Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

tadelnswerth sein, man soll Lob oder Tadel nur nicht an die unrechte Adresse
schicken. -- Oestreich läßt ergänz aus dem Spiel; über die Moralität, welche
die östreichische Negierung nachträglich entwickelte, nachdem sie durch Besetzung
des Zipser Comitats das erste Signal zum allgemeinen Zugreifen gegeben,
zuckt er ebenso die Achseln, wie über die sittliche Entrüstung im Allgemeinen.
-- Er sucht nur die Ansprüche Friedrichs und Katharinens auszugleichen,
nachzuweisen, daß der Gedanke von Friedrich ausging, von ihm aufs
Eifrigste betneben wurde; und daß Katharina nur nach großem Widerstreben,
gewissermaßen von Friedrich gezwungen, nachgab. -- Erscheint in früheren
Darstellungen Katharina als die intellektuelle Urheberin des Ganzen, so strahlt
sie nach dieser neuen Auffassung in der vollständigsten Unschuld.

Urkundlich ist der Beweis für diese Auffassung nicht vollständig geführt.
Soviel steht allerdings fest, daß nach dem 2. März I77l Friedrich der Trei¬
ber ist, Katharina sich treiben läßt; für die letztere unstreitig die dankbare
und gewinnreiche Rolle, denn sie konnte nun die Bedingungen stellen. -- Was
aber vorher, bei der Anwesenheit des Prinzen Heinrich in Se. Petersburg,
vorgefallen ist, das geht aus diesen Urkunden nicht deutlich hervor. -- Wenn
Herr von Smitt aus den Depeschen Ur. 5 und Ur. 6 nur beweisen will,
daß vorher noch nichts abgemacht war, daß also Friedrich das Odium
wurde, den förmlichen Antrag zu stellen, so hat er seinen Zweck erreicht; will
er aber mehr daraus herleiten, will er sagen, daß die Aeußerung Katharina's
am 8. Jan. 1771: Ug,is pourcMi Wut 1e monäs us xreuärait-it xg,s aussi?
nur ein scherzhafter Einfall war, so darf man ihm die Bemerkung des Prin¬
zen Heinrich entgegenhalten: yuoilMö eelg, u'6eg,it qu'un Zisevurs ac xlaisim-
terig, it est eere^in yue eola n'etM xas pour rien! (Schlözer S. 251) --
Gewiß nicht! An Klugheit war die russische Kaiserin ihrem damaligen Alliir-
ten völlig gewachsen, und wenn sie seinem Bruder so etwas sagte, so war es
nicht in die Luft gesprochen. -- Daß sie unter ihren Ministern immer einen
hatte, der heftig dafür, und einen, der heftig dagegen war: -- nun, meint
man denn etwa, daß Napoleon der Dritte die Politik erfunden hat? -- Wir
machen noch auf den Auszug aus dem Brief des Prinzen Heinrich (No. 38)
aufmerksam -- leider nur ein Auszug! der denn doch darauf hinzudeuten
scheint, daß schon damals der Prinz sich die Ehre des ersten Gedankens --
nicht Katharina sondern seinem Bruder gegenüber -- zu vindiciren sucht.

Die Methode, die Geschichte aus Urkunden zu schreiben, ist vollkommen
mehlig; nur muß man nicht erwarten, Alles in den Urkunden zu finden.
Kluge Männer haben zu allen Zeiten gewußt, daß, je weniger man von
seinen Absichten zu Papier bringt, je sicherer es ist; und wenn zwei mit ein¬
ander zu thun haben, so wird der Stärkere, wenn er klug ist, den Andern
stets in die Lage zu bringen wissen, der Briefsteller, der Treiber -- mit einem


16*

tadelnswerth sein, man soll Lob oder Tadel nur nicht an die unrechte Adresse
schicken. — Oestreich läßt ergänz aus dem Spiel; über die Moralität, welche
die östreichische Negierung nachträglich entwickelte, nachdem sie durch Besetzung
des Zipser Comitats das erste Signal zum allgemeinen Zugreifen gegeben,
zuckt er ebenso die Achseln, wie über die sittliche Entrüstung im Allgemeinen.
— Er sucht nur die Ansprüche Friedrichs und Katharinens auszugleichen,
nachzuweisen, daß der Gedanke von Friedrich ausging, von ihm aufs
Eifrigste betneben wurde; und daß Katharina nur nach großem Widerstreben,
gewissermaßen von Friedrich gezwungen, nachgab. — Erscheint in früheren
Darstellungen Katharina als die intellektuelle Urheberin des Ganzen, so strahlt
sie nach dieser neuen Auffassung in der vollständigsten Unschuld.

