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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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Siechensteig, So durste auch kein Gesunder das Siechenhaus betreten oder
einem Leprosen den Eingang in sein Haus gestatten.

Ludolf sagt, daß das dritte Lateranconcil von 1179 den Sondersiechen-
häusern gestattete, eigene Oratorien, wie Kirchhöfe und Kapläne zu haben.
Die Synode von Poitiers befahl schon 1280. daß die des Aussatzes Verdäch¬
tigen sich von Sachkundigen untersuchen lassen sollten. Zu Nagarol in der
Gciscogne wurde 1290 von den Bischöfen beschlossen, daß die Aussätzigen
der geistlichen Gerichtsbarkeit unterworfen sein sollen; 1303 wurde eben da¬
selbst verboten, von Aussätzigen in Siechenhäusern Steuern einzutreiben.
Hinsichtlich der Ehe sollte der nachfolgende Aussatz keine trennende Kraft mehr
haben -- so entschied Papst Alexander der Dritte 1180 in einem Reskripte an
den Erzbischof von Canterbury und an den Bischof von Bayonne -- vielmehr
solle daraus gewirkt werden, daß der gesunde Gatte mit dem kranken auch
fernerhin alle und jede Lebensgemeinschaft opferwillig theile und gerade in
der größten Noth und Verlassenheit mit hingebungsvoller Treue und Liebe
dem anderen zur Seite stehen. Ja selbst Aussätzige mögen die Ehe eingehen,
wenn anders Jemand mit ihnen in solche Verbindung treten will. Träfe der
Aussatz aber einen Kirchenvorsteher, so solle ihm ein Vicar gegeben werden.
Der 21. Canon des Conciles von Lavaux vom Jahre 1368 empfahl gegen
die Aussätzigen eine brüderliche Liebe zu hegen, doch sollen dieselben der An¬
steckung wegen abgesondert werden, und es soll ihnen strenge untersagt sein,
öffentliche Orte, Kirchen. Märkte. Plätze. Schlachthäuser. Weinschenken zu besuche";
gleichförmig soll ihre Kleidung sein, nicht von gestreiftem oder gefärbtem Tuche,
endlich sollen sie Haar und Bart geschoren haben. Durch Tracht und gewisse
Zeichen sollen sie jederzeit leicht erkennbar sein und nach ihrem Tode eine ab¬
gesonderte Ruhestätte erhalten. Von ergreifender Wirkung waren die Cere¬
monien, welche bei Aussonderung der Leprosen an vielen Orten, besonders in
Frankreich, beobachtet wurden. Martcne hat sie uns in "ve anticmis so
e!eLig,<z ritibus. lib. III. cax. 10 erhalten.

Je nachdem man diese Handlung mehr als eine Art Todtenfeier oder als
verwandt mit der Einweihung zum Klosterleben betrachtete, nahm der Ritus
eine eigenthümliche Färbung an. War an einem Individuum der Aussatz ge¬
setzlich- erwiesen, so hatte der Priester mit Trosteswortcn ihm die Absonderung
anzumelden. Mit Chorrock und Stola angethan, holte er dann zur bestimm¬
te" Zeit unter Vortragung des Kreuzes den "Lazarus" in seiner Wohnung
°b. um ihn in die Kirche zu führen. Da wohnte der Kranke, manchmal in
schwarzes Tuch gehüllt, am angewiesenen einsamen Posten dem heiligen Opfer
bei. das entweder nez Ketzuiem, ganz wie bei den Abgestorbenen, oder as
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sür die Kranken: auch gab es eine eigene für diesen Zweck abgefaßte Messe


Siechensteig, So durste auch kein Gesunder das Siechenhaus betreten oder
einem Leprosen den Eingang in sein Haus gestatten.

Ludolf sagt, daß das dritte Lateranconcil von 1179 den Sondersiechen-
häusern gestattete, eigene Oratorien, wie Kirchhöfe und Kapläne zu haben.
Die Synode von Poitiers befahl schon 1280. daß die des Aussatzes Verdäch¬
tigen sich von Sachkundigen untersuchen lassen sollten. Zu Nagarol in der
Gciscogne wurde 1290 von den Bischöfen beschlossen, daß die Aussätzigen
der geistlichen Gerichtsbarkeit unterworfen sein sollen; 1303 wurde eben da¬
selbst verboten, von Aussätzigen in Siechenhäusern Steuern einzutreiben.
Hinsichtlich der Ehe sollte der nachfolgende Aussatz keine trennende Kraft mehr
haben — so entschied Papst Alexander der Dritte 1180 in einem Reskripte an
den Erzbischof von Canterbury und an den Bischof von Bayonne — vielmehr
solle daraus gewirkt werden, daß der gesunde Gatte mit dem kranken auch
fernerhin alle und jede Lebensgemeinschaft opferwillig theile und gerade in
der größten Noth und Verlassenheit mit hingebungsvoller Treue und Liebe
dem anderen zur Seite stehen. Ja selbst Aussätzige mögen die Ehe eingehen,
wenn anders Jemand mit ihnen in solche Verbindung treten will. Träfe der
Aussatz aber einen Kirchenvorsteher, so solle ihm ein Vicar gegeben werden.
Der 21. Canon des Conciles von Lavaux vom Jahre 1368 empfahl gegen
die Aussätzigen eine brüderliche Liebe zu hegen, doch sollen dieselben der An¬
steckung wegen abgesondert werden, und es soll ihnen strenge untersagt sein,
öffentliche Orte, Kirchen. Märkte. Plätze. Schlachthäuser. Weinschenken zu besuche»;
gleichförmig soll ihre Kleidung sein, nicht von gestreiftem oder gefärbtem Tuche,
endlich sollen sie Haar und Bart geschoren haben. Durch Tracht und gewisse
Zeichen sollen sie jederzeit leicht erkennbar sein und nach ihrem Tode eine ab¬
gesonderte Ruhestätte erhalten. Von ergreifender Wirkung waren die Cere¬
monien, welche bei Aussonderung der Leprosen an vielen Orten, besonders in
Frankreich, beobachtet wurden. Martcne hat sie uns in „ve anticmis so
e!eLig,<z ritibus. lib. III. cax. 10 erhalten.

Je nachdem man diese Handlung mehr als eine Art Todtenfeier oder als
verwandt mit der Einweihung zum Klosterleben betrachtete, nahm der Ritus
eine eigenthümliche Färbung an. War an einem Individuum der Aussatz ge¬
setzlich- erwiesen, so hatte der Priester mit Trosteswortcn ihm die Absonderung
anzumelden. Mit Chorrock und Stola angethan, holte er dann zur bestimm¬
te" Zeit unter Vortragung des Kreuzes den „Lazarus" in seiner Wohnung
°b. um ihn in die Kirche zu führen. Da wohnte der Kranke, manchmal in
schwarzes Tuch gehüllt, am angewiesenen einsamen Posten dem heiligen Opfer
bei. das entweder nez Ketzuiem, ganz wie bei den Abgestorbenen, oder as
iewpoi-<z, lesw, as sMw s-Mew gelesen wurde, mit Einflechtung der Gebete
sür die Kranken: auch gab es eine eigene für diesen Zweck abgefaßte Messe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/161>, abgerufen am 26.06.2024.