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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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für das kurhessische Volk wird sich nicht abschwächen; wol aber die Hin¬
neigung zu Preußen.

Die preußische Regierung wähne nicht etwa, der Nationalverein gehe
von vornherein von preußischen Sympathien aus. Für den Natwnalvcrein
^- wie auch für die Paulskirche -- ist der Anschluß an Preußen ein I>is-all6r;
es bleibt vor der Hand nichts Anderes übrig. Die intelligenten Führer
desselben sehen freilich weiter, sie sehen, daß überhaupt nichts Anderes übrig
bleibt; aber die Masse? --

Gesetzt, Oestreich, das ja in den letzten Monate", eine Reihe über¬
raschender Entschlüsse gefaßt hat. entschlösse sich noch dazu, zur Abwechse¬
lung einmal die roth-schwarz-goldne Fahne aufzustecken -- warum nicht? Eine
Farbe mehr, was will das sagen! -- Sofort stimmen die Darmstädter
Pflichtschuldigst ein. und die Masse, die immer nur durch Stichwörter regiert
wird, jubelt eiligst dem neuen Stichwort entgegen. -- Dann ist Preußen wie¬
der in der traurigen Lage, der Renitent zu sein.

Es würde zwar bei diesem Versuch wieder nichts herauskommen, denn
weder Oestreich noch die Darmstädter können jemals ernstlich eine Centralisa¬
tion wollen; aber die nächste Folge: Abwendung der Liberalen von Preußen,
Bildung einer neuen demokratischen oder vielmehr revolutionären Partei,
völlige Jsolirung der preußischen Regierung, bliebe doch schlimm genug,
namentlich in den Gefahren, die sich immer näher anzeigen.

Und dahin kommt es über kurz oder lang, sobald die preußische Regierung sich
dem bisherigen Zwitterstand nicht entreißt, offen mit der Reaction bricht
(Reform des Herrenhauses!) und die Leitung, d. h. auch die Mäßigung der
national-freisinnigen Bewegung in die Hand nimmt.

In Bezug auf das Ausland verdienen einige Facta Beherzigung. -- Die
neue Wendung der Dinge in Warschau beschwichtigt zwar die Besorgniß, hinter
dem Ganzen stecke eine russisch-französische Intrigue; immer aber bleibt es noch
une ernste Frage: wie die russische Negierung es so weit har kommen lassen?
^ Der Armeebefehl des General Benedek könnte den "liberalen" Deutsch-
Oestreickern, die noch nicht ganz in Phrasen aufgegangen, zeigen, wem sie
durch ihre leidenschaftliche Opposition gegen Ungarn in die Hände arbeiten:
^ ob es freilich solche gibt? -- Die Erklärung des abgedankter dänischen
Ministers R aaslös muß ganz Europa die Augen über die Moralität der
waßgebenden dänischen Kreise öffnen; so etwas ist schlechthin im europäischen


für das kurhessische Volk wird sich nicht abschwächen; wol aber die Hin¬
neigung zu Preußen.

Die preußische Regierung wähne nicht etwa, der Nationalverein gehe
von vornherein von preußischen Sympathien aus. Für den Natwnalvcrein
^- wie auch für die Paulskirche — ist der Anschluß an Preußen ein I>is-all6r;
es bleibt vor der Hand nichts Anderes übrig. Die intelligenten Führer
desselben sehen freilich weiter, sie sehen, daß überhaupt nichts Anderes übrig
bleibt; aber die Masse? —

Gesetzt, Oestreich, das ja in den letzten Monate«, eine Reihe über¬
raschender Entschlüsse gefaßt hat. entschlösse sich noch dazu, zur Abwechse¬
lung einmal die roth-schwarz-goldne Fahne aufzustecken — warum nicht? Eine
Farbe mehr, was will das sagen! — Sofort stimmen die Darmstädter
Pflichtschuldigst ein. und die Masse, die immer nur durch Stichwörter regiert
wird, jubelt eiligst dem neuen Stichwort entgegen. — Dann ist Preußen wie¬
der in der traurigen Lage, der Renitent zu sein.

