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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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denselben zu verbessern; daraus ergeben sich dann Conflicte der Interessen oder auch
der Vorurtheile. die, je nachdem die Frucht reif ist oder nicht, zum Sieg oder zur
Niederlage der emporstrebenden Partei führt, in beiden Fällen aber zu einer Umge¬
staltung des Alten; denn auch die Restauration ist ein Umbau.

Da also dieser Gegensatz nicht sehr haltbar ist, so nimmt Stahl in der Re¬
gel eine andere Wendung: er bezeichnet als Revolution eine gewisse Partcimcinung,
die bestimmte Grundsätze in Kirche und Staat geltend machen will, Civilehe u, s. w.;
kurz er nennt das Revolution, was wir Andern Liberalismus nennen. Auf
das sprachlich Unrichtige dieser Bezeichnung haben wir schon früher aufmerksam ge¬
macht: die Revolution ist keine Gesinnung, sondern ein Act, ein Ereigniß, Wir
können diesen Punkt daher für heute übergehen. Stahl verwechselt darum den
Liberalismus mit der Revolution, weil nach seiner Ansicht das Glaubensbekenntnis
des Liberalismus nur die Wiederholung derjenigen politischen Forderungen ist, welche
sich in einer bestimmten Revolution, der französischen von 1739, geltend gemacht
haben. >

Daß diese bestimmte Revolution von den Gegnern derselben als das vollendete
Werk des Bösen dargestellt wird, daß man alle früheren ignorirt, das liegt zum
Theil allerdings in der großen Tragweite des Ereignisses, hauptsächlich aber in ihrer
Gleichzeitigkeit. Was unmittelbar unsere Interessen berührt, erweckt auch unmittelbar
unsere Leidenschaften. Cäsar hat gewiß eine größere Revolution gemacht, als die
Nationalversammlung von 1789, da sie aber weder unsere Majorate noch unsere
Kirchenverfassung in Frage stellt, so läßt sie uns unangefochten. Wenn wir uns
so verständigen, so läßt sich Stahls Erklärung bis zu einem gewissen Punkt wenig¬
stens begreifen. Nur eins ist ihm scharf c-ntgcgcnzuhaltcn: daß ein und dasselbe
Gesetz unter verschiedenen Umständen bald revolutionär, bald conservativ. bald zer¬
störend, bald befruchtend für den Staat wirken kann. Der Prediger in der Wüste,
der nur feinen auswendig gelernten Katechismus hcrbctet, kann diesen Unterschied
'gnorircn: ein Staatsmann sollte es eigentlich nicht. Um nur auf einen Punkt
aufmerksam zu machen: das jetzt so viel angefochtene Nationalitätsprincip kann unter
Umständen im Stahl'schen Sinn revolutionär wirken; es hat aber 1813 Deutsch¬
land gerettet.

Ein anderer geistreicher Mann. Nudowitz. hat früher ein Stichwort geltend
gemacht, das noch besser klingt; er sagt: "nicht Revolution, sondern Evolution!" Aber
>ete wahre Revolution (und daß sie wahr ist, beweist sie unter Anderem dadurch,
d"ß sie gelingt) ist Evolution; sie ist Geburt; ob dabei etwas mehr oder weniger
Gewalt angewendet wird, ist nicht das entscheidende Merkmal. Wo das Alte erstor-
bc" ist, muß es entfernt werden, um dem Neuen Platz zu machen: glücklich das
Volk, dessen Frucht so weit reif ist, daß das Eisen nur wenig zu Hilfe kommen
d"rf. Dies Glück haben die Engländer 1689, die Amerikaner 1776 gehabt: des-
baw war ihr Werk doch eine Revolution. Den Franzosen wurde die Geburt
schwerer, sie waren eben weniger glücklich.

Die Revolution ist nicht das willkürliche Werk einer Partei; sie ist ein Na-


denselben zu verbessern; daraus ergeben sich dann Conflicte der Interessen oder auch
der Vorurtheile. die, je nachdem die Frucht reif ist oder nicht, zum Sieg oder zur
Niederlage der emporstrebenden Partei führt, in beiden Fällen aber zu einer Umge¬
staltung des Alten; denn auch die Restauration ist ein Umbau.

Da also dieser Gegensatz nicht sehr haltbar ist, so nimmt Stahl in der Re¬
gel eine andere Wendung: er bezeichnet als Revolution eine gewisse Partcimcinung,
die bestimmte Grundsätze in Kirche und Staat geltend machen will, Civilehe u, s. w.;
kurz er nennt das Revolution, was wir Andern Liberalismus nennen. Auf
das sprachlich Unrichtige dieser Bezeichnung haben wir schon früher aufmerksam ge¬
macht: die Revolution ist keine Gesinnung, sondern ein Act, ein Ereigniß, Wir
können diesen Punkt daher für heute übergehen. Stahl verwechselt darum den
Liberalismus mit der Revolution, weil nach seiner Ansicht das Glaubensbekenntnis
des Liberalismus nur die Wiederholung derjenigen politischen Forderungen ist, welche
sich in einer bestimmten Revolution, der französischen von 1739, geltend gemacht
haben. >

