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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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hier in größter Ausdehnung, der Raseneisenstein liefert Material zur Eisen¬
fabrikation, an verschiedenen Stellen quillt gute Soole, und wenn die Regie¬
rung einmal daran denken wird, die Strebsamkeit der hiesigen Bevölkerung
durch Anlage von Kunststraßen zu unterstützen, mag auch dieser Theil Mecklen¬
burgs zu einer gewissen Bedeutung gelangen.

Die Mecklenburger sind, namentlich in den landbesitzenden Klassen, mit
sehr geringen Ausnahmen Angehörige des sächsischen Stammes. In einzelnen
Gegenden, z. B. im Klützer Winkel, wohnte schon-um die Mitte .des dreizehnten
Jahrhunderts keiner der Slaven mehr, welche das Land früher innegehabt,
und was sich von diesen im Osten sowie in der südlichen Haideebnc erhalten
hatte, verschmolz sich mit den Deutschen im Lauf der folgenden Jahrhunderte
so vollkommen, daß von der frühern Sitte fast gar nichts, von der frühern
Sprache nur in den Ortsnamen eine Spur übrig blieb. Wenn der Verfasser
unsrer Schrift in dem Charakter der Mecklenburger die Züge des altsächsischen
Charakters findet, so ist das richtig, aber zu wenig gesagt. Anhänglichkeit an
ererbten Besitz und an das Herkommen, Mißtrauen gegen alles Neue und Un¬
gewohnte, hartnäckiges Festhalten an der eignen Meinung. Derbheit und eine
gewisse Schwerfälligkeit sind Eigenschaften nicht blos des sächsischen, sondern
überhaupt des deutschen Bauersmannes, wo er die alte Art bewahrt hat. und
dasselbe gilt von den meisten andern Zügen, die uns hier als besondere meck¬
lenburgische angeführt werden.

Die kleinern Städte Mecklenburgs sind mit ihrem umfangreichen Ackerbau
oft halb Dorf, die Dörfer dagegen, auch wo sie die Jahrmarktsgercchtigkeit
besitzen, niemals halb Stadt. Die älteren Dörfer haben gewöhnlich eine Kreis¬
form, doch gibt es auch viele Zeilcndörscr. deren Gehöfte der Straße folgen,
die sie,'entstehen ließ.

Die Bauart der Häuser ist im Allgemeinen die sächsische, wie wir sie in
Holstein und Südschleswig finden. Das Haus besteht aus einem länglichen
Viereck von Fachwcrkswändcn und einem mächtigen spitz zulaufenden Stroh¬
dach. Die Balken der Wände liegen frei, die Zwischenräume sind mit Lehm
ausgefüllt, den man außen glättet und überweißt. Auf den Giebelenden sitzen
die altsächsischen Pferdeköpfe, hier "Mulapen" genannt. Schornsteine sind nicht
gebräuchlich. Das Haus ist zugleich Menschenwohnung, Stall und Korn¬
speicher. Durch ein mächtiges Thor tritt man auf die Diele, welche die Tenne
bildet. Rechts und links befinden sich Viehstände, im Hintergrund, dem Thor
gegenüber, ist der Heerd, dessen Rauch durch ein Loch im obern Ende des
Giebels und durch den Thorweg entweicht, nachdem er vorher die Schinken
und Würste geräuchert, welche über der Diele unter den Tragbalken hangen, auf
denen der Ertrag der Ernte lagert. Neben dem Heerde führen Thüren in die Wohn¬
stube des Hausbesitzers und in die Altentheilsstnbe. 'wo die Auszügler wohnen-


hier in größter Ausdehnung, der Raseneisenstein liefert Material zur Eisen¬
fabrikation, an verschiedenen Stellen quillt gute Soole, und wenn die Regie¬
rung einmal daran denken wird, die Strebsamkeit der hiesigen Bevölkerung
durch Anlage von Kunststraßen zu unterstützen, mag auch dieser Theil Mecklen¬
burgs zu einer gewissen Bedeutung gelangen.

Die Mecklenburger sind, namentlich in den landbesitzenden Klassen, mit
sehr geringen Ausnahmen Angehörige des sächsischen Stammes. In einzelnen
Gegenden, z. B. im Klützer Winkel, wohnte schon-um die Mitte .des dreizehnten
Jahrhunderts keiner der Slaven mehr, welche das Land früher innegehabt,
und was sich von diesen im Osten sowie in der südlichen Haideebnc erhalten
hatte, verschmolz sich mit den Deutschen im Lauf der folgenden Jahrhunderte
so vollkommen, daß von der frühern Sitte fast gar nichts, von der frühern
Sprache nur in den Ortsnamen eine Spur übrig blieb. Wenn der Verfasser
unsrer Schrift in dem Charakter der Mecklenburger die Züge des altsächsischen
Charakters findet, so ist das richtig, aber zu wenig gesagt. Anhänglichkeit an
ererbten Besitz und an das Herkommen, Mißtrauen gegen alles Neue und Un¬
gewohnte, hartnäckiges Festhalten an der eignen Meinung. Derbheit und eine
gewisse Schwerfälligkeit sind Eigenschaften nicht blos des sächsischen, sondern
überhaupt des deutschen Bauersmannes, wo er die alte Art bewahrt hat. und
dasselbe gilt von den meisten andern Zügen, die uns hier als besondere meck¬
lenburgische angeführt werden.

Die kleinern Städte Mecklenburgs sind mit ihrem umfangreichen Ackerbau
oft halb Dorf, die Dörfer dagegen, auch wo sie die Jahrmarktsgercchtigkeit
besitzen, niemals halb Stadt. Die älteren Dörfer haben gewöhnlich eine Kreis¬
form, doch gibt es auch viele Zeilcndörscr. deren Gehöfte der Straße folgen,
die sie,'entstehen ließ.

Die Bauart der Häuser ist im Allgemeinen die sächsische, wie wir sie in
Holstein und Südschleswig finden. Das Haus besteht aus einem länglichen
Viereck von Fachwcrkswändcn und einem mächtigen spitz zulaufenden Stroh¬
dach. Die Balken der Wände liegen frei, die Zwischenräume sind mit Lehm
ausgefüllt, den man außen glättet und überweißt. Auf den Giebelenden sitzen
die altsächsischen Pferdeköpfe, hier „Mulapen" genannt. Schornsteine sind nicht
gebräuchlich. Das Haus ist zugleich Menschenwohnung, Stall und Korn¬
speicher. Durch ein mächtiges Thor tritt man auf die Diele, welche die Tenne
bildet. Rechts und links befinden sich Viehstände, im Hintergrund, dem Thor
gegenüber, ist der Heerd, dessen Rauch durch ein Loch im obern Ende des
Giebels und durch den Thorweg entweicht, nachdem er vorher die Schinken
und Würste geräuchert, welche über der Diele unter den Tragbalken hangen, auf
denen der Ertrag der Ernte lagert. Neben dem Heerde führen Thüren in die Wohn¬
stube des Hausbesitzers und in die Altentheilsstnbe. 'wo die Auszügler wohnen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/98>, abgerufen am 24.08.2024.