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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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so weit es ohne offenen Ungehorsam möglich ist, den Absichten der Regierung
entgegen. Ja sie gehen zuweilen noch weiter, und als Beleg dafür ist
uns die Schlippenbachsche Affaire ganz willkommen; nur muß Herr von
Schlcinitz nicht glauben, durch seine Erklärung. Insubordination sei uner¬
laubt, wäre die Sache abgemacht! das wissen wir lange; die Frage ist nur:
was thut das Ministerium, um diese Insubordination zu strafen und eine
weitere unmöglich zu machen? Sein ganzer Credit im Ausland (jetzt
äußerst schwach!) hängt davon ab! -- Noch immer betrachten ungestraft die
Chorführer der Kreuzzeitungspartci das Militär als einen Staat im Staate,
als eine Kaste von Eroberern, die nur ihren eigenen Gesetzen folgen, nicht
den bürgerlichen Gesetzen der Unterworfenen. Eine Reihe schreiender -- in ge¬
wissem Sinn entsetzlicher Fälle (denn sie erinnern an 1806) sind vorgekom¬
men; was hat das Ministerium gethan, um Remedur eintreten zu lassen? noch
dazu in einer Zeit, wo das Volk für das Militär neue, unerhörte Opfer brin¬
gen soll! -- Das Leben der Provinzen und der Kreise ist ganz in den Hän¬
den der Reaction, und hier wird jede Reform unmöglich, so lange sich der
Staat nicht des ewigen Hemmschuh's, des Herrenhauses, entledigt hat. --
Will die' preußische Negierung ihren ersten natürlichen Bundesgenossen, das
preußische Volk, gewinnen, so muß sie mit einer verfassungsmäßigen durch¬
greifenden Reform des Herrenhauses den Anfang machen: es ist das nicht
blos eine Frage der Freiheit und des Gesetzes, sondern eine Frage der
Macht.

Das deutsche Volk ist geneigt, unserer Regierung entgegen zu kommen,
weil noch der Eindruck des Jahres 1858 nachwirkt. Das deutsche Volk ist
jetzt ungefähr so weit, ihren guten Willen zu erkennen. -- Das deutsche Volk
zu gewinnen, hat die preußische Regierung zwei Hebel: Unterstützung unter¬
drückter Freiheiten im Inland, Vertretung deutscher Rechte und Interessen im
Ausland. -- Die kurhessische Angelegenheit ist in diesem Augenblick auf dem
besten Wege: die Abstimmung im sächsischen Landtag ist ein höchst charakte¬
ristisches Zeichen dafür. Diese große Majorität für die Verfassung von 1831
in einer Kammer, die durch einen harten Bruch mit dem Liberalismus zu
Stande gekommen ist und auf dem allerunbrauchbarsten Wahlgesetz beruht,
in einer Kammer, die von allen deutschen Kammern vielleicht am wenigsten
freie Bewegung hat, diese Abstimmung ist ein großes, ein schönes Zeichn
und muß dem sächsischen Volk hoch, angerechnet werden. -- Auch in Baivrn
war das Resultat, zwar nicht so correct, aber entschieden genug. -- Was
wird nun die preußische Regierung thun, um diese Stimmung zu benutzen?
Fortfahren zu schweigen? -- dann sind die gegenwärtigen Resultate bald
vergessen, und wir stehen inmitten einer ganz neuen Situation. Das Interesse


so weit es ohne offenen Ungehorsam möglich ist, den Absichten der Regierung
entgegen. Ja sie gehen zuweilen noch weiter, und als Beleg dafür ist
uns die Schlippenbachsche Affaire ganz willkommen; nur muß Herr von
Schlcinitz nicht glauben, durch seine Erklärung. Insubordination sei uner¬
laubt, wäre die Sache abgemacht! das wissen wir lange; die Frage ist nur:
was thut das Ministerium, um diese Insubordination zu strafen und eine
weitere unmöglich zu machen? Sein ganzer Credit im Ausland (jetzt
äußerst schwach!) hängt davon ab! — Noch immer betrachten ungestraft die
Chorführer der Kreuzzeitungspartci das Militär als einen Staat im Staate,
als eine Kaste von Eroberern, die nur ihren eigenen Gesetzen folgen, nicht
den bürgerlichen Gesetzen der Unterworfenen. Eine Reihe schreiender — in ge¬
wissem Sinn entsetzlicher Fälle (denn sie erinnern an 1806) sind vorgekom¬
men; was hat das Ministerium gethan, um Remedur eintreten zu lassen? noch
dazu in einer Zeit, wo das Volk für das Militär neue, unerhörte Opfer brin¬
gen soll! — Das Leben der Provinzen und der Kreise ist ganz in den Hän¬
den der Reaction, und hier wird jede Reform unmöglich, so lange sich der
Staat nicht des ewigen Hemmschuh's, des Herrenhauses, entledigt hat. —
Will die' preußische Negierung ihren ersten natürlichen Bundesgenossen, das
preußische Volk, gewinnen, so muß sie mit einer verfassungsmäßigen durch¬
greifenden Reform des Herrenhauses den Anfang machen: es ist das nicht
blos eine Frage der Freiheit und des Gesetzes, sondern eine Frage der
Macht.

Das deutsche Volk ist geneigt, unserer Regierung entgegen zu kommen,
weil noch der Eindruck des Jahres 1858 nachwirkt. Das deutsche Volk ist
jetzt ungefähr so weit, ihren guten Willen zu erkennen. — Das deutsche Volk
zu gewinnen, hat die preußische Regierung zwei Hebel: Unterstützung unter¬
drückter Freiheiten im Inland, Vertretung deutscher Rechte und Interessen im
Ausland. — Die kurhessische Angelegenheit ist in diesem Augenblick auf dem
besten Wege: die Abstimmung im sächsischen Landtag ist ein höchst charakte¬
ristisches Zeichen dafür. Diese große Majorität für die Verfassung von 1831
in einer Kammer, die durch einen harten Bruch mit dem Liberalismus zu
Stande gekommen ist und auf dem allerunbrauchbarsten Wahlgesetz beruht,
in einer Kammer, die von allen deutschen Kammern vielleicht am wenigsten
freie Bewegung hat, diese Abstimmung ist ein großes, ein schönes Zeichn
und muß dem sächsischen Volk hoch, angerechnet werden. — Auch in Baivrn
war das Resultat, zwar nicht so correct, aber entschieden genug. — Was
wird nun die preußische Regierung thun, um diese Stimmung zu benutzen?
Fortfahren zu schweigen? — dann sind die gegenwärtigen Resultate bald
vergessen, und wir stehen inmitten einer ganz neuen Situation. Das Interesse


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/166>, abgerufen am 24.08.2024.