Urkundlich ist der Beweis für diese Auffassung nicht vollständig geführt.
Soviel steht allerdings fest, daß nach dem 2. März I77l Friedrich der Trei¬
ber ist, Katharina sich treiben läßt; für die letztere unstreitig die dankbare
und gewinnreiche Rolle, denn sie konnte nun die Bedingungen stellen. — Was
aber vorher, bei der Anwesenheit des Prinzen Heinrich in Se. Petersburg,
vorgefallen ist, das geht aus diesen Urkunden nicht deutlich hervor. — Wenn
Herr von Smitt aus den Depeschen Ur. 5 und Ur. 6 nur beweisen will,
daß vorher noch nichts abgemacht war, daß also Friedrich das Odium
wurde, den förmlichen Antrag zu stellen, so hat er seinen Zweck erreicht; will
er aber mehr daraus herleiten, will er sagen, daß die Aeußerung Katharina's
am 8. Jan. 1771: Ug,is pourcMi Wut 1e monäs us xreuärait-it xg,s aussi?
nur ein scherzhafter Einfall war, so darf man ihm die Bemerkung des Prin¬
zen Heinrich entgegenhalten: yuoilMö eelg, u'6eg,it qu'un Zisevurs ac xlaisim-
terig, it est eere^in yue eola n'etM xas pour rien! (Schlözer S. 251) —
Gewiß nicht! An Klugheit war die russische Kaiserin ihrem damaligen Alliir-
ten völlig gewachsen, und wenn sie seinem Bruder so etwas sagte, so war es
nicht in die Luft gesprochen. — Daß sie unter ihren Ministern immer einen
hatte, der heftig dafür, und einen, der heftig dagegen war: — nun, meint
man denn etwa, daß Napoleon der Dritte die Politik erfunden hat? — Wir
machen noch auf den Auszug aus dem Brief des Prinzen Heinrich (No. 38)
aufmerksam — leider nur ein Auszug! der denn doch darauf hinzudeuten
scheint, daß schon damals der Prinz sich die Ehre des ersten Gedankens —
nicht Katharina sondern seinem Bruder gegenüber — zu vindiciren sucht.

Die Methode, die Geschichte aus Urkunden zu schreiben, ist vollkommen
mehlig; nur muß man nicht erwarten, Alles in den Urkunden zu finden.
Kluge Männer haben zu allen Zeiten gewußt, daß, je weniger man von
seinen Absichten zu Papier bringt, je sicherer es ist; und wenn zwei mit ein¬
ander zu thun haben, so wird der Stärkere, wenn er klug ist, den Andern
stets in die Lage zu bringen wissen, der Briefsteller, der Treiber — mit einem


