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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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extremen Seiten schwankt, bevor es ihm gelingen will, den richtigen Schwer¬
punkt zu treffen.

Zwar ist bis heute nur die Ministerkrists. noch nicht der Ministerwechsel
Thatsache, noch ist's nicht entschieden, ob Oestreich ein rein magyarisch-
czechisches Ministerium erhalten, eine magyarisch-slavische Politik einschlagen
wird, aber schon das Vorhandensein dieser Krisis ist eine passende Ge¬
legenheit, um meinen Landsleuten, den Deutschen in Oestreich, vorzuhalten,
was sie unter minder grellen Verhältnissen unbeachtet lassen würden.

Ein magyarisch-slavisches Ministerium, eine magyarisch-slavische Politik
Oestreichs würde nichts sein als der wahre Ausdruck der wirklichen Sachlage!

Die Magyaren sind nun einmal jener Volksstamm, welcher -- der ein¬
zige in Oestreich -- bis in die neueste Zeit (bis vor zwölf Jahren) die Staats'
gewalt in Oestreich beschränkt, derselben auf die Finger geschaut hat, wenn
sie in nimmer befriedigter Begehrlichkeit in die Vorrnthskammer des Volkes
nach Geld und Soldaten griff, und die Slaven sind nun einmal zahlreicher
als die Deutschen in Oestreich.

Metternich, der allen Tadel, mit welchem sein Name überschüttet wird,
verdient, nur nicht den einen, er habe Oestreich nicht gekannt. Metternich
suchte in Ungarn sich stets zwischen den Klippen des Vcrfassungslebens durch¬
zuwinden, außer Ungarn aber jede Veränderung niederzuhalten. Er wußte,
daß er ein morsches Gebäude unter seinen Händen hatte, an dem man, wie
an allem Morschen, keinen Nagel einschlagen und keinen ausziehen kann, ohne
daß das Ganze zusammenbricht. Entbehrend , jeder sittlichen Würde, jeder
schöpferischen Begeisterung, die mit opferwilliger Hand den Samen für die
Zukunft legt, war er nur bestrebt, die lockeren Nähte so lange zusammenzu-
halten, als er den Rock trug -- nach ihm mochte kommen, was da wollte.

Wozu dieser Rückblick auf Metternich? Um daran zu erinnern, daß eine
hervorragende Persönlichkeit der Illiberalen gerade so, wie meine der libe¬
ralen Partei angehörige Wenigkeit der Ueberzeugung lebte, daß es unmöglich
ist, Oestreich freisinnig zu regieren und es zugleich als deutschen Staat zu
behandeln.

AIs Maager im verstärkten Reichsrathe die Rettung Oestreichs in einer
freisinnigen Ge sammt Verfassung erblickte, als die sonst recht verständige
"Presse" sowie die sehr zahlreiche mit der Presse übereinstimmende liberale
deutsche Partei in Oestreich ebenfalls nach einer G esammtvelsassung. nach
constitutioneller Regierung verlangte und sich versprach, daß es dann
"gehen" werde in Oestreich, da erlaubte ich mir im Privatverkehr wie in
Druckschriften zu behaupten:


extremen Seiten schwankt, bevor es ihm gelingen will, den richtigen Schwer¬
punkt zu treffen.

Zwar ist bis heute nur die Ministerkrists. noch nicht der Ministerwechsel
Thatsache, noch ist's nicht entschieden, ob Oestreich ein rein magyarisch-
czechisches Ministerium erhalten, eine magyarisch-slavische Politik einschlagen
wird, aber schon das Vorhandensein dieser Krisis ist eine passende Ge¬
legenheit, um meinen Landsleuten, den Deutschen in Oestreich, vorzuhalten,
was sie unter minder grellen Verhältnissen unbeachtet lassen würden.

Ein magyarisch-slavisches Ministerium, eine magyarisch-slavische Politik
Oestreichs würde nichts sein als der wahre Ausdruck der wirklichen Sachlage!

Die Magyaren sind nun einmal jener Volksstamm, welcher — der ein¬
zige in Oestreich — bis in die neueste Zeit (bis vor zwölf Jahren) die Staats'
gewalt in Oestreich beschränkt, derselben auf die Finger geschaut hat, wenn
sie in nimmer befriedigter Begehrlichkeit in die Vorrnthskammer des Volkes
nach Geld und Soldaten griff, und die Slaven sind nun einmal zahlreicher
als die Deutschen in Oestreich.

