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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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Spruch der englischen Kronjuristen die preußischen Behörden sich in diesem
Fall innerhalb des preußischen Gesetzes bewegt hätten, hat er dennoch an die
Preußische Regierung die Zumuthung gestellt, sich zu entschuldigen und Capi-
tain Macdonald eine Entschädigung zu zahlen. AIs Grund dieser Zumuthung
hat er angeführt, daß Preußen bei seiner precairen Lage genöthigt sei, sich
um die Gunst Englands zu bewerben. Sämmtliche Punkte dieser Rede haben
den Beifall des Parlaments gefunden.

Es ist nicht zuviel und kaum genug gesagt, wenn man behauptet, daß
Preußen in dieser Angelegenheit in eine Reihe mit dem bourbonischen Neapel
und der Türkei gestellt wird. Jede starke Aeußerung der preußischen Regie-
rung auf diese Rodomontaden würden wir billigen, wie wir die frühere ge¬
billigt haben. Denn es will nichts sagen, wenn Lord Palmerston hinzusetzt,
die englische Negierung würde sich in solchem Fall gewiß entschuldigt und
Entschädigung gezahlt haben. Das ist einer von jenen Ausbrüchen humoristi¬
scher Naivetät, die diesen Staatsmann so populär gemacht haben. Der edle
Lord hat wahrscheinlich vergessen, daß er vor wenig Jahren sein Amt verlor,
weil er dem Kaiser Napoleon ein solches Zugeständniß machen wollte, in
einer Sache, wo der Kaiser der Franzosen entschieden im Recht war.

Also jede auch noch so starke Abwehr dieser Beleidigung wird am Platz
sein. Aber damit ist es nicht gethan. Schon zwischen zwei Privatleuten ist
es nicht schicklich, eine Reihe von groben Briefen ohne Erfolg zu wechseln;
die groben Briefe müssen doch zuletzt ein Ende nehmen: entweder man ver¬
trägt oder man schlägt sich. Bei Staaten ist das letztere nicht immer aus¬
führbar, und Preußen wird schwerlich daran denken wollen. England wegen
der Flegeleien seiner Staatsmänner mit Krieg zu überziehen. Die preußischen
Minister werden vor allen Dingen sich überlegen müssen, was dies ganze Be¬
nehmen heißen soll.

Das erste Motiv der englischen Minister ist ein ganz lobenswerthes. Nichts
macht ein britisches Ministerium so populär als die kräftige > Unterstützung,
die es britischen Staatsbürgern im Auslande zu Theil werden läßt. Ein
britisches Ministerium mag noch so fest stehen, sobald es diese Pflicht versäumt,
wird es gestürzt. Diesmal haben die Minister ihre Pflicht aus Popularitäts¬
sucht auf eine höchst ungebührliche Weise übertrieben; aber daß sie diese Pflicht
anerkennen, muß uns. deren Staatsmänner und Diplomaten an so Etwas
nicht denken können, weil sie ganz andere Dinge zu thun haben, in der That
mit Neid erfüllen.

Das zweite Motiv ist nicht so lobenswerth. England glaubt einen Krieg
zwischen Frankreich und Preußen vorauszusehen, es glaubt, daß Preußen in
diesem Fall auf seinen Beistand rechnet, und es will ihm nicht beistehen. Un¬
ermüdlich warnt es Preußen, auf das Aengstlichste jede Gelegenheit zu vermei-


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Spruch der englischen Kronjuristen die preußischen Behörden sich in diesem
Fall innerhalb des preußischen Gesetzes bewegt hätten, hat er dennoch an die
Preußische Regierung die Zumuthung gestellt, sich zu entschuldigen und Capi-
tain Macdonald eine Entschädigung zu zahlen. AIs Grund dieser Zumuthung
hat er angeführt, daß Preußen bei seiner precairen Lage genöthigt sei, sich
um die Gunst Englands zu bewerben. Sämmtliche Punkte dieser Rede haben
den Beifall des Parlaments gefunden.

Es ist nicht zuviel und kaum genug gesagt, wenn man behauptet, daß
Preußen in dieser Angelegenheit in eine Reihe mit dem bourbonischen Neapel
und der Türkei gestellt wird. Jede starke Aeußerung der preußischen Regie-
rung auf diese Rodomontaden würden wir billigen, wie wir die frühere ge¬
billigt haben. Denn es will nichts sagen, wenn Lord Palmerston hinzusetzt,
die englische Negierung würde sich in solchem Fall gewiß entschuldigt und
Entschädigung gezahlt haben. Das ist einer von jenen Ausbrüchen humoristi¬
scher Naivetät, die diesen Staatsmann so populär gemacht haben. Der edle
Lord hat wahrscheinlich vergessen, daß er vor wenig Jahren sein Amt verlor,
weil er dem Kaiser Napoleon ein solches Zugeständniß machen wollte, in
einer Sache, wo der Kaiser der Franzosen entschieden im Recht war.

