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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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ländlichen Bevölkerung, also der großen Masse, hervorzurufen. Was nicht
ausbleiben konnte, ist nicht ausgeblieben, nämlich eine große Unzufriedenheit
und theilweise Erbitterung der Bevölkerung gegen die dänische Regierung.
Es ist diese Unzufriedenheit aber keine andere, als sie in Dänemark statthaben
würde, wenn die Regierung dort die Einwohner drückte. Das Gefühl, dä¬
nische Schleswiger sein und bleiben zu wollen, ist so tief eingewurzelt, daß
selbst jetzt den Leuten nicht der Gedanke gekommen ist, es könnte ihnen viel¬
leicht besser gehen, wenn sie unter der deutschen Herrschaft Schleswig-Holsteins
ständen. Es ist schon oben bemerkt worden, daß südlich der,Linie Bau, Me-
delby, Hoyer förmlich wie abgeschnitten deutsches Bewußtsein dem entnatio-
nalisirten dänischen Gefühl des Nordens entgegensteht. Aus diesem Verhält¬
niß wird sich allmälig von selbst eine schärfere Abgrenzung herausbüden und
eine völlige Trennung des nördlichen Schleswigs vom südlichen Theil heraus¬
stellen, denn während im Norden ohne alles Widerstreben der junge Nach¬
wuchs sich in die von der Regierung herbeigeführten Verhältnisse hineinlebt
und durch dieselbe mit allen Mitteln, selbst unsittlichen, von allen divergiren-
den Gedanken abgehalten wird, findet im Süden das gerade Gegentheil
Statt; die Jugend, aufgemuntert von der ältern Generation, beharrt in ihrem
Widerstande gegen alles Dänische und faßt die vorhandenen Gegensätze mit
ungleich viel größerer Schärfe auf, als die Alten. Innerhalb eines gar kur¬
zen Zeitraumes wird, wenn die Verhältnisse so bleiben, wie sie sind, zwischen
dem Süd-Schleswiger und Nord-Schleswiger derselbe Unterschied sein, wil
zwischen dem Holsteiner und Dänen. '

Daß diesem so sei, wird von der dänischen Regierung nichts verabsäumt.
Kein Blatt erscheint in Nord-Schleswig, welches nicht Hand in Hand mit der
Regierung geht. Die gelehrte deutsche Schule in Hadersleben ist aufgehoben
und an deren Stelle eine solche dänische errichtet worden, in welcher die
deutsche Sprache wie eine ausländische behandelt wird; wie der Unterricht lo
Französischen auf Dänisch ertheilt wird, so wird auch Deutsch aus Dänisch
gelehrt. Die Geistlichkeit im ganzen Norden Schleswigs hält zahlreiche soge¬
nannte Missionsstunden ab, in denen jedoch lediglich dänische Politik getrieben
wird. Um die Bevölkerung in ihrem Materialismus so sest wie möglich zu
binden, hat man es sogar nicht verschmäht, in Hadersleben, einer Stadt von
7000 Einwohnern, ein vom Ministerium concessionirtes Bordell zu errichten,
ein Institut, welches vor dem Kriege und während desselben in den Herzog-
thümern unbekannt war und auch noch nicht in Holstein vorkommt. noto¬
risch ist es, daß das Bordell, in welchem zehn Mädchen gehalten werden, fast
ausschließlich von den dänischen Beamten der Stadt und des Amtes und lei¬
der von den jungen Leuten des flachen Landes frequentirt wird; hiermit ist
die Absicht, welche der Einführung des Lordells zum Grunde liegt, erreicht'


ländlichen Bevölkerung, also der großen Masse, hervorzurufen. Was nicht
ausbleiben konnte, ist nicht ausgeblieben, nämlich eine große Unzufriedenheit
und theilweise Erbitterung der Bevölkerung gegen die dänische Regierung.
Es ist diese Unzufriedenheit aber keine andere, als sie in Dänemark statthaben
würde, wenn die Regierung dort die Einwohner drückte. Das Gefühl, dä¬
nische Schleswiger sein und bleiben zu wollen, ist so tief eingewurzelt, daß
selbst jetzt den Leuten nicht der Gedanke gekommen ist, es könnte ihnen viel¬
leicht besser gehen, wenn sie unter der deutschen Herrschaft Schleswig-Holsteins
ständen. Es ist schon oben bemerkt worden, daß südlich der,Linie Bau, Me-
delby, Hoyer förmlich wie abgeschnitten deutsches Bewußtsein dem entnatio-
nalisirten dänischen Gefühl des Nordens entgegensteht. Aus diesem Verhält¬
niß wird sich allmälig von selbst eine schärfere Abgrenzung herausbüden und
eine völlige Trennung des nördlichen Schleswigs vom südlichen Theil heraus¬
stellen, denn während im Norden ohne alles Widerstreben der junge Nach¬
wuchs sich in die von der Regierung herbeigeführten Verhältnisse hineinlebt
und durch dieselbe mit allen Mitteln, selbst unsittlichen, von allen divergiren-
den Gedanken abgehalten wird, findet im Süden das gerade Gegentheil
Statt; die Jugend, aufgemuntert von der ältern Generation, beharrt in ihrem
Widerstande gegen alles Dänische und faßt die vorhandenen Gegensätze mit
ungleich viel größerer Schärfe auf, als die Alten. Innerhalb eines gar kur¬
zen Zeitraumes wird, wenn die Verhältnisse so bleiben, wie sie sind, zwischen
dem Süd-Schleswiger und Nord-Schleswiger derselbe Unterschied sein, wil
zwischen dem Holsteiner und Dänen. '

