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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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anzufangen; auch wir wollen ja unsere Constituirung nicht damit anfangen.
Straßburg zu bombardiren.

Wir behalten uns vor, diesen Punkt näher zu beleuchten; für heute be¬
gnügen wir uns damit, dem Abgeordneten Schulze-D einsah unsere herzlichste
und wärmste Anerkennung für den Eiser auszusprechen, mit dem er die deut¬
schen Einwohner des Großherzogthums Posen zur kräftigen Wahrung ihrer
Rechte und Interessen aufgefordert hat. Mochte die preußische Regierung --
der überhaupt eine größere Schnelligkeit in den Entschlüssen zu wünschen wäre
-- recht bald erkennen, daß auch von ihrer Seite hier etwas geschehen muß,
denn die Sache ist sehr ernst.

Unter diesen Umständen gewinnen die historischen Versuche, die Ver¬
gangenheit Polens und namentlich seinen Sturz zu beleuchten, eine größere
Bedeutung.

Vor einem Jahr gab Kurt von Schlözer ("Friedrich der Große und
Katharina die Zweite", Berlin, W. Hertz) eine Erörterung der ersten Theilung
Polens, auf zum Theil noch unbekannte Documente gestützt.

Dieses Buch erfuhr in Sybel's Zeitschrift durch G. Wcntz eine strenge
Beurtheilung. Abgesehen von verschiedenen Ausstellungen von Seen"barer
Wichtigkeit, tadelte Waitz hauptsächlich die weltmännische Frivolität der Be¬
handlung bei einem Gegenstand, der eine sehr ernste sittliche Würdigung er¬
heischt.

Jetzt erscheint von Friedrich von Smitt (russischem Staatsrath, gegen¬
wärtig in Heidelberg), dem Biographen Suwaroffs, ein französisches Werk:
^rsäerie II., Ls-tlrörins se 1e xarwgiz av 1a, kolognö, Ä'^xres Ass Äoeuwens
ÄUtlrsutiMES (Lsrlin, ^dei-), das, wie der Verfasser angibt, bereits vor
einigen Jahren geschrieben, dessen Veröffentlichung aber hauptsächlich durch
das Schlözersche Buch hervorgerufen ist. -- Schlözer hatte seine Auffassung
hauptsächlich auf die Depeschen Friedrichs an den preußischen Gesandten in
Se. Petersburg, Grafen Solms, gestützt; er hatte aus denselben aber nur
einzelne Stellen mitgetheilt. Smitt ergänzt diese Mittheilung, aber er gibt
doch die Documente nicht vollständig; es bleiben sehr empfindliche Lücken,
und zwar gerade in Bezug auf den Punkt, den der Verfasser als seine Haupt¬
ausgabe betrachtet.

Es handelt sich nämlich um die Frage, welche von den drei Großmäch¬
ten zur Theilung Polens die erste Anregung gegeben habe? Auf ein moralisches
Urtheil läßt sich Herr von Smitt gar nicht ein; er findet die Sache nicht ge¬
rade zu loben, aber über die Ansicht, daß sie als ein einziger Frevel in der
Geschichte dastehe, zuckt er die Achseln; er findet sie natürlich, dem Lauf der
Begebenheiten und dem Charakter, der Menschen angemessen. -- Er will nur
der historischen Wahrheit die Ehre geben; die Theilung mag löblich oder


anzufangen; auch wir wollen ja unsere Constituirung nicht damit anfangen.
Straßburg zu bombardiren.

Wir behalten uns vor, diesen Punkt näher zu beleuchten; für heute be¬
gnügen wir uns damit, dem Abgeordneten Schulze-D einsah unsere herzlichste
und wärmste Anerkennung für den Eiser auszusprechen, mit dem er die deut¬
schen Einwohner des Großherzogthums Posen zur kräftigen Wahrung ihrer
Rechte und Interessen aufgefordert hat. Mochte die preußische Regierung —
der überhaupt eine größere Schnelligkeit in den Entschlüssen zu wünschen wäre
— recht bald erkennen, daß auch von ihrer Seite hier etwas geschehen muß,
denn die Sache ist sehr ernst.

Unter diesen Umständen gewinnen die historischen Versuche, die Ver¬
gangenheit Polens und namentlich seinen Sturz zu beleuchten, eine größere
Bedeutung.

Vor einem Jahr gab Kurt von Schlözer („Friedrich der Große und
Katharina die Zweite", Berlin, W. Hertz) eine Erörterung der ersten Theilung
Polens, auf zum Theil noch unbekannte Documente gestützt.

Dieses Buch erfuhr in Sybel's Zeitschrift durch G. Wcntz eine strenge
Beurtheilung. Abgesehen von verschiedenen Ausstellungen von Seen»barer
Wichtigkeit, tadelte Waitz hauptsächlich die weltmännische Frivolität der Be¬
handlung bei einem Gegenstand, der eine sehr ernste sittliche Würdigung er¬
heischt.

Jetzt erscheint von Friedrich von Smitt (russischem Staatsrath, gegen¬
wärtig in Heidelberg), dem Biographen Suwaroffs, ein französisches Werk:
^rsäerie II., Ls-tlrörins se 1e xarwgiz av 1a, kolognö, Ä'^xres Ass Äoeuwens
ÄUtlrsutiMES (Lsrlin, ^dei-), das, wie der Verfasser angibt, bereits vor
einigen Jahren geschrieben, dessen Veröffentlichung aber hauptsächlich durch
das Schlözersche Buch hervorgerufen ist. — Schlözer hatte seine Auffassung
hauptsächlich auf die Depeschen Friedrichs an den preußischen Gesandten in
Se. Petersburg, Grafen Solms, gestützt; er hatte aus denselben aber nur
einzelne Stellen mitgetheilt. Smitt ergänzt diese Mittheilung, aber er gibt
doch die Documente nicht vollständig; es bleiben sehr empfindliche Lücken,
und zwar gerade in Bezug auf den Punkt, den der Verfasser als seine Haupt¬
ausgabe betrachtet.

Es handelt sich nämlich um die Frage, welche von den drei Großmäch¬
ten zur Theilung Polens die erste Anregung gegeben habe? Auf ein moralisches
Urtheil läßt sich Herr von Smitt gar nicht ein; er findet die Sache nicht ge¬
rade zu loben, aber über die Ansicht, daß sie als ein einziger Frevel in der
Geschichte dastehe, zuckt er die Achseln; er findet sie natürlich, dem Lauf der
Begebenheiten und dem Charakter, der Menschen angemessen. — Er will nur
der historischen Wahrheit die Ehre geben; die Theilung mag löblich oder


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/132>, abgerufen am 05.02.2025.