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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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den, die einen solchen Krieg herbeiführen könnte; da es aber fürchtet, daß
diese Rathschlage nicht eindringlich genug sein dürften, so wird es aus Furcht
grob: aus Furcht vor Frankreich wird es grob gegen Preußen.

Aber das alles erklärt noch nicht die Sprache, die gegen Preußen geführt
wird. Als England mit Rußland im Kriege war, hat sich kein englischer
Minister so über Rußland ausgesprochen. Selbst über Oestreich , das bei der
jetzt herrschenden Partei in England so mißliebig ist als möglich, lautet die
Sprache der Minister (die Abgeordneten haben freie Rede!) ganz anders.
Das dritte Motiv ist folgendes.

Bekanntlich erkundigen sich Politiker, die in die Politik nicht bloß mit
ihren Neigungen, sondern auch mit ihren Interessen verflochten sind, sehr sorg¬
fältig nach der Haltung der Börse. Nicht als ob die politische Weisheit der
Börse über allen Verdacht erhaben wäre; die Börse ist ein vielköpfiges
Ungeheuer wie das Publicum, und wenn man von dem Verstand dieser ver¬
schiedenen Köpfe den mittleren Durchschnitt ziehen wollte/ so würde das Re¬
sultat nicht immer zufriedenstellend sein. Aber trotz dieser vielen Köpfe, wird
der Leib durch einen Instinkt geleitet, den man sehr in Rechnung ziehen muß.

Nun wol: wie die Börse oder wie die öffentliche Meinung, bildet die Sprache
der englischen Minister einen Barometer, in welchem sich der moralische Credit
der Staaten ausspricht: nicht bloß der Credit in England, sondern in Europa.
Die Scala kann irren, wie man ja auch auf die Zuschriften des Barometers
"schön Wetter", "Regen" u. s. w., nicht viel zu geben hat: aber sie hat in
dem Luftdruck stets einen ganz bestimmten Grund.

Mit bitterer Empfindung müssen wir es sagen, die Ausdrucksweise Lord
Palmerston's ist die Scala für den gegenwärtigen Credit Preußens in Europa.

Soll man sich darüber wundern? Was erzählt die Geschichte der letzten
zwei Jahre von Preußens Fortschritt? Es ist ein liberales Ministerium vorhanden,
ihm gegenüber ist im Herrenhaus, in der höhern Bureaukratie u. s. w. eine Ge¬
genpartei organisirt, die offen ihr Mißtrauen zu erkennen gibt und die jede ge¬
setzliche Entwickelung der Verfassung vereitelt. Jeder Gesetzvorschlag wird verwor¬
fen, -- das Ministerium bleibt, das Herrenhaus bleibt. -- Von der Consequenz in
der deutschen Politik nur ein Beispiel. Vor ein oder zwei Jahren wurde von der
' preußischen Negierung die Hessen-Casselsche Frage angeregt, Preußen blieb iso-
lirt, ohne allen Beistand und hatte keinen Erfolg. Nun hat sich fast in allen
deutschen Kammern die öffentliche Meinung sehr entschieden günstig darüber ausge¬
sprochen; jetzt würde ein Wort Preußens ungeheure Wirkung thun. Preußen
aber hüllt sich in ein imponirendes Stillschweigen und wartet ab, bis diese
Aufregung sich gelegt hat. Es wäre ja höchst undelicat. jetzt zu drängen!
Denn gedrängt zu werden, thut keinem Menschen wohl! -- Man wird noch
erleben, daß diese Sache gegen Preußen ausgebeutet wird.


den, die einen solchen Krieg herbeiführen könnte; da es aber fürchtet, daß
diese Rathschlage nicht eindringlich genug sein dürften, so wird es aus Furcht
grob: aus Furcht vor Frankreich wird es grob gegen Preußen.

Aber das alles erklärt noch nicht die Sprache, die gegen Preußen geführt
wird. Als England mit Rußland im Kriege war, hat sich kein englischer
Minister so über Rußland ausgesprochen. Selbst über Oestreich , das bei der
jetzt herrschenden Partei in England so mißliebig ist als möglich, lautet die
Sprache der Minister (die Abgeordneten haben freie Rede!) ganz anders.
Das dritte Motiv ist folgendes.

Bekanntlich erkundigen sich Politiker, die in die Politik nicht bloß mit
ihren Neigungen, sondern auch mit ihren Interessen verflochten sind, sehr sorg¬
fältig nach der Haltung der Börse. Nicht als ob die politische Weisheit der
Börse über allen Verdacht erhaben wäre; die Börse ist ein vielköpfiges
Ungeheuer wie das Publicum, und wenn man von dem Verstand dieser ver¬
schiedenen Köpfe den mittleren Durchschnitt ziehen wollte/ so würde das Re¬
sultat nicht immer zufriedenstellend sein. Aber trotz dieser vielen Köpfe, wird
der Leib durch einen Instinkt geleitet, den man sehr in Rechnung ziehen muß.

Nun wol: wie die Börse oder wie die öffentliche Meinung, bildet die Sprache
der englischen Minister einen Barometer, in welchem sich der moralische Credit
der Staaten ausspricht: nicht bloß der Credit in England, sondern in Europa.
Die Scala kann irren, wie man ja auch auf die Zuschriften des Barometers
„schön Wetter", „Regen" u. s. w., nicht viel zu geben hat: aber sie hat in
dem Luftdruck stets einen ganz bestimmten Grund.

Mit bitterer Empfindung müssen wir es sagen, die Ausdrucksweise Lord
Palmerston's ist die Scala für den gegenwärtigen Credit Preußens in Europa.

Soll man sich darüber wundern? Was erzählt die Geschichte der letzten
zwei Jahre von Preußens Fortschritt? Es ist ein liberales Ministerium vorhanden,
ihm gegenüber ist im Herrenhaus, in der höhern Bureaukratie u. s. w. eine Ge¬
genpartei organisirt, die offen ihr Mißtrauen zu erkennen gibt und die jede ge¬
setzliche Entwickelung der Verfassung vereitelt. Jeder Gesetzvorschlag wird verwor¬
fen, — das Ministerium bleibt, das Herrenhaus bleibt. — Von der Consequenz in
der deutschen Politik nur ein Beispiel. Vor ein oder zwei Jahren wurde von der
' preußischen Negierung die Hessen-Casselsche Frage angeregt, Preußen blieb iso-
lirt, ohne allen Beistand und hatte keinen Erfolg. Nun hat sich fast in allen
deutschen Kammern die öffentliche Meinung sehr entschieden günstig darüber ausge¬
sprochen; jetzt würde ein Wort Preußens ungeheure Wirkung thun. Preußen
aber hüllt sich in ein imponirendes Stillschweigen und wartet ab, bis diese
Aufregung sich gelegt hat. Es wäre ja höchst undelicat. jetzt zu drängen!
Denn gedrängt zu werden, thut keinem Menschen wohl! — Man wird noch
erleben, daß diese Sache gegen Preußen ausgebeutet wird.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/246>, abgerufen am 02.07.2024.