Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

zusetzen. Nur im äußersten Nothfalle durfte ein einziger ungarischer Landtag
zusammengerufen werden, auf welchem auch die Nebenlünder tagen. Eine popu¬
läre Persönlichkeit aus dem kaiserlichen Hause, deren Namen Jedermann er¬
innerlich ist, hätte den Platz des Palatins oder Statthalters wieder eingenommen.
Mit Piemont hätte müssen ein Vertrag geschlossen werden, worin ihm Unter¬
stützung gegen die napoleonischen Plane in Neapel und die effective spätere
Abtretung Venedigs unter der Bedingung zugesichert wird, daß es den, der
Bevölkerungszahl im Venetianischen entsprechenden Theil der östreichischen
Staatsschuld und außerdem eine Zahlung übernähme, welche die Kosten der
Anlage einer neuen Befestigungslinie aus illyrischem Boden deckte. Bis zur
Vollendung dieser neuen Befestigungslinie würde wohl der deutsche Bund
die Garantie des gegenwärtigen Festungsviereckes (welches eine deutsche, nicht
eine specifisch östreichische Position ist) gegen die Zusage übernommen haben,
daß die neu zu erbauenden Festungen Bundesfestungen würden. Die einzel¬
nen östreichischen Provinzen würden so nur durch das dynastische Band der
Personalunion und durch die materiellen Interessen zusammengehalten worden
sein; die Dynastie aber hätte sich einen moralischen Einfluß in Deutschland
verschafft, welcher in nicht zu ferner Zeit vielleicht zum deutschen Kaiserthrone
geführt hätte. Um die deutsche Nation und ihre östlichen Nachbarnationen wäre
aber ein historisches Band in verjüngter Kraft geschlungen und der aus beider¬
seitigen guten Einvernehmen beruhenden Entwicklung der deutschen wie der
östlichen materiellen Interessen wesentlich Vorschub geleistet worden. Mit
einem Worte, die Ideale der Grvßdeutschen wären ihrer Verwirklichung näher
gerückt. Dieser Weg stand und steht nur offen, so lange Preußen sich nicht
zum Wortführer und Schirmherrn der deutschen Nation macht. ,

Der andere Weg für die östreichische Dynastie ist der, sich strengen
das Gegebene zu halten, sich jedes Einflusses in Deutschland zu begeben, zu
erwägen, welche Provinzen liefern die meisten Steuern und Soldaten, und
diesen Provinzen ein Uebergewicht in Betreff der Staatsangelegenheiten ein¬
zuräumen.

Ein Ministerium, zusammengesetzt aus Männern, die in diesen Provinzen
populär sind, eine Verlegung der Residenz in eine dieser Provinzen, une
Statthalterschaft in den deutschen Provinzen und eine bloße Personalunion
mit diesen, sind die consequenten Folgerungen dieser Auffassung.

Auf den Ecken mehrerer nebeneinandergestellter Stühle zu sitzen ist nie
bequem, platterdings unmöglich aber ist es, wenn an diesen einzelnen Stühlen
gerüttelt wird. Wer den Augenblick versäumt; auf dem bequemsten der
Stühle ausschließlich Sitz zu nehmen und die Ecken der anderen loszulassen,
der muß durch das Rütteln der Stühle zwischen dieselben auf die Erde
kommen.


zusetzen. Nur im äußersten Nothfalle durfte ein einziger ungarischer Landtag
zusammengerufen werden, auf welchem auch die Nebenlünder tagen. Eine popu¬
läre Persönlichkeit aus dem kaiserlichen Hause, deren Namen Jedermann er¬
innerlich ist, hätte den Platz des Palatins oder Statthalters wieder eingenommen.
Mit Piemont hätte müssen ein Vertrag geschlossen werden, worin ihm Unter¬
stützung gegen die napoleonischen Plane in Neapel und die effective spätere
Abtretung Venedigs unter der Bedingung zugesichert wird, daß es den, der
Bevölkerungszahl im Venetianischen entsprechenden Theil der östreichischen
Staatsschuld und außerdem eine Zahlung übernähme, welche die Kosten der
Anlage einer neuen Befestigungslinie aus illyrischem Boden deckte. Bis zur
Vollendung dieser neuen Befestigungslinie würde wohl der deutsche Bund
die Garantie des gegenwärtigen Festungsviereckes (welches eine deutsche, nicht
eine specifisch östreichische Position ist) gegen die Zusage übernommen haben,
daß die neu zu erbauenden Festungen Bundesfestungen würden. Die einzel¬
nen östreichischen Provinzen würden so nur durch das dynastische Band der
Personalunion und durch die materiellen Interessen zusammengehalten worden
sein; die Dynastie aber hätte sich einen moralischen Einfluß in Deutschland
verschafft, welcher in nicht zu ferner Zeit vielleicht zum deutschen Kaiserthrone
geführt hätte. Um die deutsche Nation und ihre östlichen Nachbarnationen wäre
aber ein historisches Band in verjüngter Kraft geschlungen und der aus beider¬
seitigen guten Einvernehmen beruhenden Entwicklung der deutschen wie der
östlichen materiellen Interessen wesentlich Vorschub geleistet worden. Mit
einem Worte, die Ideale der Grvßdeutschen wären ihrer Verwirklichung näher
gerückt. Dieser Weg stand und steht nur offen, so lange Preußen sich nicht
zum Wortführer und Schirmherrn der deutschen Nation macht. ,