Daß diesem so sei, wird von der dänischen Regierung nichts verabsäumt.
Kein Blatt erscheint in Nord-Schleswig, welches nicht Hand in Hand mit der
Regierung geht. Die gelehrte deutsche Schule in Hadersleben ist aufgehoben
und an deren Stelle eine solche dänische errichtet worden, in welcher die
deutsche Sprache wie eine ausländische behandelt wird; wie der Unterricht lo
Französischen auf Dänisch ertheilt wird, so wird auch Deutsch aus Dänisch
gelehrt. Die Geistlichkeit im ganzen Norden Schleswigs hält zahlreiche soge¬
nannte Missionsstunden ab, in denen jedoch lediglich dänische Politik getrieben
wird. Um die Bevölkerung in ihrem Materialismus so sest wie möglich zu
binden, hat man es sogar nicht verschmäht, in Hadersleben, einer Stadt von
7000 Einwohnern, ein vom Ministerium concessionirtes Bordell zu errichten,
ein Institut, welches vor dem Kriege und während desselben in den Herzog-
thümern unbekannt war und auch noch nicht in Holstein vorkommt. noto¬
risch ist es, daß das Bordell, in welchem zehn Mädchen gehalten werden, fast
ausschließlich von den dänischen Beamten der Stadt und des Amtes und lei¬
der von den jungen Leuten des flachen Landes frequentirt wird; hiermit ist
die Absicht, welche der Einführung des Lordells zum Grunde liegt, erreicht'


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[0174] ländlichen Bevölkerung, also der großen Masse, hervorzurufen. Was nicht ausbleiben konnte, ist nicht ausgeblieben, nämlich eine große Unzufriedenheit und theilweise Erbitterung der Bevölkerung gegen die dänische Regierung. Es ist diese Unzufriedenheit aber keine andere, als sie in Dänemark statthaben würde, wenn die Regierung dort die Einwohner drückte. Das Gefühl, dä¬ nische Schleswiger sein und bleiben zu wollen, ist so tief eingewurzelt, daß selbst jetzt den Leuten nicht der Gedanke gekommen ist, es könnte ihnen viel¬ leicht besser gehen, wenn sie unter der deutschen Herrschaft Schleswig-Holsteins ständen. Es ist schon oben bemerkt worden, daß südlich der,Linie Bau, Me- delby, Hoyer förmlich wie abgeschnitten deutsches Bewußtsein dem entnatio- nalisirten dänischen Gefühl des Nordens entgegensteht. Aus diesem Verhält¬ niß wird sich allmälig von selbst eine schärfere Abgrenzung herausbüden und eine völlige Trennung des nördlichen Schleswigs vom südlichen Theil heraus¬ stellen, denn während im Norden ohne alles Widerstreben der junge Nach¬ wuchs sich in die von der Regierung herbeigeführten Verhältnisse hineinlebt und durch dieselbe mit allen Mitteln, selbst unsittlichen, von allen divergiren- den Gedanken abgehalten wird, findet im Süden das gerade Gegentheil Statt; die Jugend, aufgemuntert von der ältern Generation, beharrt in ihrem Widerstande gegen alles Dänische und faßt die vorhandenen Gegensätze mit ungleich viel größerer Schärfe auf, als die Alten. Innerhalb eines gar kur¬ zen Zeitraumes wird, wenn die Verhältnisse so bleiben, wie sie sind, zwischen dem Süd-Schleswiger und Nord-Schleswiger derselbe Unterschied sein, wil zwischen dem Holsteiner und Dänen. ' Daß diesem so sei, wird von der dänischen Regierung nichts verabsäumt. Kein Blatt erscheint in Nord-Schleswig, welches nicht Hand in Hand mit der Regierung geht. Die gelehrte deutsche Schule in Hadersleben ist aufgehoben und an deren Stelle eine solche dänische errichtet worden, in welcher die deutsche Sprache wie eine ausländische behandelt wird; wie der Unterricht lo Französischen auf Dänisch ertheilt wird, so wird auch Deutsch aus Dänisch gelehrt. Die Geistlichkeit im ganzen Norden Schleswigs hält zahlreiche soge¬ nannte Missionsstunden ab, in denen jedoch lediglich dänische Politik getrieben wird. Um die Bevölkerung in ihrem Materialismus so sest wie möglich zu binden, hat man es sogar nicht verschmäht, in Hadersleben, einer Stadt von 7000 Einwohnern, ein vom Ministerium concessionirtes Bordell zu errichten, ein Institut, welches vor dem Kriege und während desselben in den Herzog- thümern unbekannt war und auch noch nicht in Holstein vorkommt. noto¬ risch ist es, daß das Bordell, in welchem zehn Mädchen gehalten werden, fast ausschließlich von den dänischen Beamten der Stadt und des Amtes und lei¬ der von den jungen Leuten des flachen Landes frequentirt wird; hiermit ist die Absicht, welche der Einführung des Lordells zum Grunde liegt, erreicht'

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/174>, abgerufen am 26.06.2024.