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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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bekannt gegeben. Ich mußte ihn indeß mehrmals wiederholen, und da die
jedesmalige Antwort "etre 8'g.eeomocls" -- "^psttate un xoeo" mich endlich
ermüdete, ließ ich mich nach beendeter Musterung der Bilder und Bücher in
dem besten Fauteuil nieder, welches ich fand. Endlich trat ein Herr mit einem
distinguirten Gesicht, der bisher entschieden als Leiter des Bureaus aufgetre¬
ten war. auf mich zu und stellte sich mit artiger Frage nach meinem Be-
gehr mir zur Verfügung. Ich erzählte mein Mißgeschick mit dem Brief
an Macchi und deutete an. daß der Freund, der ihn geschrieben, vermuthlich
nichts dagegen haben würde, wenn der Herr Doctor Bertani das Schreiben
öffnete. Natürlich hatte ich den Herrn mit dem distinguirten Gesicht für den
Doctor selbst gehalten, und so war ich nicht wenig bestürzt, als ich zur Ant-
wort bekam, der Doctor sei verreist, und mein Bis a vis sei nur sein Se-
cretair. Indeß half mir sein höfliches und zugleich bedeutungsvolles "g, votrs
, servies" bald aus der Verlegenheit, und ich ersuchte ihn, den Brief zu öffnen.

Auf die wiederholte Frage, womit er dienen könne, antwortete ich kurz:
Mit nichts, daß ich wüßte. Der Brief enthielte eine Empfehlung an Signor
Macchi. die mir als Unbekannten ein Stützpunkt sein sollte: da er nicht am
Platze sei, bliebe mir nichts Anderes übrig, als die Armee des Dictators auf¬
zusuchen. Dies wirkte, man sagte mir, daß wahrscheinlich diesen Nachmittag
ein Schiff nach Neapel abgehen würde, versprach mir Bescheid zukommen zu
lassen, und so empfahl ich mich.

Wenn ich nicht irre, so steht irgendwo in den Büchern Mosis geschrieben:
"und es wurde aus Morgen und Abend der erste Tag" dann der zweite, der
dritte, der vierte, fünfte u. s. w.

Dasselbe begab sich hier in Genua mit mir. nur daß nichts Neues hinzu¬
kommen wollte. Sechsmal wurde mit Morgen und Abend ein Tag voll, und
immer wiederholten sich aus dem Bureau die stereotypen Worte "^xettate,
^Mors, dolirani" oder "xroäoirmlli". Und ich konnte jetzt begreifen, wie
d'e Italiener Jahrhunderte nöthig gehabt haben, um zum Ziel zu kommen,
mit ihrem ewigen Warten, bis endlich Männer, denen dies Wort unbekannt
Mar, ihrer Sache sich annahmen.

Täglich erneuerte Besuche in dem Locale der Expedition von Freiwilligen
ließen Gedanken aufkommen, die auf kein sehr günstiges Urtheil über die Ein-
"chtung des Bureaus und das System, das man befolgte, hinausliefen.
Diese Masse von Freiwilligen mußte mit Quartier versehen und verpflegt
werden. Warum, wenn die Armee sie nöthig hatte, wurden sie nicht abge¬
dickt, um einexercirt und equipirt zu werden; 'die Kosten 6--7 Tage laug
150--200 Mann zu unterhalten, waren größer als die Kosten für einen gleich
eintretenden Transport. Waren vielleicht politische Gründe vorhanden? Mir
bien es nicht so. obschon vielleicht schon zu dieser Zeit Graf Cavour's Er-


bekannt gegeben. Ich mußte ihn indeß mehrmals wiederholen, und da die
jedesmalige Antwort „etre 8'g.eeomocls" — „^psttate un xoeo" mich endlich
ermüdete, ließ ich mich nach beendeter Musterung der Bilder und Bücher in
dem besten Fauteuil nieder, welches ich fand. Endlich trat ein Herr mit einem
distinguirten Gesicht, der bisher entschieden als Leiter des Bureaus aufgetre¬
ten war. auf mich zu und stellte sich mit artiger Frage nach meinem Be-
gehr mir zur Verfügung. Ich erzählte mein Mißgeschick mit dem Brief
an Macchi und deutete an. daß der Freund, der ihn geschrieben, vermuthlich
nichts dagegen haben würde, wenn der Herr Doctor Bertani das Schreiben
öffnete. Natürlich hatte ich den Herrn mit dem distinguirten Gesicht für den
Doctor selbst gehalten, und so war ich nicht wenig bestürzt, als ich zur Ant-
wort bekam, der Doctor sei verreist, und mein Bis a vis sei nur sein Se-
cretair. Indeß half mir sein höfliches und zugleich bedeutungsvolles „g, votrs
, servies" bald aus der Verlegenheit, und ich ersuchte ihn, den Brief zu öffnen.

Auf die wiederholte Frage, womit er dienen könne, antwortete ich kurz:
Mit nichts, daß ich wüßte. Der Brief enthielte eine Empfehlung an Signor
Macchi. die mir als Unbekannten ein Stützpunkt sein sollte: da er nicht am
Platze sei, bliebe mir nichts Anderes übrig, als die Armee des Dictators auf¬
zusuchen. Dies wirkte, man sagte mir, daß wahrscheinlich diesen Nachmittag
ein Schiff nach Neapel abgehen würde, versprach mir Bescheid zukommen zu
lassen, und so empfahl ich mich.

Wenn ich nicht irre, so steht irgendwo in den Büchern Mosis geschrieben:
»und es wurde aus Morgen und Abend der erste Tag" dann der zweite, der
dritte, der vierte, fünfte u. s. w.

Dasselbe begab sich hier in Genua mit mir. nur daß nichts Neues hinzu¬
kommen wollte. Sechsmal wurde mit Morgen und Abend ein Tag voll, und
immer wiederholten sich aus dem Bureau die stereotypen Worte „^xettate,
^Mors, dolirani" oder „xroäoirmlli". Und ich konnte jetzt begreifen, wie
d'e Italiener Jahrhunderte nöthig gehabt haben, um zum Ziel zu kommen,
mit ihrem ewigen Warten, bis endlich Männer, denen dies Wort unbekannt
Mar, ihrer Sache sich annahmen.

Täglich erneuerte Besuche in dem Locale der Expedition von Freiwilligen
ließen Gedanken aufkommen, die auf kein sehr günstiges Urtheil über die Ein-
"chtung des Bureaus und das System, das man befolgte, hinausliefen.
Diese Masse von Freiwilligen mußte mit Quartier versehen und verpflegt
werden. Warum, wenn die Armee sie nöthig hatte, wurden sie nicht abge¬
dickt, um einexercirt und equipirt zu werden; 'die Kosten 6—7 Tage laug
150—200 Mann zu unterhalten, waren größer als die Kosten für einen gleich
eintretenden Transport. Waren vielleicht politische Gründe vorhanden? Mir
bien es nicht so. obschon vielleicht schon zu dieser Zeit Graf Cavour's Er-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/263>, abgerufen am 22.07.2024.