Es würde zwar bei diesem Versuch wieder nichts herauskommen, denn
weder Oestreich noch die Darmstädter können jemals ernstlich eine Centralisa¬
tion wollen; aber die nächste Folge: Abwendung der Liberalen von Preußen,
Bildung einer neuen demokratischen oder vielmehr revolutionären Partei,
völlige Jsolirung der preußischen Regierung, bliebe doch schlimm genug,
namentlich in den Gefahren, die sich immer näher anzeigen.

Und dahin kommt es über kurz oder lang, sobald die preußische Regierung sich
dem bisherigen Zwitterstand nicht entreißt, offen mit der Reaction bricht
(Reform des Herrenhauses!) und die Leitung, d. h. auch die Mäßigung der
national-freisinnigen Bewegung in die Hand nimmt.

In Bezug auf das Ausland verdienen einige Facta Beherzigung. — Die
neue Wendung der Dinge in Warschau beschwichtigt zwar die Besorgniß, hinter
dem Ganzen stecke eine russisch-französische Intrigue; immer aber bleibt es noch
une ernste Frage: wie die russische Negierung es so weit har kommen lassen?
^ Der Armeebefehl des General Benedek könnte den „liberalen" Deutsch-
Oestreickern, die noch nicht ganz in Phrasen aufgegangen, zeigen, wem sie
durch ihre leidenschaftliche Opposition gegen Ungarn in die Hände arbeiten:
^ ob es freilich solche gibt? — Die Erklärung des abgedankter dänischen
Ministers R aaslös muß ganz Europa die Augen über die Moralität der
waßgebenden dänischen Kreise öffnen; so etwas ist schlechthin im europäischen


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[0167] für das kurhessische Volk wird sich nicht abschwächen; wol aber die Hin¬ neigung zu Preußen. Die preußische Regierung wähne nicht etwa, der Nationalverein gehe von vornherein von preußischen Sympathien aus. Für den Natwnalvcrein ^- wie auch für die Paulskirche — ist der Anschluß an Preußen ein I>is-all6r; es bleibt vor der Hand nichts Anderes übrig. Die intelligenten Führer desselben sehen freilich weiter, sie sehen, daß überhaupt nichts Anderes übrig bleibt; aber die Masse? — Gesetzt, Oestreich, das ja in den letzten Monate«, eine Reihe über¬ raschender Entschlüsse gefaßt hat. entschlösse sich noch dazu, zur Abwechse¬ lung einmal die roth-schwarz-goldne Fahne aufzustecken — warum nicht? Eine Farbe mehr, was will das sagen! — Sofort stimmen die Darmstädter Pflichtschuldigst ein. und die Masse, die immer nur durch Stichwörter regiert wird, jubelt eiligst dem neuen Stichwort entgegen. — Dann ist Preußen wie¬ der in der traurigen Lage, der Renitent zu sein. Es würde zwar bei diesem Versuch wieder nichts herauskommen, denn weder Oestreich noch die Darmstädter können jemals ernstlich eine Centralisa¬ tion wollen; aber die nächste Folge: Abwendung der Liberalen von Preußen, Bildung einer neuen demokratischen oder vielmehr revolutionären Partei, völlige Jsolirung der preußischen Regierung, bliebe doch schlimm genug, namentlich in den Gefahren, die sich immer näher anzeigen. Und dahin kommt es über kurz oder lang, sobald die preußische Regierung sich dem bisherigen Zwitterstand nicht entreißt, offen mit der Reaction bricht (Reform des Herrenhauses!) und die Leitung, d. h. auch die Mäßigung der national-freisinnigen Bewegung in die Hand nimmt. In Bezug auf das Ausland verdienen einige Facta Beherzigung. — Die neue Wendung der Dinge in Warschau beschwichtigt zwar die Besorgniß, hinter dem Ganzen stecke eine russisch-französische Intrigue; immer aber bleibt es noch une ernste Frage: wie die russische Negierung es so weit har kommen lassen? ^ Der Armeebefehl des General Benedek könnte den „liberalen" Deutsch- Oestreickern, die noch nicht ganz in Phrasen aufgegangen, zeigen, wem sie durch ihre leidenschaftliche Opposition gegen Ungarn in die Hände arbeiten: ^ ob es freilich solche gibt? — Die Erklärung des abgedankter dänischen Ministers R aaslös muß ganz Europa die Augen über die Moralität der waßgebenden dänischen Kreise öffnen; so etwas ist schlechthin im europäischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/167>, abgerufen am 24.08.2024.