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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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nen jedoch sich selbst und schreien: "Ruhe um jeden Preis!" Das gestand
mir ein Priester selbst: "Wenn die Protestanten kommen, müssen wir mehr
lernen und auch in der Seelsorge noch Bücher studiren, damit wir diese Ein¬
dringlinge, sobald sie etwa gegen unsere heilige, katholische Religion zu re¬
den wagen, widerlegen können." Und deswegen soll Schmerling allen For¬
derungen der Neuzeit zum Trotz durch intolerante Gesetze einen Winkel ein¬
zäunen, in welchem Fanatiker und Zeloten bei ihrem Handwerk nicht ge¬
stört werden dürfen? Er wird es nicht thun, wenn nur nicht eine bei Hof
mächtige Clique ihre unsauber" Hände einmischt. Die liberale Partei ist dies¬
mal in Tirol rühriger als sonst und hat sogar, was schwer gelingt, eine ge¬
wisse Disciplin angenommen, sie ist jedoch, obwol stärker als man je ver¬
muthete, den Ultramontanen gegenüber in der Minderzahl. Einigermaßen
gleicht sich dieses durch ihre Schlagfertigkeit und den Einfluß, welchen sie auf
die Presse außerhalb Tirols übt. aus, doch wird sie zu ringen haben, um
einige Resultate zu erreichen. Der Situation entspricht auch das von ihr
ausgegebene Programm, welches sehr mäßig und bescheiden eingerichtet wer¬
den mußte, wie dieses die wichtigsten Stellen daraus erläutern können. "Für
die Hauptaufgabe der Vertreter halten wir zunächst die Feststellung und Weiter¬
bildung unserer Landesvertretung, mittelbar des Reichsrathes, nach den durch
das freisinnige Programm unseres vom Vertrauen Seiner Majestät berufenen
Ministers Schmerling bereits vorgezeichneten Linien. Gesetzliche Freiheit für
Alle und Jeden ohne Bevorzugung eines Staatsbürgers ist unser Losungswort,
und dabei zugleich Anerkennung des Bestehenden und geschichtlich Gewordenen,
in so weit es durch das Gesetz gewährleistet ist, oder sich als lebensfähig für
die Zukunft und vereinbar mit den neuen Grundlagen unseres Staatswesens
erweist. Für Tirol insbesondere fordern wir von dem zu erwählenden Ver¬
treter, daß er stets- die eigenthümlichen Verhältnisse des Landes und die
Wünsche der Bevölkerung insbesondere in Bezug auf Geld- und Steuerfragen,
Militärverhältnisse und Unterrichtsfächer im Auge behalte und ihnen auf das
Gewissenhafteste und Strengste insoweit Rechnung trage, als es bei der Zu¬
gehörigkeit an den Gesammtstaat nur immer möglich ist. Wir hegen keine se¬
paratistischen Gelüste, wissen jedoch Alle, was auch Tirol unter dem Drucke
einer rücksichtslosen Centralisation, welche dessen Eigenthümlichkeit so wenig
als die anderer Provinzen beachtete, zu leiden hatte." Die Wahlen sind für
den Landtag beendet. Das Resultat derselben kann als ein über alle Er¬
wartung glückliches bezeichnet werden, indem es dem Klerus trotz aller Be¬
mühungen nur gelungen ist, einen einzigen Geistlichen, der jedoch bei seinen
Amtsbrüdcrn selbst im Gerüche des Liberalismus steht, durchzusetzen. Ebenso
wenig vermochte er das Eindringen der Liberalen zu hindern, welche eine
achtungsgebietende Minorität besitzen. Minorität und nicht Majorität? Ja!


nen jedoch sich selbst und schreien: „Ruhe um jeden Preis!" Das gestand
mir ein Priester selbst: „Wenn die Protestanten kommen, müssen wir mehr
lernen und auch in der Seelsorge noch Bücher studiren, damit wir diese Ein¬
dringlinge, sobald sie etwa gegen unsere heilige, katholische Religion zu re¬
den wagen, widerlegen können." Und deswegen soll Schmerling allen For¬
derungen der Neuzeit zum Trotz durch intolerante Gesetze einen Winkel ein¬
zäunen, in welchem Fanatiker und Zeloten bei ihrem Handwerk nicht ge¬
stört werden dürfen? Er wird es nicht thun, wenn nur nicht eine bei Hof
mächtige Clique ihre unsauber« Hände einmischt. Die liberale Partei ist dies¬
mal in Tirol rühriger als sonst und hat sogar, was schwer gelingt, eine ge¬
wisse Disciplin angenommen, sie ist jedoch, obwol stärker als man je ver¬
muthete, den Ultramontanen gegenüber in der Minderzahl. Einigermaßen
gleicht sich dieses durch ihre Schlagfertigkeit und den Einfluß, welchen sie auf
die Presse außerhalb Tirols übt. aus, doch wird sie zu ringen haben, um
einige Resultate zu erreichen. Der Situation entspricht auch das von ihr
ausgegebene Programm, welches sehr mäßig und bescheiden eingerichtet wer¬
den mußte, wie dieses die wichtigsten Stellen daraus erläutern können. „Für
die Hauptaufgabe der Vertreter halten wir zunächst die Feststellung und Weiter¬
bildung unserer Landesvertretung, mittelbar des Reichsrathes, nach den durch
das freisinnige Programm unseres vom Vertrauen Seiner Majestät berufenen
Ministers Schmerling bereits vorgezeichneten Linien. Gesetzliche Freiheit für
Alle und Jeden ohne Bevorzugung eines Staatsbürgers ist unser Losungswort,
und dabei zugleich Anerkennung des Bestehenden und geschichtlich Gewordenen,
in so weit es durch das Gesetz gewährleistet ist, oder sich als lebensfähig für
die Zukunft und vereinbar mit den neuen Grundlagen unseres Staatswesens
erweist. Für Tirol insbesondere fordern wir von dem zu erwählenden Ver¬
treter, daß er stets- die eigenthümlichen Verhältnisse des Landes und die
Wünsche der Bevölkerung insbesondere in Bezug auf Geld- und Steuerfragen,
Militärverhältnisse und Unterrichtsfächer im Auge behalte und ihnen auf das
Gewissenhafteste und Strengste insoweit Rechnung trage, als es bei der Zu¬
gehörigkeit an den Gesammtstaat nur immer möglich ist. Wir hegen keine se¬
paratistischen Gelüste, wissen jedoch Alle, was auch Tirol unter dem Drucke
einer rücksichtslosen Centralisation, welche dessen Eigenthümlichkeit so wenig
als die anderer Provinzen beachtete, zu leiden hatte." Die Wahlen sind für
den Landtag beendet. Das Resultat derselben kann als ein über alle Er¬
wartung glückliches bezeichnet werden, indem es dem Klerus trotz aller Be¬
mühungen nur gelungen ist, einen einzigen Geistlichen, der jedoch bei seinen
Amtsbrüdcrn selbst im Gerüche des Liberalismus steht, durchzusetzen. Ebenso
wenig vermochte er das Eindringen der Liberalen zu hindern, welche eine
achtungsgebietende Minorität besitzen. Minorität und nicht Majorität? Ja!


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/108>, abgerufen am 01.07.2024.