Der andere Weg für die östreichische Dynastie ist der, sich strengen
das Gegebene zu halten, sich jedes Einflusses in Deutschland zu begeben, zu
erwägen, welche Provinzen liefern die meisten Steuern und Soldaten, und
diesen Provinzen ein Uebergewicht in Betreff der Staatsangelegenheiten ein¬
zuräumen.

Ein Ministerium, zusammengesetzt aus Männern, die in diesen Provinzen
populär sind, eine Verlegung der Residenz in eine dieser Provinzen, une
Statthalterschaft in den deutschen Provinzen und eine bloße Personalunion
mit diesen, sind die consequenten Folgerungen dieser Auffassung.

Auf den Ecken mehrerer nebeneinandergestellter Stühle zu sitzen ist nie
bequem, platterdings unmöglich aber ist es, wenn an diesen einzelnen Stühlen
gerüttelt wird. Wer den Augenblick versäumt; auf dem bequemsten der
Stühle ausschließlich Sitz zu nehmen und die Ecken der anderen loszulassen,
der muß durch das Rütteln der Stühle zwischen dieselben auf die Erde
kommen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0114" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/111546"/>
          <p xml:id="ID_345" prev="#ID_344"> zusetzen. Nur im äußersten Nothfalle durfte ein einziger ungarischer Landtag<lb/>
zusammengerufen werden, auf welchem auch die Nebenlünder tagen. Eine popu¬<lb/>
läre Persönlichkeit aus dem kaiserlichen Hause, deren Namen Jedermann er¬<lb/>
innerlich ist, hätte den Platz des Palatins oder Statthalters wieder eingenommen.<lb/>
Mit Piemont hätte müssen ein Vertrag geschlossen werden, worin ihm Unter¬<lb/>
stützung gegen die napoleonischen Plane in Neapel und die effective spätere<lb/>
Abtretung Venedigs unter der Bedingung zugesichert wird, daß es den, der<lb/>
Bevölkerungszahl im Venetianischen entsprechenden Theil der östreichischen<lb/>
Staatsschuld und außerdem eine Zahlung übernähme, welche die Kosten der<lb/>
Anlage einer neuen Befestigungslinie aus illyrischem Boden deckte. Bis zur<lb/>
Vollendung dieser neuen Befestigungslinie würde wohl der deutsche Bund<lb/>
die Garantie des gegenwärtigen Festungsviereckes (welches eine deutsche, nicht<lb/>
eine specifisch östreichische Position ist) gegen die Zusage übernommen haben,<lb/>
daß die neu zu erbauenden Festungen Bundesfestungen würden. Die einzel¬<lb/>
nen östreichischen Provinzen würden so nur durch das dynastische Band der<lb/>
Personalunion und durch die materiellen Interessen zusammengehalten worden<lb/>
sein; die Dynastie aber hätte sich einen moralischen Einfluß in Deutschland<lb/>
verschafft, welcher in nicht zu ferner Zeit vielleicht zum deutschen Kaiserthrone<lb/>
geführt hätte. Um die deutsche Nation und ihre östlichen Nachbarnationen wäre<lb/>
aber ein historisches Band in verjüngter Kraft geschlungen und der aus beider¬<lb/>
seitigen guten Einvernehmen beruhenden Entwicklung der deutschen wie der<lb/>
östlichen materiellen Interessen wesentlich Vorschub geleistet worden. Mit<lb/>
einem Worte, die Ideale der Grvßdeutschen wären ihrer Verwirklichung näher<lb/>
gerückt. Dieser Weg stand und steht nur offen, so lange Preußen sich nicht<lb/>
zum Wortführer und Schirmherrn der deutschen Nation macht. ,</p><lb/>
          <p xml:id="ID_346"> Der andere Weg für die östreichische Dynastie ist der, sich strengen<lb/>
das Gegebene zu halten, sich jedes Einflusses in Deutschland zu begeben, zu<lb/>
erwägen, welche Provinzen liefern die meisten Steuern und Soldaten, und<lb/>
diesen Provinzen ein Uebergewicht in Betreff der Staatsangelegenheiten ein¬<lb/>
zuräumen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_347"> Ein Ministerium, zusammengesetzt aus Männern, die in diesen Provinzen<lb/>
populär sind, eine Verlegung der Residenz in eine dieser Provinzen, une<lb/>
