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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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zum Theil wenigstens auch auf die Gegenpartei übergetragen werden. Nicht
immer ist es möglich, diese in einem Charakter zusammenzuschließen; es wird
häufig von Wichtigkeit, darzustellen, wie nach und nach von verschiedenen
Seiten an die Seele des Helden geschlagen wird. Und doch ist bereits der
Zuschauer, durch drei Acte beschäftigt und angeregt, auch anspruchsvoller
geworden, er fordert starke Wirkungen.. eine glänzende Darstellung. Nicht
dringend genug kann dem Dichter gerathen werden, den Kampf gegen
seine Helden in möglichst kleiner Zahl von Gestalten zusammenzufassen und
diese so gut auszustatten, als seine Kraft erlaubt; serner aber bei diesem Acte
alle Sorgfalt auf große Gesammtwirkung zu richten. Auch der Schluß
des vierten Actes bedarf noch dringender als der zweite Act kräftiges Zu¬
sammenfassen in ausgeführter Scene. -- Von dem Höhenpunkte des Stü¬
ckes bis zur Schlußkatastrophe in ununterbrochener Stufenfolge abwärts zu
führen, hat seine Bedenken. Es wird zuweilen nicht leicht sein, den Zu¬
schauer in der Spannung zu erhalten, welche der noch zweifelhafte Aus¬
gang eines Kampfes zu bereiten pflegt. Mächtig lastet die Wucht des
Verhängnisses auf dem Helden, lebhaft empfindet bereits der Hörer den wahr¬
scheinlichen Verlauf der Handlung. Da wird dem Dichter ein feines Kunst¬
mittel erlaubt sein, welches bereits den Alten nicht unbekannt war, und das
von Shakespeare mehrere Male meisterhaft benutzt wurde: den Weg zum
Untergange durch ein dazwischen geworfenes Moment zu unterbrechen, welches
die Möglichkeit einer glücklichen Lösung zu enthalten scheint. Es gehört frei¬
lich Takt und kluge Erfindung dazu dieses Mittel recht zu gebrauchen. Es
darf nicht zu unbedeutend werden, sonst verfehlt es die beabsichtigte Wir¬
kung; es muß sorgfältig aus den Grundbedingungen des Dramas, dem Haupt¬
zuge der Charaktere herausgearbeitet sein; es darf aber auch nicht zu breit
ausgeführt und so bedeutend erscheinen, daß es in der That die Stellung der
Parteien wesentlich verändert. Ueber der aufsteigenden Möglichkeit einer friedlichen
Lösung muß der Zuschauer immer die abwärts drängende Gewalt des Vergangenen
empfinden. Es hängt von dem Stoff ab, ob dieses Moment schon im vierten
oder im Anfang des fünften Acts seine retardirende Wirkung auszuüben hat.

Der letzte Act des Dramas hat die Aufgabe, die Resultate des Kampfes
noch einmal in einer wirksamen Schlußhandlung zu zeigen, in welcher die
Befangenheit der Hauptcharaktere durch eine energische Action aufgehoben
wird. Je mehr der Kampf ihr ganzes Leben ergriffen hat. desto folgerichtiger
wird die Vernichtung desselben sein.

Ueber ihrem Ende aber muß versöhnend und erhebend im Zuschauer die
Empfindung von dem Vernünftigen und Nothwendigen solches Untergangs
lebendig werden. Dies ist nur dann möglich, wenn durch das Geschick der Helden
eine wirkliche Ausgleichung der kämpfenden Gegensätze hervorgebracht wird. Was


zum Theil wenigstens auch auf die Gegenpartei übergetragen werden. Nicht
immer ist es möglich, diese in einem Charakter zusammenzuschließen; es wird
häufig von Wichtigkeit, darzustellen, wie nach und nach von verschiedenen
Seiten an die Seele des Helden geschlagen wird. Und doch ist bereits der
Zuschauer, durch drei Acte beschäftigt und angeregt, auch anspruchsvoller
geworden, er fordert starke Wirkungen.. eine glänzende Darstellung. Nicht
dringend genug kann dem Dichter gerathen werden, den Kampf gegen
seine Helden in möglichst kleiner Zahl von Gestalten zusammenzufassen und
diese so gut auszustatten, als seine Kraft erlaubt; serner aber bei diesem Acte
alle Sorgfalt auf große Gesammtwirkung zu richten. Auch der Schluß
des vierten Actes bedarf noch dringender als der zweite Act kräftiges Zu¬
sammenfassen in ausgeführter Scene. — Von dem Höhenpunkte des Stü¬
ckes bis zur Schlußkatastrophe in ununterbrochener Stufenfolge abwärts zu
führen, hat seine Bedenken. Es wird zuweilen nicht leicht sein, den Zu¬
schauer in der Spannung zu erhalten, welche der noch zweifelhafte Aus¬
gang eines Kampfes zu bereiten pflegt. Mächtig lastet die Wucht des
Verhängnisses auf dem Helden, lebhaft empfindet bereits der Hörer den wahr¬
scheinlichen Verlauf der Handlung. Da wird dem Dichter ein feines Kunst¬
mittel erlaubt sein, welches bereits den Alten nicht unbekannt war, und das
von Shakespeare mehrere Male meisterhaft benutzt wurde: den Weg zum
Untergange durch ein dazwischen geworfenes Moment zu unterbrechen, welches
die Möglichkeit einer glücklichen Lösung zu enthalten scheint. Es gehört frei¬
lich Takt und kluge Erfindung dazu dieses Mittel recht zu gebrauchen. Es
darf nicht zu unbedeutend werden, sonst verfehlt es die beabsichtigte Wir¬
kung; es muß sorgfältig aus den Grundbedingungen des Dramas, dem Haupt¬
zuge der Charaktere herausgearbeitet sein; es darf aber auch nicht zu breit
ausgeführt und so bedeutend erscheinen, daß es in der That die Stellung der
Parteien wesentlich verändert. Ueber der aufsteigenden Möglichkeit einer friedlichen
Lösung muß der Zuschauer immer die abwärts drängende Gewalt des Vergangenen
empfinden. Es hängt von dem Stoff ab, ob dieses Moment schon im vierten
oder im Anfang des fünften Acts seine retardirende Wirkung auszuüben hat.

Der letzte Act des Dramas hat die Aufgabe, die Resultate des Kampfes
noch einmal in einer wirksamen Schlußhandlung zu zeigen, in welcher die
Befangenheit der Hauptcharaktere durch eine energische Action aufgehoben
wird. Je mehr der Kampf ihr ganzes Leben ergriffen hat. desto folgerichtiger
wird die Vernichtung desselben sein.

Ueber ihrem Ende aber muß versöhnend und erhebend im Zuschauer die
Empfindung von dem Vernünftigen und Nothwendigen solches Untergangs
lebendig werden. Dies ist nur dann möglich, wenn durch das Geschick der Helden
eine wirkliche Ausgleichung der kämpfenden Gegensätze hervorgebracht wird. Was


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/234>, abgerufen am 24.08.2024.