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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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die Krystallisation vermittelst einer einheitlichen Idee brauchbar. Und hierbei ist
zu bemerken, daß auch die geschichtlichen Stoffe allerdings schon eine Organisation
haben, nur keine künstlerische. Auch in ihnen ist die Erzählung, alles Detail bereits
nach bestimmten Gesichtspunkten geordnet; bereits künstlerisch aber, nur nicht dra¬
matisch, ist die Umformung, welche der Stoff in Sage, Märchen, einer Erzäh¬
lung erhalten hat. Der Untergang Wallenstein's z. B. wird als geschichtlicher Stoff
nach den Zwecken des Historikers gruppirt, er kann bei lebendiger Darstellung der
wirklichen Sachverhältnisse ein imponirendes Bild von der allmäligen Ent¬
wicklung des Abfalls in Wallensteins Seele geben, und der Totaleindruck der
gesammten Erzählung mag ein gewaltiger sein; für den dramatischen Dichter
ist diese Organisation des Stoffs nicht zu brauchen, außer sofern sie ihm das
Verständniß der Begebenheit erleichtert. Gesetzt nun, bei der Lectüre wird
ihm durch charaktrrifirende Züge die Person des finstern Feldherrn interessant,
er empfindet aus dem Berichte lebhaft den innern Zusammenhang von Schuld
und Strafe, ein menschlich^ Rührendes oder Erhebendes in dem Charakter und fer¬
nem Schicksal; sofort beginnt in ihm der Proceß des Umbildens damit, daß sich
ihm über der historischen Idee eine poetische erhebt, welche den Cha-,
rakter Wallensteins und der übrigen Personen modificirt, die historische Erzäh¬
lung zu einer Handlung umformt, das Innere des Helden und der ihn. um¬
gebenden Charaktere in einzelnen dramatischen Situationen dem Publicum nach
außen kehrt. Es wird dabei von der Persönlichkeit des Dichters abhängen,
ob den ersten Neiz zu solcher poetischen Production imponirende Charakterzüge
der Menschen, oder das Schlagende des tragischen Geschickes, oder vielleicht
gar die interessante Zeitfarbe abgibt, welche er schon in dem historischen Be¬
ucht vorfindet. -- Von dem Augenblick aber, wo ihm der Neiz und die Wärme
gekommen sind, deren er zum Schaffen bedarf, verfährt er. wie treu er sich
auch scheinbar an den historischen Stoff anlehne, doch in der That mit sou-
verainer Freiheit. Er verwandelt alles für ihn brauchbare Material in dra¬
matische Momente.

Das Dramatische nun ist zuerst die Darstellung solcher Seelenbcwegungen,
Welche kräftig in Wort. Mimik, That, aus dem Innern herausbrechen, also Dar¬
stellung des geistigen Processes, in welchem der Mensch vom Gefühl zur Leiden¬
schaft, von der Leidenschaft zum Begehren und zum Handeln getrieben wird, ein
Ausströmen der Lebenskraft aus dem innersten Gemüth nach der Außenwelt,
also das Werden einer Action; - ferner aber die Darstellung der Momente
der Action selbst, das heißt die Einwirkung der That auf die Umgebung des
Helden. Beide Richtungen, in denen das Dramatische sich äußert, sind aller¬
dings nicht grundverschieden. Auch während der Held in der vollen Spannung
und in der Arbeit erscheint, sein Inneres nach außen zu wenden, steht er nicht iso-
lirt, die Umgebung wirkt beständig fördernd und hemmend in seine leiden-


die Krystallisation vermittelst einer einheitlichen Idee brauchbar. Und hierbei ist
zu bemerken, daß auch die geschichtlichen Stoffe allerdings schon eine Organisation
haben, nur keine künstlerische. Auch in ihnen ist die Erzählung, alles Detail bereits
nach bestimmten Gesichtspunkten geordnet; bereits künstlerisch aber, nur nicht dra¬
matisch, ist die Umformung, welche der Stoff in Sage, Märchen, einer Erzäh¬
lung erhalten hat. Der Untergang Wallenstein's z. B. wird als geschichtlicher Stoff
nach den Zwecken des Historikers gruppirt, er kann bei lebendiger Darstellung der
wirklichen Sachverhältnisse ein imponirendes Bild von der allmäligen Ent¬
wicklung des Abfalls in Wallensteins Seele geben, und der Totaleindruck der
gesammten Erzählung mag ein gewaltiger sein; für den dramatischen Dichter
ist diese Organisation des Stoffs nicht zu brauchen, außer sofern sie ihm das
Verständniß der Begebenheit erleichtert. Gesetzt nun, bei der Lectüre wird
ihm durch charaktrrifirende Züge die Person des finstern Feldherrn interessant,
er empfindet aus dem Berichte lebhaft den innern Zusammenhang von Schuld
und Strafe, ein menschlich^ Rührendes oder Erhebendes in dem Charakter und fer¬
nem Schicksal; sofort beginnt in ihm der Proceß des Umbildens damit, daß sich
ihm über der historischen Idee eine poetische erhebt, welche den Cha-,
rakter Wallensteins und der übrigen Personen modificirt, die historische Erzäh¬
lung zu einer Handlung umformt, das Innere des Helden und der ihn. um¬
gebenden Charaktere in einzelnen dramatischen Situationen dem Publicum nach
außen kehrt. Es wird dabei von der Persönlichkeit des Dichters abhängen,
ob den ersten Neiz zu solcher poetischen Production imponirende Charakterzüge
der Menschen, oder das Schlagende des tragischen Geschickes, oder vielleicht
gar die interessante Zeitfarbe abgibt, welche er schon in dem historischen Be¬
ucht vorfindet. — Von dem Augenblick aber, wo ihm der Neiz und die Wärme
gekommen sind, deren er zum Schaffen bedarf, verfährt er. wie treu er sich
auch scheinbar an den historischen Stoff anlehne, doch in der That mit sou-
verainer Freiheit. Er verwandelt alles für ihn brauchbare Material in dra¬
matische Momente.

Das Dramatische nun ist zuerst die Darstellung solcher Seelenbcwegungen,
Welche kräftig in Wort. Mimik, That, aus dem Innern herausbrechen, also Dar¬
stellung des geistigen Processes, in welchem der Mensch vom Gefühl zur Leiden¬
schaft, von der Leidenschaft zum Begehren und zum Handeln getrieben wird, ein
Ausströmen der Lebenskraft aus dem innersten Gemüth nach der Außenwelt,
also das Werden einer Action; - ferner aber die Darstellung der Momente
der Action selbst, das heißt die Einwirkung der That auf die Umgebung des
Helden. Beide Richtungen, in denen das Dramatische sich äußert, sind aller¬
dings nicht grundverschieden. Auch während der Held in der vollen Spannung
und in der Arbeit erscheint, sein Inneres nach außen zu wenden, steht er nicht iso-
lirt, die Umgebung wirkt beständig fördernd und hemmend in seine leiden-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/231>, abgerufen am 02.07.2024.