16*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0133" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/111565"/>
          <p xml:id="ID_413" prev="#ID_412"> tadelnswerth sein, man soll Lob oder Tadel nur nicht an die unrechte Adresse<lb/>
schicken. &#x2014; Oestreich läßt ergänz aus dem Spiel; über die Moralität, welche<lb/>
die östreichische Negierung nachträglich entwickelte, nachdem sie durch Besetzung<lb/>
des Zipser Comitats das erste Signal zum allgemeinen Zugreifen gegeben,<lb/>
zuckt er ebenso die Achseln, wie über die sittliche Entrüstung im Allgemeinen.<lb/>
&#x2014; Er sucht nur die Ansprüche Friedrichs und Katharinens auszugleichen,<lb/>
nachzuweisen, daß der Gedanke von Friedrich ausging, von ihm aufs<lb/>
Eifrigste betneben wurde; und daß Katharina nur nach großem Widerstreben,<lb/>
gewissermaßen von Friedrich gezwungen, nachgab. &#x2014; Erscheint in früheren<lb/>
Darstellungen Katharina als die intellektuelle Urheberin des Ganzen, so strahlt<lb/>
sie nach dieser neuen Auffassung in der vollständigsten Unschuld.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_414"> Urkundlich ist der Beweis für diese Auffassung nicht vollständig geführt.<lb/>
Soviel steht allerdings fest, daß nach dem 2. März I77l Friedrich der Trei¬<lb/>
ber ist, Katharina sich treiben läßt; für die letztere unstreitig die dankbare<lb/>
und gewinnreiche Rolle, denn sie konnte nun die Bedingungen stellen. &#x2014; Was<lb/>
aber vorher, bei der Anwesenheit des Prinzen Heinrich in Se. Petersburg,<lb/>
vorgefallen ist, das geht aus diesen Urkunden nicht deutlich hervor. &#x2014; Wenn<lb/>
Herr von Smitt aus den Depeschen Ur. 5 und Ur. 6 nur beweisen will,<lb/>
daß vorher noch nichts abgemacht war, daß also Friedrich das Odium<lb/>
wurde, den förmlichen Antrag zu stellen, so hat er seinen Zweck erreicht; will<lb/>
er aber mehr daraus herleiten, will er sagen, daß die Aeußerung Katharina's<lb/>
am 8. Jan. 1771: Ug,is pourcMi Wut 1e monäs us xreuärait-it xg,s aussi?<lb/>
nur ein scherzhafter Einfall war, so darf man ihm die Bemerkung des Prin¬<lb/>
zen Heinrich entgegenhalten: yuoilMö eelg, u'6eg,it qu'un Zisevurs ac xlaisim-<lb/>
terig, it est eere^in yue eola n'etM xas pour rien! (Schlözer S. 251) &#x2014;<lb/>
Gewiß nicht! An Klugheit war die russische Kaiserin ihrem damaligen Alliir-<lb/>
ten völlig gewachsen, und wenn sie seinem Bruder so etwas sagte, so war es<lb/>
nicht in die Luft gesprochen. &#x2014; Daß sie unter ihren Ministern immer einen<lb/>
hatte, der heftig dafür, und einen, der heftig dagegen war: &#x2014; nun, meint<lb/>
man denn etwa, daß Napoleon der Dritte die Politik erfunden hat? &#x2014; Wir<lb/>
machen noch auf den Auszug aus dem Brief des Prinzen Heinrich (No. 38)<lb/>
aufmerksam &#x2014; leider nur ein Auszug! der denn doch darauf hinzudeuten<lb/>
scheint, daß schon damals der Prinz sich die Ehre des ersten Gedankens &#x2014;<lb/>
nicht Katharina sondern seinem Bruder gegenüber &#x2014; zu vindiciren sucht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_415" next="#ID_416"> Die Methode, die Geschichte aus Urkunden zu schreiben, ist vollkommen<lb/>
mehlig; nur muß man nicht erwarten, Alles in den Urkunden zu finden.<lb/>
Kluge Männer haben zu allen Zeiten gewußt, daß, je weniger man von<lb/>
seinen Absichten zu Papier bringt, je sicherer es ist; und wenn zwei mit ein¬<lb/>
ander zu thun haben, so wird der Stärkere, wenn er klug ist, den Andern<lb/>
stets in die Lage zu bringen wissen, der Briefsteller, der Treiber &#x2014; mit einem</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 16*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0133] tadelnswerth sein, man soll Lob oder Tadel nur nicht an die unrechte Adresse schicken. — Oestreich läßt ergänz aus dem Spiel; über die Moralität, welche die östreichische Negierung nachträglich entwickelte, nachdem sie durch Besetzung des Zipser Comitats das erste Signal zum allgemeinen Zugreifen gegeben, zuckt er ebenso die Achseln, wie über die sittliche Entrüstung im Allgemeinen. — Er sucht nur die Ansprüche Friedrichs und Katharinens auszugleichen, nachzuweisen, daß der Gedanke von Friedrich ausging, von ihm aufs Eifrigste betneben wurde; und daß Katharina nur nach großem Widerstreben, gewissermaßen von Friedrich gezwungen, nachgab. — Erscheint in früheren Darstellungen Katharina als die intellektuelle Urheberin des Ganzen, so strahlt sie nach dieser neuen Auffassung in der vollständigsten Unschuld. Urkundlich ist der Beweis für diese Auffassung nicht vollständig geführt. Soviel steht allerdings fest, daß nach dem 2. März I77l Friedrich der Trei¬ ber ist, Katharina sich treiben läßt; für die letztere unstreitig die dankbare und gewinnreiche Rolle, denn sie konnte nun die Bedingungen stellen. — Was aber vorher, bei der Anwesenheit des Prinzen Heinrich in Se. Petersburg, vorgefallen ist, das geht aus diesen Urkunden nicht deutlich hervor. — Wenn Herr von Smitt aus den Depeschen Ur. 5 und Ur. 6 nur beweisen will, daß vorher noch nichts abgemacht war, daß also Friedrich das Odium wurde, den förmlichen Antrag zu stellen, so hat er seinen Zweck erreicht; will er aber mehr daraus herleiten, will er sagen, daß die Aeußerung Katharina's am 8. Jan. 1771: Ug,is pourcMi Wut 1e monäs us xreuärait-it xg,s aussi? nur ein scherzhafter Einfall war, so darf man ihm die Bemerkung des Prin¬ zen Heinrich entgegenhalten: yuoilMö eelg, u'6eg,it qu'un Zisevurs ac xlaisim- terig, it est eere^in yue eola n'etM xas pour rien! (Schlözer S. 251) — Gewiß nicht! An Klugheit war die russische Kaiserin ihrem damaligen Alliir- ten völlig gewachsen, und wenn sie seinem Bruder so etwas sagte, so war es nicht in die Luft gesprochen. — Daß sie unter ihren Ministern immer einen hatte, der heftig dafür, und einen, der heftig dagegen war: — nun, meint man denn etwa, daß Napoleon der Dritte die Politik erfunden hat? — Wir machen noch auf den Auszug aus dem Brief des Prinzen Heinrich (No. 38) aufmerksam — leider nur ein Auszug! der denn doch darauf hinzudeuten scheint, daß schon damals der Prinz sich die Ehre des ersten Gedankens — nicht Katharina sondern seinem Bruder gegenüber — zu vindiciren sucht. Die Methode, die Geschichte aus Urkunden zu schreiben, ist vollkommen mehlig; nur muß man nicht erwarten, Alles in den Urkunden zu finden. Kluge Männer haben zu allen Zeiten gewußt, daß, je weniger man von seinen Absichten zu Papier bringt, je sicherer es ist; und wenn zwei mit ein¬ ander zu thun haben, so wird der Stärkere, wenn er klug ist, den Andern stets in die Lage zu bringen wissen, der Briefsteller, der Treiber — mit einem 16*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/133
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/133>, abgerufen am 27.09.2024.