Metternich, der allen Tadel, mit welchem sein Name überschüttet wird,
verdient, nur nicht den einen, er habe Oestreich nicht gekannt. Metternich
suchte in Ungarn sich stets zwischen den Klippen des Vcrfassungslebens durch¬
zuwinden, außer Ungarn aber jede Veränderung niederzuhalten. Er wußte,
daß er ein morsches Gebäude unter seinen Händen hatte, an dem man, wie
an allem Morschen, keinen Nagel einschlagen und keinen ausziehen kann, ohne
daß das Ganze zusammenbricht. Entbehrend , jeder sittlichen Würde, jeder
schöpferischen Begeisterung, die mit opferwilliger Hand den Samen für die
Zukunft legt, war er nur bestrebt, die lockeren Nähte so lange zusammenzu-
halten, als er den Rock trug — nach ihm mochte kommen, was da wollte.

Wozu dieser Rückblick auf Metternich? Um daran zu erinnern, daß eine
hervorragende Persönlichkeit der Illiberalen gerade so, wie meine der libe¬
ralen Partei angehörige Wenigkeit der Ueberzeugung lebte, daß es unmöglich
ist, Oestreich freisinnig zu regieren und es zugleich als deutschen Staat zu
behandeln.

AIs Maager im verstärkten Reichsrathe die Rettung Oestreichs in einer
freisinnigen Ge sammt Verfassung erblickte, als die sonst recht verständige
„Presse" sowie die sehr zahlreiche mit der Presse übereinstimmende liberale
deutsche Partei in Oestreich ebenfalls nach einer G esammtvelsassung. nach
constitutioneller Regierung verlangte und sich versprach, daß es dann
„gehen" werde in Oestreich, da erlaubte ich mir im Privatverkehr wie in
Druckschriften zu behaupten:


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[0112] extremen Seiten schwankt, bevor es ihm gelingen will, den richtigen Schwer¬ punkt zu treffen. Zwar ist bis heute nur die Ministerkrists. noch nicht der Ministerwechsel Thatsache, noch ist's nicht entschieden, ob Oestreich ein rein magyarisch- czechisches Ministerium erhalten, eine magyarisch-slavische Politik einschlagen wird, aber schon das Vorhandensein dieser Krisis ist eine passende Ge¬ legenheit, um meinen Landsleuten, den Deutschen in Oestreich, vorzuhalten, was sie unter minder grellen Verhältnissen unbeachtet lassen würden. Ein magyarisch-slavisches Ministerium, eine magyarisch-slavische Politik Oestreichs würde nichts sein als der wahre Ausdruck der wirklichen Sachlage! Die Magyaren sind nun einmal jener Volksstamm, welcher — der ein¬ zige in Oestreich — bis in die neueste Zeit (bis vor zwölf Jahren) die Staats' gewalt in Oestreich beschränkt, derselben auf die Finger geschaut hat, wenn sie in nimmer befriedigter Begehrlichkeit in die Vorrnthskammer des Volkes nach Geld und Soldaten griff, und die Slaven sind nun einmal zahlreicher als die Deutschen in Oestreich. Metternich, der allen Tadel, mit welchem sein Name überschüttet wird, verdient, nur nicht den einen, er habe Oestreich nicht gekannt. Metternich suchte in Ungarn sich stets zwischen den Klippen des Vcrfassungslebens durch¬ zuwinden, außer Ungarn aber jede Veränderung niederzuhalten. Er wußte, daß er ein morsches Gebäude unter seinen Händen hatte, an dem man, wie an allem Morschen, keinen Nagel einschlagen und keinen ausziehen kann, ohne daß das Ganze zusammenbricht. Entbehrend , jeder sittlichen Würde, jeder schöpferischen Begeisterung, die mit opferwilliger Hand den Samen für die Zukunft legt, war er nur bestrebt, die lockeren Nähte so lange zusammenzu- halten, als er den Rock trug — nach ihm mochte kommen, was da wollte. Wozu dieser Rückblick auf Metternich? Um daran zu erinnern, daß eine hervorragende Persönlichkeit der Illiberalen gerade so, wie meine der libe¬ ralen Partei angehörige Wenigkeit der Ueberzeugung lebte, daß es unmöglich ist, Oestreich freisinnig zu regieren und es zugleich als deutschen Staat zu behandeln. AIs Maager im verstärkten Reichsrathe die Rettung Oestreichs in einer freisinnigen Ge sammt Verfassung erblickte, als die sonst recht verständige „Presse" sowie die sehr zahlreiche mit der Presse übereinstimmende liberale deutsche Partei in Oestreich ebenfalls nach einer G esammtvelsassung. nach constitutioneller Regierung verlangte und sich versprach, daß es dann „gehen" werde in Oestreich, da erlaubte ich mir im Privatverkehr wie in Druckschriften zu behaupten:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/112>, abgerufen am 03.07.2024.