Statthalterschaft in den deutschen Provinzen und eine bloße Personalunion<lb/>
mit diesen, sind die consequenten Folgerungen dieser Auffassung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_348"> Auf den Ecken mehrerer nebeneinandergestellter Stühle zu sitzen ist nie<lb/>
bequem, platterdings unmöglich aber ist es, wenn an diesen einzelnen Stühlen<lb/>
gerüttelt wird. Wer den Augenblick versäumt; auf dem bequemsten der<lb/>
Stühle ausschließlich Sitz zu nehmen und die Ecken der anderen loszulassen,<lb/>
der muß durch das Rütteln der Stühle zwischen dieselben auf die Erde<lb/>
kommen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0114] zusetzen. Nur im äußersten Nothfalle durfte ein einziger ungarischer Landtag zusammengerufen werden, auf welchem auch die Nebenlünder tagen. Eine popu¬ läre Persönlichkeit aus dem kaiserlichen Hause, deren Namen Jedermann er¬ innerlich ist, hätte den Platz des Palatins oder Statthalters wieder eingenommen. Mit Piemont hätte müssen ein Vertrag geschlossen werden, worin ihm Unter¬ stützung gegen die napoleonischen Plane in Neapel und die effective spätere Abtretung Venedigs unter der Bedingung zugesichert wird, daß es den, der Bevölkerungszahl im Venetianischen entsprechenden Theil der östreichischen Staatsschuld und außerdem eine Zahlung übernähme, welche die Kosten der Anlage einer neuen Befestigungslinie aus illyrischem Boden deckte. Bis zur Vollendung dieser neuen Befestigungslinie würde wohl der deutsche Bund die Garantie des gegenwärtigen Festungsviereckes (welches eine deutsche, nicht eine specifisch östreichische Position ist) gegen die Zusage übernommen haben, daß die neu zu erbauenden Festungen Bundesfestungen würden. Die einzel¬ nen östreichischen Provinzen würden so nur durch das dynastische Band der Personalunion und durch die materiellen Interessen zusammengehalten worden sein; die Dynastie aber hätte sich einen moralischen Einfluß in Deutschland verschafft, welcher in nicht zu ferner Zeit vielleicht zum deutschen Kaiserthrone geführt hätte. Um die deutsche Nation und ihre östlichen Nachbarnationen wäre aber ein historisches Band in verjüngter Kraft geschlungen und der aus beider¬ seitigen guten Einvernehmen beruhenden Entwicklung der deutschen wie der östlichen materiellen Interessen wesentlich Vorschub geleistet worden. Mit einem Worte, die Ideale der Grvßdeutschen wären ihrer Verwirklichung näher gerückt. Dieser Weg stand und steht nur offen, so lange Preußen sich nicht zum Wortführer und Schirmherrn der deutschen Nation macht. , Der andere Weg für die östreichische Dynastie ist der, sich strengen das Gegebene zu halten, sich jedes Einflusses in Deutschland zu begeben, zu erwägen, welche Provinzen liefern die meisten Steuern und Soldaten, und diesen Provinzen ein Uebergewicht in Betreff der Staatsangelegenheiten ein¬ zuräumen. Ein Ministerium, zusammengesetzt aus Männern, die in diesen Provinzen populär sind, eine Verlegung der Residenz in eine dieser Provinzen, une Statthalterschaft in den deutschen Provinzen und eine bloße Personalunion mit diesen, sind die consequenten Folgerungen dieser Auffassung. Auf den Ecken mehrerer nebeneinandergestellter Stühle zu sitzen ist nie bequem, platterdings unmöglich aber ist es, wenn an diesen einzelnen Stühlen gerüttelt wird. Wer den Augenblick versäumt; auf dem bequemsten der Stühle ausschließlich Sitz zu nehmen und die Ecken der anderen loszulassen, der muß durch das Rütteln der Stühle zwischen dieselben auf die Erde kommen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/114
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/114>, abgerufen am 02.10.2024.