Daß diese bestimmte Revolution von den Gegnern derselben als das vollendete
Werk des Bösen dargestellt wird, daß man alle früheren ignorirt, das liegt zum
Theil allerdings in der großen Tragweite des Ereignisses, hauptsächlich aber in ihrer
Gleichzeitigkeit. Was unmittelbar unsere Interessen berührt, erweckt auch unmittelbar
unsere Leidenschaften. Cäsar hat gewiß eine größere Revolution gemacht, als die
Nationalversammlung von 1789, da sie aber weder unsere Majorate noch unsere
Kirchenverfassung in Frage stellt, so läßt sie uns unangefochten. Wenn wir uns
so verständigen, so läßt sich Stahls Erklärung bis zu einem gewissen Punkt wenig¬
stens begreifen. Nur eins ist ihm scharf c-ntgcgcnzuhaltcn: daß ein und dasselbe
Gesetz unter verschiedenen Umständen bald revolutionär, bald conservativ. bald zer¬
störend, bald befruchtend für den Staat wirken kann. Der Prediger in der Wüste,
der nur feinen auswendig gelernten Katechismus hcrbctet, kann diesen Unterschied
'gnorircn: ein Staatsmann sollte es eigentlich nicht. Um nur auf einen Punkt
aufmerksam zu machen: das jetzt so viel angefochtene Nationalitätsprincip kann unter
Umständen im Stahl'schen Sinn revolutionär wirken; es hat aber 1813 Deutsch¬
land gerettet.

Ein anderer geistreicher Mann. Nudowitz. hat früher ein Stichwort geltend
gemacht, das noch besser klingt; er sagt: „nicht Revolution, sondern Evolution!" Aber
>ete wahre Revolution (und daß sie wahr ist, beweist sie unter Anderem dadurch,
d"ß sie gelingt) ist Evolution; sie ist Geburt; ob dabei etwas mehr oder weniger
Gewalt angewendet wird, ist nicht das entscheidende Merkmal. Wo das Alte erstor-
bc» ist, muß es entfernt werden, um dem Neuen Platz zu machen: glücklich das
Volk, dessen Frucht so weit reif ist, daß das Eisen nur wenig zu Hilfe kommen
d«rf. Dies Glück haben die Engländer 1689, die Amerikaner 1776 gehabt: des-
baw war ihr Werk doch eine Revolution. Den Franzosen wurde die Geburt
schwerer, sie waren eben weniger glücklich.

Die Revolution ist nicht das willkürliche Werk einer Partei; sie ist ein Na-


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[0287] denselben zu verbessern; daraus ergeben sich dann Conflicte der Interessen oder auch der Vorurtheile. die, je nachdem die Frucht reif ist oder nicht, zum Sieg oder zur Niederlage der emporstrebenden Partei führt, in beiden Fällen aber zu einer Umge¬ staltung des Alten; denn auch die Restauration ist ein Umbau. Da also dieser Gegensatz nicht sehr haltbar ist, so nimmt Stahl in der Re¬ gel eine andere Wendung: er bezeichnet als Revolution eine gewisse Partcimcinung, die bestimmte Grundsätze in Kirche und Staat geltend machen will, Civilehe u, s. w.; kurz er nennt das Revolution, was wir Andern Liberalismus nennen. Auf das sprachlich Unrichtige dieser Bezeichnung haben wir schon früher aufmerksam ge¬ macht: die Revolution ist keine Gesinnung, sondern ein Act, ein Ereigniß, Wir können diesen Punkt daher für heute übergehen. Stahl verwechselt darum den Liberalismus mit der Revolution, weil nach seiner Ansicht das Glaubensbekenntnis des Liberalismus nur die Wiederholung derjenigen politischen Forderungen ist, welche sich in einer bestimmten Revolution, der französischen von 1739, geltend gemacht haben. > Daß diese bestimmte Revolution von den Gegnern derselben als das vollendete Werk des Bösen dargestellt wird, daß man alle früheren ignorirt, das liegt zum Theil allerdings in der großen Tragweite des Ereignisses, hauptsächlich aber in ihrer Gleichzeitigkeit. Was unmittelbar unsere Interessen berührt, erweckt auch unmittelbar unsere Leidenschaften. Cäsar hat gewiß eine größere Revolution gemacht, als die Nationalversammlung von 1789, da sie aber weder unsere Majorate noch unsere Kirchenverfassung in Frage stellt, so läßt sie uns unangefochten. Wenn wir uns so verständigen, so läßt sich Stahls Erklärung bis zu einem gewissen Punkt wenig¬ stens begreifen. Nur eins ist ihm scharf c-ntgcgcnzuhaltcn: daß ein und dasselbe Gesetz unter verschiedenen Umständen bald revolutionär, bald conservativ. bald zer¬ störend, bald befruchtend für den Staat wirken kann. Der Prediger in der Wüste, der nur feinen auswendig gelernten Katechismus hcrbctet, kann diesen Unterschied 'gnorircn: ein Staatsmann sollte es eigentlich nicht. Um nur auf einen Punkt aufmerksam zu machen: das jetzt so viel angefochtene Nationalitätsprincip kann unter Umständen im Stahl'schen Sinn revolutionär wirken; es hat aber 1813 Deutsch¬ land gerettet. Ein anderer geistreicher Mann. Nudowitz. hat früher ein Stichwort geltend gemacht, das noch besser klingt; er sagt: „nicht Revolution, sondern Evolution!" Aber >ete wahre Revolution (und daß sie wahr ist, beweist sie unter Anderem dadurch, d"ß sie gelingt) ist Evolution; sie ist Geburt; ob dabei etwas mehr oder weniger Gewalt angewendet wird, ist nicht das entscheidende Merkmal. Wo das Alte erstor- bc» ist, muß es entfernt werden, um dem Neuen Platz zu machen: glücklich das Volk, dessen Frucht so weit reif ist, daß das Eisen nur wenig zu Hilfe kommen d«rf. Dies Glück haben die Engländer 1689, die Amerikaner 1776 gehabt: des- baw war ihr Werk doch eine Revolution. Den Franzosen wurde die Geburt schwerer, sie waren eben weniger glücklich. Die Revolution ist nicht das willkürliche Werk einer Partei; sie ist ein Na-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/287>, abgerufen am 01.07.2024.