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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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eine andere Weise verkehren muß, wenn man es, was über kurz oder lang
doch geschehen wird, einmal braucht. Wir sind wahrhaftig nicht gemeint, der
Einmischung persönlicher Motiven in die Politik das Wort zu reden, aber
Lord John ist doch am Ende alt genug, um die Welt und die Menschen zu
kennen, um einzusehen, daß der Weg. den er einschlägt, leicht dahin führen
kann. Preußen entweder in die heilige Allianz oder in ein französisches Bünd-
niß zu treiben. Beides würde den Engländern nicht bequem sein.

Auch die preußische Regierung sollte sich diesen Vorfall zu Herzen nehmen.
Glücklicherweise .sind in diesem Fall' die Behörden vollständig in ihrem Recht
gewesen, aber unsere Einrichtungen sind noch keineswegs von der Art. daß
man in jedem Collisionsfall dafür stehen könnte. Zwar find eigentlich die
Gesetze und die polizeilichen Institutionen um der Inländer willen da. aber
die Möglichkeit eines Conflicts mit dem Ausland kann doch zur Beschleuni¬
gung der Reform ein neues Motiv geben. Die unglückselige Angelegenheit
der Berliner Polizei hat nicht wenig beigetragen, den Ruf Preußens im Aus¬
land zu untergraben und Lord John zu jener Taktlosigkeit zu verleiten.
Dinge wie in Berlin kommen überall vor; sobald sie aber einmal öffentlich
bekannt sind, und die Regierung weder die Kraft noch den Willen zeigt, ihnen
abzuhelfen, so kann man sich bei einem Lord, dessen Kenntniß des Auslandes
nicht übertrieben ist, erklären, wenn er die preußischen Zustände ungefähr auf
einem Fuß mit den alt-neapolitanischen behandelt.

Auch die zahlreichen Conflicte zwischen Militär und Volk sind den
Engländern nicht unbekannt geblieben. Wenn ein Engländer die Expcctorationen
der "Militärischen Blätter" über das Verhältniß dieser beiden Stände liest, so
kann man es ihm wahrlich nicht verargen, wenn er sich nach Neapel versetzt
glaubt. Daß neulich den Herren Officieren der Befehl Friedrich Wilhelm III.
>n Erinnerung gebracht ist, genügt noch nicht. Preußen, heißt es, soll mora¬
lische Eroberungen in Deutschland machen: was man mit Hilfe unserer
Officiere bis jetzt sür Eroberungen gemacht hat. zeigen u. a. die Verhandlungen
des Gothaischen Landtags über Herrn von Witzleben. Sobald der all¬
gemein verbreiteten und nur zu gegründeten Meinung, daß das preußische
Heer selbstständige Politik treibe,'nicht gründlich vorgebaut wird, kann es
keinem Nichtpreuhen einfallen, eine nähere Verbindung mit diesem Staat zu
wünschen.

Die Sache ist sehr ernst und muß im gegenwärtigen Augenblick ent¬
schieden werden. Die Verhandlung über die Militärvorlagen im Abgeord-
"etenimusc steht nähe bevor. Zwar hoffen wir, daß sich die Möglichkeit
^ner nicht unbedeutenden Ermäßigung herausstellen wird, aber trotz der
"enen ungeheuren Last, die diese Neuerung dem Volk aufbürdet, glauben
w^ doch, daß man sie für den Augenblick nicht ablehnen kann, ohne den


eine andere Weise verkehren muß, wenn man es, was über kurz oder lang
doch geschehen wird, einmal braucht. Wir sind wahrhaftig nicht gemeint, der
Einmischung persönlicher Motiven in die Politik das Wort zu reden, aber
Lord John ist doch am Ende alt genug, um die Welt und die Menschen zu
kennen, um einzusehen, daß der Weg. den er einschlägt, leicht dahin führen
kann. Preußen entweder in die heilige Allianz oder in ein französisches Bünd-
niß zu treiben. Beides würde den Engländern nicht bequem sein.

Auch die preußische Regierung sollte sich diesen Vorfall zu Herzen nehmen.
Glücklicherweise .sind in diesem Fall' die Behörden vollständig in ihrem Recht
gewesen, aber unsere Einrichtungen sind noch keineswegs von der Art. daß
man in jedem Collisionsfall dafür stehen könnte. Zwar find eigentlich die
Gesetze und die polizeilichen Institutionen um der Inländer willen da. aber
die Möglichkeit eines Conflicts mit dem Ausland kann doch zur Beschleuni¬
gung der Reform ein neues Motiv geben. Die unglückselige Angelegenheit
der Berliner Polizei hat nicht wenig beigetragen, den Ruf Preußens im Aus¬
land zu untergraben und Lord John zu jener Taktlosigkeit zu verleiten.
Dinge wie in Berlin kommen überall vor; sobald sie aber einmal öffentlich
bekannt sind, und die Regierung weder die Kraft noch den Willen zeigt, ihnen
abzuhelfen, so kann man sich bei einem Lord, dessen Kenntniß des Auslandes
nicht übertrieben ist, erklären, wenn er die preußischen Zustände ungefähr auf
einem Fuß mit den alt-neapolitanischen behandelt.

Auch die zahlreichen Conflicte zwischen Militär und Volk sind den
Engländern nicht unbekannt geblieben. Wenn ein Engländer die Expcctorationen
der „Militärischen Blätter" über das Verhältniß dieser beiden Stände liest, so
kann man es ihm wahrlich nicht verargen, wenn er sich nach Neapel versetzt
glaubt. Daß neulich den Herren Officieren der Befehl Friedrich Wilhelm III.
>n Erinnerung gebracht ist, genügt noch nicht. Preußen, heißt es, soll mora¬
lische Eroberungen in Deutschland machen: was man mit Hilfe unserer
Officiere bis jetzt sür Eroberungen gemacht hat. zeigen u. a. die Verhandlungen
des Gothaischen Landtags über Herrn von Witzleben. Sobald der all¬
gemein verbreiteten und nur zu gegründeten Meinung, daß das preußische
Heer selbstständige Politik treibe,'nicht gründlich vorgebaut wird, kann es
keinem Nichtpreuhen einfallen, eine nähere Verbindung mit diesem Staat zu
wünschen.

Die Sache ist sehr ernst und muß im gegenwärtigen Augenblick ent¬
schieden werden. Die Verhandlung über die Militärvorlagen im Abgeord-
"etenimusc steht nähe bevor. Zwar hoffen wir, daß sich die Möglichkeit
^ner nicht unbedeutenden Ermäßigung herausstellen wird, aber trotz der
"enen ungeheuren Last, die diese Neuerung dem Volk aufbürdet, glauben
w^ doch, daß man sie für den Augenblick nicht ablehnen kann, ohne den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/207>, abgerufen am 01.07.2024.