiognomie zeigen i eine starke
Reaction und eine starke Demokratie; denn die Reaction hat sich stärker erwiesen
als das Ministerium, und die Demokratie ist bis jetzt wenigstens außerhalb des Schau¬
platzes geblieben; man kann daher alles Mögliche von ihr hoffen. Es gehört ein
großer Glaube an Preußens Stern dazu, einer solchen Conjunctur ohne ernste Be¬
t sorgnis entgegenzusehen.




Verantwortlicher Redacteur! Dr. Moritz Busch.
Leelag on, F. L. Herbig. -- Druck vo" C. E, Elbert in Leipzig.

Preußen ist in einer ganz andern Lage.

Es hat nur den graben Weg seiner alten Entwickelung fortzugehen, um von
den beiden Mächten, welche die Zeit bewegen, getragen zu werden. Der Weg, die
freie bürgerliche Entwickelung im Innern, den nationalen Drang Deutschlands zu
fördern, ist ihm ganz klar vorgezeichnet. Die freie bürgerliche Entwickelung des
Innern wird nicht mehr durch die Negierung, sondern nur durch einen künstlich
organisirten, den Resten des Mittelalters nachgebildeten Staatskörper gehemmt: ein
Federzug, und dieser Widerstand ist gebrochen. -— Aber von diesem Federzug sind
wir seit dem Lauf der Woche entfernter als je. —

Der Weg, die deutsche Bewegung günstig für uns zu wenden, liegt ebenso klar
vorgezeichnet; ja die preußische Regierung hatte ihn bereits betreten, indem sie am
Bundestag die kurhessische und die Bundestriegs-Verfassungsfrage anregte.

Das erste scheint vollständig vergessen, und der neue Antrag beim Bunde, ob-
gleich wir ihn nur halb verstehen, deutet gleichfalls auf ein Aufgeben des alten
Weges hin. Denn was Preußen ursprünglich und, wie uns scheint, mit Recht ver¬
langte, war eine organische Veränderung der Kriegsverfassung nach Maßgabe der
realen Machtverhältnisse; jetzt dagegen soll für den Fall, daß Preußen mit seiner
gesammten Streitmacht am Bundeskriege Theil nimmt, die Bestimmung über den
Oberbefehl der Bundcsmacht der Einigung zwischen Oestreich und Preußen und der
nachträglichen Genehmigung des Bundestags vorbehalten bleiben.

Um vollständig zu verstehen, was das heißen soll, müßten wir die vorhergehenden
Verhandlungen zwischen Oestreich und Preußen kennen, die doch, wie es scheint, zu
keinem Resultat geführt haben; aber soviel ist klar, daß Preußen durch.eine fort¬
währende Veränderung seiner - Position seine moralische Autorität in Deutschland
nicht verstärken wird, weder bei den Fürsten noch bei den Völkern.

Preußen verkennt seine Stellung und seine Ausgabe, wenn es zwischen den
Gegensätzen neutral zu bleiben gedenkt. Bei der vermittelnden Haltung der gegen¬
wärtigen Abgeordneten hätte die Regierung vermocht, was sie wollte; wir fürchten,
das Haus des nächsten Jahres wird eine andere Physiognomie zeigen i eine starke
Reaction und eine starke Demokratie; denn die Reaction hat sich stärker erwiesen
als das Ministerium, und die Demokratie ist bis jetzt wenigstens außerhalb des Schau¬
platzes geblieben; man kann daher alles Mögliche von ihr hoffen. Es gehört ein
großer Glaube an Preußens Stern dazu, einer solchen Conjunctur ohne ernste Be¬
t sorgnis entgegenzusehen.




