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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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kommenen Rothhemden. Der junge, entzückte Amerikaner feuerte in der
Frende seines Herzens einen Knallschuß in die Luft ab, was ihm von
dem Capitain die Bemerkung zuzog: "Das ist doch zu kindisch. Herr/'

Wir waren jetzt vor der Bucht von Neapel. Die Passagiere hatten sich zer¬
streut. Jeder sehnte sich nach Beendigung der Reise, die den gewöhnlichen
Zeitraum schon überschritten hatte, und die Deckpassagiere legten schon ihr
kleines Gepäck zusammen. Dem Beobachter mußte die sorgsame Art, die
dabei dem ärmlichen Gepäck von Manchen gewidmet wurde, wie ein unbe¬
wußter Abschiedsgruß von ihren kleinen Habseligkeiten vorkommen. Ein Tag
nur, und vielleicht waren die Eigenthümer von einer feindlichen Kugel weg¬
gerafft. Es schien ihnen dunkel vorzuschweben, daß sie sich einem Wendepunkte
in ihrem Leben näherten. Die stürmische Brav.our auf der Eisenbahn war
verschwunden und die lustigen Gesänge an Bord tönten nicht mehr.

Das Ktzte Frühstück, und Ischia und Procido. theilten die Aufmerksam¬
keit der Passagiere, und nicht lange so erschien auch die Insel Capri, und
wir schwenkten in Neapels Golf ein.

Ich weiß nicht, was man dazu sagen wird, wenn ich gestehe, ich habe
mir die weltberühmte Ansicht anders vorgestellt, ja, ich habe Schöneres ge¬
sehen. War es die Beleuchtung, die Jahreszeit, die vorhergehenden Eindrücke
oder ein Fehler in meinen eigenen Augen, genug, mir kam Alles gran in
grau vor. Von dem frischen Grün, das ich als Staffirung dieser prachtvollen
sich übereinander erhebenden Häuserreihen erwartet, die beinahe den gan¬
zen Golf einnehmen, war nichts zu erblicken, und die Farbe der Dächer
unterschied sich von der Farbe der Wände und Mauern so wenig, daß in dem
großen Halbkreis so gut wie gar keine Gliederung und Abstufung mar-
kirt war.

Schon beim Einlaufen in den Handelshafen hatten uns Boote empfan¬
gen, die iliren Antheil von der Ausschiffung erwarteten. Sobald die Anker
fielen, umlagerten sie förmlich das Schiff, die blitzenden Augen der Ruderer
faßten jeden Blick auf, und "g. ins, LiZuor, g, ins!" erschallte es von allen
Seiten.

Ich schloß mich einer englischen Familie an, wechselte einen Hnndedruck
mit dem Toscaner und dem Franzosen, ließ mich nach dem Molo rudern
und stand wenige Minuten nachher in meinem Zimmer im Hotel Russie.




kommenen Rothhemden. Der junge, entzückte Amerikaner feuerte in der
Frende seines Herzens einen Knallschuß in die Luft ab, was ihm von
dem Capitain die Bemerkung zuzog: „Das ist doch zu kindisch. Herr/'

Wir waren jetzt vor der Bucht von Neapel. Die Passagiere hatten sich zer¬
streut. Jeder sehnte sich nach Beendigung der Reise, die den gewöhnlichen
Zeitraum schon überschritten hatte, und die Deckpassagiere legten schon ihr
kleines Gepäck zusammen. Dem Beobachter mußte die sorgsame Art, die
dabei dem ärmlichen Gepäck von Manchen gewidmet wurde, wie ein unbe¬
wußter Abschiedsgruß von ihren kleinen Habseligkeiten vorkommen. Ein Tag
nur, und vielleicht waren die Eigenthümer von einer feindlichen Kugel weg¬
gerafft. Es schien ihnen dunkel vorzuschweben, daß sie sich einem Wendepunkte
in ihrem Leben näherten. Die stürmische Brav.our auf der Eisenbahn war
verschwunden und die lustigen Gesänge an Bord tönten nicht mehr.

Das Ktzte Frühstück, und Ischia und Procido. theilten die Aufmerksam¬
keit der Passagiere, und nicht lange so erschien auch die Insel Capri, und
wir schwenkten in Neapels Golf ein.