Also jede auch noch so starke Abwehr dieser Beleidigung wird am Platz
sein. Aber damit ist es nicht gethan. Schon zwischen zwei Privatleuten ist
es nicht schicklich, eine Reihe von groben Briefen ohne Erfolg zu wechseln;
die groben Briefe müssen doch zuletzt ein Ende nehmen: entweder man ver¬
trägt oder man schlägt sich. Bei Staaten ist das letztere nicht immer aus¬
führbar, und Preußen wird schwerlich daran denken wollen. England wegen
der Flegeleien seiner Staatsmänner mit Krieg zu überziehen. Die preußischen
Minister werden vor allen Dingen sich überlegen müssen, was dies ganze Be¬
nehmen heißen soll.

Das erste Motiv der englischen Minister ist ein ganz lobenswerthes. Nichts
macht ein britisches Ministerium so populär als die kräftige > Unterstützung,
die es britischen Staatsbürgern im Auslande zu Theil werden läßt. Ein
britisches Ministerium mag noch so fest stehen, sobald es diese Pflicht versäumt,
wird es gestürzt. Diesmal haben die Minister ihre Pflicht aus Popularitäts¬
sucht auf eine höchst ungebührliche Weise übertrieben; aber daß sie diese Pflicht
anerkennen, muß uns. deren Staatsmänner und Diplomaten an so Etwas
nicht denken können, weil sie ganz andere Dinge zu thun haben, in der That
mit Neid erfüllen.

Das zweite Motiv ist nicht so lobenswerth. England glaubt einen Krieg
zwischen Frankreich und Preußen vorauszusehen, es glaubt, daß Preußen in
diesem Fall auf seinen Beistand rechnet, und es will ihm nicht beistehen. Un¬
ermüdlich warnt es Preußen, auf das Aengstlichste jede Gelegenheit zu vermei-


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[0245] Spruch der englischen Kronjuristen die preußischen Behörden sich in diesem Fall innerhalb des preußischen Gesetzes bewegt hätten, hat er dennoch an die Preußische Regierung die Zumuthung gestellt, sich zu entschuldigen und Capi- tain Macdonald eine Entschädigung zu zahlen. AIs Grund dieser Zumuthung hat er angeführt, daß Preußen bei seiner precairen Lage genöthigt sei, sich um die Gunst Englands zu bewerben. Sämmtliche Punkte dieser Rede haben den Beifall des Parlaments gefunden. Es ist nicht zuviel und kaum genug gesagt, wenn man behauptet, daß Preußen in dieser Angelegenheit in eine Reihe mit dem bourbonischen Neapel und der Türkei gestellt wird. Jede starke Aeußerung der preußischen Regie- rung auf diese Rodomontaden würden wir billigen, wie wir die frühere ge¬ billigt haben. Denn es will nichts sagen, wenn Lord Palmerston hinzusetzt, die englische Negierung würde sich in solchem Fall gewiß entschuldigt und Entschädigung gezahlt haben. Das ist einer von jenen Ausbrüchen humoristi¬ scher Naivetät, die diesen Staatsmann so populär gemacht haben. Der edle Lord hat wahrscheinlich vergessen, daß er vor wenig Jahren sein Amt verlor, weil er dem Kaiser Napoleon ein solches Zugeständniß machen wollte, in einer Sache, wo der Kaiser der Franzosen entschieden im Recht war. Also jede auch noch so starke Abwehr dieser Beleidigung wird am Platz sein. Aber damit ist es nicht gethan. Schon zwischen zwei Privatleuten ist es nicht schicklich, eine Reihe von groben Briefen ohne Erfolg zu wechseln; die groben Briefe müssen doch zuletzt ein Ende nehmen: entweder man ver¬ trägt oder man schlägt sich. Bei Staaten ist das letztere nicht immer aus¬ führbar, und Preußen wird schwerlich daran denken wollen. England wegen der Flegeleien seiner Staatsmänner mit Krieg zu überziehen. Die preußischen Minister werden vor allen Dingen sich überlegen müssen, was dies ganze Be¬ nehmen heißen soll. Das erste Motiv der englischen Minister ist ein ganz lobenswerthes. Nichts macht ein britisches Ministerium so populär als die kräftige > Unterstützung, die es britischen Staatsbürgern im Auslande zu Theil werden läßt. Ein britisches Ministerium mag noch so fest stehen, sobald es diese Pflicht versäumt, wird es gestürzt. Diesmal haben die Minister ihre Pflicht aus Popularitäts¬ sucht auf eine höchst ungebührliche Weise übertrieben; aber daß sie diese Pflicht anerkennen, muß uns. deren Staatsmänner und Diplomaten an so Etwas nicht denken können, weil sie ganz andere Dinge zu thun haben, in der That mit Neid erfüllen. Das zweite Motiv ist nicht so lobenswerth. England glaubt einen Krieg zwischen Frankreich und Preußen vorauszusehen, es glaubt, daß Preußen in diesem Fall auf seinen Beistand rechnet, und es will ihm nicht beistehen. Un¬ ermüdlich warnt es Preußen, auf das Aengstlichste jede Gelegenheit zu vermei- 30"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/245>, abgerufen am 01.07.2024.