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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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Sache nach aber auf die alte Mark der Hohenzollern gestützt -- ganz anders
als die Verbindung Sachsens mit Polen, Hannovers mit England, Holsteins
mit Dänemark; indem die Hohenzollern ihre eignen Interessen vertraten,
waren sie die Verfechter Deutschlands. Halb aus Caprice, halb aus richti¬
gem Instinkt gründete Friedrich Wilhelm der Erste ein gewaltiges Heer.
Dies Heer in die Hand eines begabten, entschlossenen Fürsten gelegt -- gegen
wen sollte es sich anders wenden, als gegen Oestreich?

Denn jedem Versuch, sich zu erweitern^ trat mit Nothwendigkeit Oestreich
entgegen. Ehe es diesen Staat geschwächt, konnte Preußen aus keinen Fort¬
schritt rechnen. Ließ es dagegen Oestreich erstarken, so konnte es seinen Unter¬
gang voraussehn. denn für el" Vasallenland war es zu stark, und es hatte
keine natürliche Basis. -- Nun fügte der Zufall, daß Oestreich für fünf Jahre
die Mittel, die ihm die Kaiserwürde zu seinen Privatzwecken gab, verlor. --
Das ist keine juristische Rechtfertigung, aber so war der Laus der Dinge.

Eine nation prussitmim gab es nicht, giebt es heute noch nickt. Aber
es giebt einen preußischen Staat, d. h. ein aus den verschiedensten Bestand¬
theilen der deutschen Nation zusammengesetztes, in Einer Hand vereinigtes,
mächtiges Ganze, welches das Bedürfniß hat, sich nach dem modernen Princip
zu einer Nation zu erweitern. Dem Trieb der Erweiterung auf der einen
kommt der Trieb des Anschlusses aus der andern Seite mit der gleichen Natur¬
gewalt entgegen. -- Von den Mitteln des vorigen Jahrhunderts kann nicht
die Rede mehr sein; Preußen hat nicht mehr zu nehmen, sondern zu gewin¬
nen. -- "Moralische Eroberung" ist ein gutes Wort; daß Preußen sich schlagen
kann, hat es gezeigt; jetzt muß es zeigen, daß es unter dem schwarzweißen
Banner sich gut wohnen läßt. -- Preußen vermag schon jetzt seinen Bürgern
ein'politisches Leben zu öffnen, wie kein anderer deutscher Staat; es kann die
Verwaltung völlig dccentralisiren, während es sich politisch straff zusammen¬
rafft. -- Die Hoffnungen auf Oestreich erlahmen mehr und mehr; schon jetzt
gewöhnt sich der Deutsche aller Länder, mehr aus das zu achten, was in Ber¬
lin geschieht, als was in seiner eigenen Hauptstadt -- Etwas mehr wirkliches
Leben, etwas mehr innere Kraft, ein entschiedener Bruch mit den Reminiscenzen
des unseligen Feudalsystems, das am wenigsten für Preußen paßt, und die Anzieh¬
ungskraft wird unwiderstehlich. --Nur so entstehen lebendige Staaten, daß ein
bestehender kräftiger Organismus die schwächeren mehr und mehr an sich zieht!
in'ehe so, daß man die organischen Bildungen zerschlägt, um aus den Trüm¬
mern ein Neues aufzubauen. -- Die Sache liegt so, daß wenn es zum Buu-
desswat kommt, kein Deutscher etwas zu verlieren hat -- anch die Fürsten
nicht. --, VZas Per große König b.'gönnen. so^I der Bürger vollenden; und,


Sache nach aber auf die alte Mark der Hohenzollern gestützt — ganz anders
als die Verbindung Sachsens mit Polen, Hannovers mit England, Holsteins
mit Dänemark; indem die Hohenzollern ihre eignen Interessen vertraten,
waren sie die Verfechter Deutschlands. Halb aus Caprice, halb aus richti¬
gem Instinkt gründete Friedrich Wilhelm der Erste ein gewaltiges Heer.
Dies Heer in die Hand eines begabten, entschlossenen Fürsten gelegt — gegen
wen sollte es sich anders wenden, als gegen Oestreich?

Denn jedem Versuch, sich zu erweitern^ trat mit Nothwendigkeit Oestreich
entgegen. Ehe es diesen Staat geschwächt, konnte Preußen aus keinen Fort¬
schritt rechnen. Ließ es dagegen Oestreich erstarken, so konnte es seinen Unter¬
gang voraussehn. denn für el» Vasallenland war es zu stark, und es hatte
keine natürliche Basis. — Nun fügte der Zufall, daß Oestreich für fünf Jahre
die Mittel, die ihm die Kaiserwürde zu seinen Privatzwecken gab, verlor. —
Das ist keine juristische Rechtfertigung, aber so war der Laus der Dinge.

Eine nation prussitmim gab es nicht, giebt es heute noch nickt. Aber
es giebt einen preußischen Staat, d. h. ein aus den verschiedensten Bestand¬
theilen der deutschen Nation zusammengesetztes, in Einer Hand vereinigtes,
mächtiges Ganze, welches das Bedürfniß hat, sich nach dem modernen Princip
zu einer Nation zu erweitern. Dem Trieb der Erweiterung auf der einen
kommt der Trieb des Anschlusses aus der andern Seite mit der gleichen Natur¬
gewalt entgegen. — Von den Mitteln des vorigen Jahrhunderts kann nicht
die Rede mehr sein; Preußen hat nicht mehr zu nehmen, sondern zu gewin¬
nen. — „Moralische Eroberung" ist ein gutes Wort; daß Preußen sich schlagen
kann, hat es gezeigt; jetzt muß es zeigen, daß es unter dem schwarzweißen
Banner sich gut wohnen läßt. — Preußen vermag schon jetzt seinen Bürgern
ein'politisches Leben zu öffnen, wie kein anderer deutscher Staat; es kann die
Verwaltung völlig dccentralisiren, während es sich politisch straff zusammen¬
rafft. — Die Hoffnungen auf Oestreich erlahmen mehr und mehr; schon jetzt
gewöhnt sich der Deutsche aller Länder, mehr aus das zu achten, was in Ber¬
lin geschieht, als was in seiner eigenen Hauptstadt — Etwas mehr wirkliches
Leben, etwas mehr innere Kraft, ein entschiedener Bruch mit den Reminiscenzen
des unseligen Feudalsystems, das am wenigsten für Preußen paßt, und die Anzieh¬
ungskraft wird unwiderstehlich. —Nur so entstehen lebendige Staaten, daß ein
bestehender kräftiger Organismus die schwächeren mehr und mehr an sich zieht!
in'ehe so, daß man die organischen Bildungen zerschlägt, um aus den Trüm¬
mern ein Neues aufzubauen. — Die Sache liegt so, daß wenn es zum Buu-
desswat kommt, kein Deutscher etwas zu verlieren hat — anch die Fürsten
nicht. —, VZas Per große König b.'gönnen. so^I der Bürger vollenden; und,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/87>, abgerufen am 27.08.2024.