Ich weiß nicht, was man dazu sagen wird, wenn ich gestehe, ich habe
mir die weltberühmte Ansicht anders vorgestellt, ja, ich habe Schöneres ge¬
sehen. War es die Beleuchtung, die Jahreszeit, die vorhergehenden Eindrücke
oder ein Fehler in meinen eigenen Augen, genug, mir kam Alles gran in
grau vor. Von dem frischen Grün, das ich als Staffirung dieser prachtvollen
sich übereinander erhebenden Häuserreihen erwartet, die beinahe den gan¬
zen Golf einnehmen, war nichts zu erblicken, und die Farbe der Dächer
unterschied sich von der Farbe der Wände und Mauern so wenig, daß in dem
großen Halbkreis so gut wie gar keine Gliederung und Abstufung mar-
kirt war.

Schon beim Einlaufen in den Handelshafen hatten uns Boote empfan¬
gen, die iliren Antheil von der Ausschiffung erwarteten. Sobald die Anker
fielen, umlagerten sie förmlich das Schiff, die blitzenden Augen der Ruderer
faßten jeden Blick auf, und „g. ins, LiZuor, g, ins!" erschallte es von allen
Seiten.

Ich schloß mich einer englischen Familie an, wechselte einen Hnndedruck
mit dem Toscaner und dem Franzosen, ließ mich nach dem Molo rudern
und stand wenige Minuten nachher in meinem Zimmer im Hotel Russie.




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[0274] kommenen Rothhemden. Der junge, entzückte Amerikaner feuerte in der Frende seines Herzens einen Knallschuß in die Luft ab, was ihm von dem Capitain die Bemerkung zuzog: „Das ist doch zu kindisch. Herr/' Wir waren jetzt vor der Bucht von Neapel. Die Passagiere hatten sich zer¬ streut. Jeder sehnte sich nach Beendigung der Reise, die den gewöhnlichen Zeitraum schon überschritten hatte, und die Deckpassagiere legten schon ihr kleines Gepäck zusammen. Dem Beobachter mußte die sorgsame Art, die dabei dem ärmlichen Gepäck von Manchen gewidmet wurde, wie ein unbe¬ wußter Abschiedsgruß von ihren kleinen Habseligkeiten vorkommen. Ein Tag nur, und vielleicht waren die Eigenthümer von einer feindlichen Kugel weg¬ gerafft. Es schien ihnen dunkel vorzuschweben, daß sie sich einem Wendepunkte in ihrem Leben näherten. Die stürmische Brav.our auf der Eisenbahn war verschwunden und die lustigen Gesänge an Bord tönten nicht mehr. Das Ktzte Frühstück, und Ischia und Procido. theilten die Aufmerksam¬ keit der Passagiere, und nicht lange so erschien auch die Insel Capri, und wir schwenkten in Neapels Golf ein. Ich weiß nicht, was man dazu sagen wird, wenn ich gestehe, ich habe mir die weltberühmte Ansicht anders vorgestellt, ja, ich habe Schöneres ge¬ sehen. War es die Beleuchtung, die Jahreszeit, die vorhergehenden Eindrücke oder ein Fehler in meinen eigenen Augen, genug, mir kam Alles gran in grau vor. Von dem frischen Grün, das ich als Staffirung dieser prachtvollen sich übereinander erhebenden Häuserreihen erwartet, die beinahe den gan¬ zen Golf einnehmen, war nichts zu erblicken, und die Farbe der Dächer unterschied sich von der Farbe der Wände und Mauern so wenig, daß in dem großen Halbkreis so gut wie gar keine Gliederung und Abstufung mar- kirt war. Schon beim Einlaufen in den Handelshafen hatten uns Boote empfan¬ gen, die iliren Antheil von der Ausschiffung erwarteten. Sobald die Anker fielen, umlagerten sie förmlich das Schiff, die blitzenden Augen der Ruderer faßten jeden Blick auf, und „g. ins, LiZuor, g, ins!" erschallte es von allen Seiten. Ich schloß mich einer englischen Familie an, wechselte einen Hnndedruck mit dem Toscaner und dem Franzosen, ließ mich nach dem Molo rudern und stand wenige Minuten nachher in meinem Zimmer im Hotel Russie.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/274>, abgerufen am 26.08.2024.