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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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Abgeordnete, welche demnächst nach Innsbruck kommen, sollen einen eigenen Land¬
tag für das Trentino verlangen. Wir haben hier nicht zu erörtern, wie sehr
es im Interesse Deutschlands liege, das Gebiet der Etsch bis zur Veroneser
Klause oder gar die Stromlinie des Mincio und Po zu behaupten; die Frage
ist, welche Mittel stehen sür die Behauptung Tirols zu Gebote. Auch hier
sprechen wir nicht von den neuen Befestigungen bei Gomagoi, Osanna, Rivoli
u. s. w., und ebenso wenig von den Truppen, die innerhalb der Berge aufge¬
stellt sind, denn bisher zeigt die Geschichte, daß Tirol nie von den Soldaten,
sondern nur von den Schützen vertheidigt und wirksam beschirmt wurde. Es
ist traurig, aber wahr, in Bezug auf die Vertheidigung durch Schützen ist
Tirol gegenwärtig wehrlos, wenn es Garibaldi heute beliebt, einzufallen und
es gelingt ihm, das Militär zu werfen, so kann er, ohne von unsern Stutzen
aufgehalten zu werden, vordringen bis in die Thäler Deutschtirols, erst hier
würde ihn die furchtbare Masse des Landsturmes bedrohen und wahrscheinlich
auch begraben. In diese Falle zu gehen, ist er jedoch zu klug, denn er weiß
zu gut, was unser Volk, auf seinem Boden durch einen Feind zur Wuth ge¬
stachelt, vermag. Wälschtirol, wo ihm die Einwohner zujauchzen würden,
konnte er allerdings gewinnen. Sie fragen nach den Schützencompagnien,
die jetzt gebildet werden und an die Grenze, ja wenn es das Interesse Tirols
fordert, selbst über die Grenze gehen müssen. Vermuthlich stehen sie bis
Mitte oder Ende April aus -- dem Papier, sie rücken vielleicht sogar aus;
betrachtet man aber ihre innere Beschaffenheit und Kriegstüchtigkeit/ so wird
man sich von der Meinung, als ob mit ihnen etwas auszurichten wäre, bit¬
ter enttäuscht finden. Diejenigen, welche zu arm sind, sich loszukaufen und
daher gehen müssen, sind von tiefem Unwillen über den Zwang erfüllt, den
man ihnen auflegte, und die Neislüufer, welche des hohen Soldes wegen für
Andere eintraten, werden, wenn sie schießen hören, höchst wahrscheinlich ihren
theuren Leib zu retten wissen. Man kennt das von früher. Dazu kommt die^
mangelhafte Bewaffnung, die Vernachlässigungen der Schießübungen, die un¬
genügende Kenntniß des Felddienstes bei der Mannschaft und den Offizieren,
das Fehlen jeder Disciplin. Wenn man von tiroler Landesvertheidigung
reden hört, denkt man immer an das Jahr 1809, vergißt jedoch dabei, daß
sich die Verhältnisse seitdem in jeder Beziehung geändert haben, und daß man,
was ein Volk im Schwunge der Begeisterung und des religiösen Fanatismus
leistet, von demselben nicht fordern darf, wenn es von Groll und Mißtrauen
erfüllt ist. Hat das Ministerium Bach wie absichtlich Alles ausgeboten, jedes
Fünkchen von Anhänglichkeit an die Regierung zu ersticken, so ist man jetzt
allgemein darüber einig, daß die allgemeine Verpflichtung zum Loosen sür die
Schützencompagnien geradenwegs eine Wirkung erzielte, welche der Absicht
schnurstracks entgegenläuft. Ueberall hört man davon reden, daß es die erste


Abgeordnete, welche demnächst nach Innsbruck kommen, sollen einen eigenen Land¬
tag für das Trentino verlangen. Wir haben hier nicht zu erörtern, wie sehr
es im Interesse Deutschlands liege, das Gebiet der Etsch bis zur Veroneser
Klause oder gar die Stromlinie des Mincio und Po zu behaupten; die Frage
ist, welche Mittel stehen sür die Behauptung Tirols zu Gebote. Auch hier
sprechen wir nicht von den neuen Befestigungen bei Gomagoi, Osanna, Rivoli
u. s. w., und ebenso wenig von den Truppen, die innerhalb der Berge aufge¬
stellt sind, denn bisher zeigt die Geschichte, daß Tirol nie von den Soldaten,
sondern nur von den Schützen vertheidigt und wirksam beschirmt wurde. Es
ist traurig, aber wahr, in Bezug auf die Vertheidigung durch Schützen ist
Tirol gegenwärtig wehrlos, wenn es Garibaldi heute beliebt, einzufallen und
es gelingt ihm, das Militär zu werfen, so kann er, ohne von unsern Stutzen
aufgehalten zu werden, vordringen bis in die Thäler Deutschtirols, erst hier
würde ihn die furchtbare Masse des Landsturmes bedrohen und wahrscheinlich
auch begraben. In diese Falle zu gehen, ist er jedoch zu klug, denn er weiß
zu gut, was unser Volk, auf seinem Boden durch einen Feind zur Wuth ge¬
stachelt, vermag. Wälschtirol, wo ihm die Einwohner zujauchzen würden,
konnte er allerdings gewinnen. Sie fragen nach den Schützencompagnien,
die jetzt gebildet werden und an die Grenze, ja wenn es das Interesse Tirols
fordert, selbst über die Grenze gehen müssen. Vermuthlich stehen sie bis
Mitte oder Ende April aus — dem Papier, sie rücken vielleicht sogar aus;
betrachtet man aber ihre innere Beschaffenheit und Kriegstüchtigkeit/ so wird
man sich von der Meinung, als ob mit ihnen etwas auszurichten wäre, bit¬
ter enttäuscht finden. Diejenigen, welche zu arm sind, sich loszukaufen und
daher gehen müssen, sind von tiefem Unwillen über den Zwang erfüllt, den
man ihnen auflegte, und die Neislüufer, welche des hohen Soldes wegen für
Andere eintraten, werden, wenn sie schießen hören, höchst wahrscheinlich ihren
theuren Leib zu retten wissen. Man kennt das von früher. Dazu kommt die^
mangelhafte Bewaffnung, die Vernachlässigungen der Schießübungen, die un¬
genügende Kenntniß des Felddienstes bei der Mannschaft und den Offizieren,
das Fehlen jeder Disciplin. Wenn man von tiroler Landesvertheidigung
reden hört, denkt man immer an das Jahr 1809, vergißt jedoch dabei, daß
sich die Verhältnisse seitdem in jeder Beziehung geändert haben, und daß man,
was ein Volk im Schwunge der Begeisterung und des religiösen Fanatismus
leistet, von demselben nicht fordern darf, wenn es von Groll und Mißtrauen
erfüllt ist. Hat das Ministerium Bach wie absichtlich Alles ausgeboten, jedes
Fünkchen von Anhänglichkeit an die Regierung zu ersticken, so ist man jetzt
allgemein darüber einig, daß die allgemeine Verpflichtung zum Loosen sür die
Schützencompagnien geradenwegs eine Wirkung erzielte, welche der Absicht
schnurstracks entgegenläuft. Ueberall hört man davon reden, daß es die erste


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/106>, abgerufen am 01.07.2024.