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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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wenn der preußische Staat zum Mittel herabgesetzt sein wird, den Zweck, d.h.
die wirkliche Nation, zu begründen, so ist das Werk vollendet.


I. S.


Der Besitz Benetiens und die Bedeutung des neu-italienischen Reichs.

(Berlin, Syr.inger).

Der Verfasser ist ein gescheidter und sehr gebildeter Militär, dessen Ideen man
mit Aufmerksamkeit und Interesse verfolgt, auch wo man ihnen nicht beipflichten
kann. Wir glauben in ihm einen frühern eifrigen und tüchtigen Mitarbeiter unseres
Blattes zu erkennen.

Der Kern seiner Behauptungen ist folgender. Der Besitz Vcnetiens ist nicht
nur für Oestreich eine Lebensfrage, sondern auch für Preußen, Deutschland, ja für
ganz Europa; nur durch das Festungsvicrcck wird Europa gegen die Gefahr einer
französischen Invasion gedeckt. Nur durch das Festungsvicrcck wird das Gleichgewicht
erhalten, welches Europa den Frieden verbürgt. Sollte Oestreich wirklich, was nicht
zu vermuthen, geneigt sein, Venetien an das neue italienische Reich zu verkaufen,
so müßte Preußen in seinem eigenen wie im Interesse Deutschlands Einsprache da¬
gegen erheben, und um dieser Einsprache Nachdruck zu verleihen, eine Coalition' mit
England, Holland. Belgien, allenfalls auch mit Nußland schließen, um das Festungs¬
viereck bei Oestreich zu erhalten.

Er belegt diese Ansichten mit sehr gewichtigen Gründen, die sämmtlich der
Wissenschaft der Strategie entnommen sind. Das europäische Gleichgewicht stellt er
sich, ungefähr folgendermaßen vor.. In Europa gibt es eine Reihe von Armeen,
deren j,ete einem Souverän gehört. Jede dieser Armeen und jeder dieser Souveräne
hat das Interesse, eine geographische Basis zu besitzen, auf welcher nach den Regeln
der Kriegswisscnschaft Lager aufgerichtet, Festungen angelegt, Hccrescolonnen ent¬
wickelt werden können u. f. w.

Bündnisse unter diesen Souveränen werden nach den Regeln der Kriegswisscn¬
schaft abgeschlossen, um im Lande des Bundesgenossen eine günstigere strategische
Basis zu gewinnen, um die Mängel der eigenen Artillerie, Cavallerie u. s. w. durch
die Artillerie, Cavallerie u. s. w. des Bundesgenossen zu ergänzen. Die Regeln der


wenn der preußische Staat zum Mittel herabgesetzt sein wird, den Zweck, d.h.
die wirkliche Nation, zu begründen, so ist das Werk vollendet.


I. S.


Der Besitz Benetiens und die Bedeutung des neu-italienischen Reichs.

(Berlin, Syr.inger).

Der Verfasser ist ein gescheidter und sehr gebildeter Militär, dessen Ideen man
mit Aufmerksamkeit und Interesse verfolgt, auch wo man ihnen nicht beipflichten
kann. Wir glauben in ihm einen frühern eifrigen und tüchtigen Mitarbeiter unseres
Blattes zu erkennen.

Der Kern seiner Behauptungen ist folgender. Der Besitz Vcnetiens ist nicht
nur für Oestreich eine Lebensfrage, sondern auch für Preußen, Deutschland, ja für
ganz Europa; nur durch das Festungsvicrcck wird Europa gegen die Gefahr einer
französischen Invasion gedeckt. Nur durch das Festungsvicrcck wird das Gleichgewicht
erhalten, welches Europa den Frieden verbürgt. Sollte Oestreich wirklich, was nicht
zu vermuthen, geneigt sein, Venetien an das neue italienische Reich zu verkaufen,
so müßte Preußen in seinem eigenen wie im Interesse Deutschlands Einsprache da¬
gegen erheben, und um dieser Einsprache Nachdruck zu verleihen, eine Coalition' mit
England, Holland. Belgien, allenfalls auch mit Nußland schließen, um das Festungs¬
viereck bei Oestreich zu erhalten.

Er belegt diese Ansichten mit sehr gewichtigen Gründen, die sämmtlich der
Wissenschaft der Strategie entnommen sind. Das europäische Gleichgewicht stellt er
sich, ungefähr folgendermaßen vor.. In Europa gibt es eine Reihe von Armeen,
deren j,ete einem Souverän gehört. Jede dieser Armeen und jeder dieser Souveräne
hat das Interesse, eine geographische Basis zu besitzen, auf welcher nach den Regeln
der Kriegswisscnschaft Lager aufgerichtet, Festungen angelegt, Hccrescolonnen ent¬
wickelt werden können u. f. w.

Bündnisse unter diesen Souveränen werden nach den Regeln der Kriegswisscn¬
schaft abgeschlossen, um im Lande des Bundesgenossen eine günstigere strategische
Basis zu gewinnen, um die Mängel der eigenen Artillerie, Cavallerie u. s. w. durch
die Artillerie, Cavallerie u. s. w. des Bundesgenossen zu ergänzen. Die Regeln der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/88>, abgerufen am 27.08.2024.