Verantwortlicher Redacteur! Dr. Moritz Busch.
Leelag on, F. L. Herbig. — Druck vo» C. E, Elbert in Leipzig.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0290" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/111722"/>
          <p xml:id="ID_934"> Preußen ist in einer ganz andern Lage.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_935"> Es hat nur den graben Weg seiner alten Entwickelung fortzugehen, um von<lb/>
den beiden Mächten, welche die Zeit bewegen, getragen zu werden. Der Weg, die<lb/>
freie bürgerliche Entwickelung im Innern, den nationalen Drang Deutschlands zu<lb/>
fördern, ist ihm ganz klar vorgezeichnet. Die freie bürgerliche Entwickelung des<lb/>
Innern wird nicht mehr durch die Negierung, sondern nur durch einen künstlich<lb/>
organisirten, den Resten des Mittelalters nachgebildeten Staatskörper gehemmt: ein<lb/>
Federzug, und dieser Widerstand ist gebrochen. -&#x2014; Aber von diesem Federzug sind<lb/>
wir seit dem Lauf der Woche entfernter als je. &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_936"> Der Weg, die deutsche Bewegung günstig für uns zu wenden, liegt ebenso klar<lb/>
vorgezeichnet; ja die preußische Regierung hatte ihn bereits betreten, indem sie am<lb/>
Bundestag die kurhessische und die Bundestriegs-Verfassungsfrage anregte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_937"> Das erste scheint vollständig vergessen, und der neue Antrag beim Bunde, ob-<lb/>
gleich wir ihn nur halb verstehen, deutet gleichfalls auf ein Aufgeben des alten<lb/>
Weges hin. Denn was Preußen ursprünglich und, wie uns scheint, mit Recht ver¬<lb/>
langte, war eine organische Veränderung der Kriegsverfassung nach Maßgabe der<lb/>
realen Machtverhältnisse; jetzt dagegen soll für den Fall, daß Preußen mit seiner<lb/>
gesammten Streitmacht am Bundeskriege Theil nimmt, die Bestimmung über den<lb/>
Oberbefehl der Bundcsmacht der Einigung zwischen Oestreich und Preußen und der<lb/>
nachträglichen Genehmigung des Bundestags vorbehalten bleiben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_938"> Um vollständig zu verstehen, was das heißen soll, müßten wir die vorhergehenden<lb/>
Verhandlungen zwischen Oestreich und Preußen kennen, die doch, wie es scheint, zu<lb/>
keinem Resultat geführt haben; aber soviel ist klar, daß Preußen durch.eine fort¬<lb/>
währende Veränderung seiner - Position seine moralische Autorität in Deutschland<lb/>
nicht verstärken wird, weder bei den Fürsten noch bei den Völkern.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_939"> Preußen verkennt seine Stellung und seine Ausgabe, wenn es zwischen den<lb/>
Gegensätzen neutral zu bleiben gedenkt. Bei der vermittelnden Haltung der gegen¬<lb/>
wärtigen Abgeordneten hätte die Regierung vermocht, was sie wollte; wir fürchten,<lb/>
das Haus des nächsten Jahres wird eine andere Physiognomie zeigen i eine starke<lb/>
Reaction und eine starke Demokratie; denn die Reaction hat sich stärker erwiesen<lb/>
als das Ministerium, und die Demokratie ist bis jetzt wenigstens außerhalb des Schau¬<lb/>
platzes geblieben; man kann daher alles Mögliche von ihr hoffen. Es gehört ein<lb/>
großer Glaube an Preußens Stern dazu, einer solchen Conjunctur ohne ernste Be¬<lb/><note type="byline"> t</note> sorgnis entgegenzusehen. </p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <note type="byline"> Verantwortlicher Redacteur! Dr. Moritz Busch.<lb/>
Leelag on, F. L. Herbig. &#x2014; Druck vo» C. E, Elbert in Leipzig.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0290] Preußen ist in einer ganz andern Lage. Es hat nur den graben Weg seiner alten Entwickelung fortzugehen, um von den beiden Mächten, welche die Zeit bewegen, getragen zu werden. Der Weg, die freie bürgerliche Entwickelung im Innern, den nationalen Drang Deutschlands zu fördern, ist ihm ganz klar vorgezeichnet. Die freie bürgerliche Entwickelung des Innern wird nicht mehr durch die Negierung, sondern nur durch einen künstlich organisirten, den Resten des Mittelalters nachgebildeten Staatskörper gehemmt: ein Federzug, und dieser Widerstand ist gebrochen. -— Aber von diesem Federzug sind wir seit dem Lauf der Woche entfernter als je. — Der Weg, die deutsche Bewegung günstig für uns zu wenden, liegt ebenso klar vorgezeichnet; ja die preußische Regierung hatte ihn bereits betreten, indem sie am Bundestag die kurhessische und die Bundestriegs-Verfassungsfrage anregte. Das erste scheint vollständig vergessen, und der neue Antrag beim Bunde, ob- gleich wir ihn nur halb verstehen, deutet gleichfalls auf ein Aufgeben des alten Weges hin. Denn was Preußen ursprünglich und, wie uns scheint, mit Recht ver¬ langte, war eine organische Veränderung der Kriegsverfassung nach Maßgabe der realen Machtverhältnisse; jetzt dagegen soll für den Fall, daß Preußen mit seiner gesammten Streitmacht am Bundeskriege Theil nimmt, die Bestimmung über den Oberbefehl der Bundcsmacht der Einigung zwischen Oestreich und Preußen und der nachträglichen Genehmigung des Bundestags vorbehalten bleiben. Um vollständig zu verstehen, was das heißen soll, müßten wir die vorhergehenden Verhandlungen zwischen Oestreich und Preußen kennen, die doch, wie es scheint, zu keinem Resultat geführt haben; aber soviel ist klar, daß Preußen durch.eine fort¬ währende Veränderung seiner - Position seine moralische Autorität in Deutschland nicht verstärken wird, weder bei den Fürsten noch bei den Völkern. Preußen verkennt seine Stellung und seine Ausgabe, wenn es zwischen den Gegensätzen neutral zu bleiben gedenkt. Bei der vermittelnden Haltung der gegen¬ wärtigen Abgeordneten hätte die Regierung vermocht, was sie wollte; wir fürchten, das Haus des nächsten Jahres wird eine andere Physiognomie zeigen i eine starke Reaction und eine starke Demokratie; denn die Reaction hat sich stärker erwiesen als das Ministerium, und die Demokratie ist bis jetzt wenigstens außerhalb des Schau¬ platzes geblieben; man kann daher alles Mögliche von ihr hoffen. Es gehört ein großer Glaube an Preußens Stern dazu, einer solchen Conjunctur ohne ernste Be¬ t sorgnis entgegenzusehen. Verantwortlicher Redacteur! Dr. Moritz Busch. Leelag on, F. L. Herbig. — Druck vo» C. E, Elbert in Leipzig.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/290
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/290>, abgerufen am 22.07.2024.